# taz.de -- Seelsorger über prekäre Arbeit: „Wie Menschen zweiter Klasse“ | |
> Ein Heiliger mit leeren Taschen: Mit dem fiktiven St. Prekarius | |
> protestiert Theologe Erwin Helmer gegen unsichere Jobs | |
Bild: Schrubben, wischen, putzen – und das für unchristlich wenig Geld. | |
taz: Herr Helmer, viele Bürger machen sich Sorgen wegen der Zunahme | |
unsicherer Jobs. Als katholischer Betriebsseelsorger, der Beschäftigte an | |
ihren Arbeitsplätzen besucht, haben Sie deshalb einen neuen Heiligen in | |
Deutschland etabliert: St. Prekarius. Wen beschützt er? | |
Erwin Helmer: Das ist ein virtueller Heiliger beiderlei Geschlechts – St. | |
Prekarius und St. Prekaria. Das Standbild habe ich in Zusammenarbeit mit | |
der Christlichen Arbeiterjugend Bayern schnitzen lassen. Die Figur hat | |
leere Hosentaschen, trägt Jeans und einen Besen. Dieser Heilige dient als | |
Symbol für prekäre Beschäftigung: Leiharbeit, Niedriglohnjobs, | |
Werkverträge. Er begleitete uns bereits bei Aktionen vor dem | |
Arbeitsgericht, bei Betriebsversammlungen, Straßenaktionen und in | |
Gottesdiensten. Denn immer mehr Menschen arbeiten in solchen Verhältnissen. | |
Was ist an diesen Jobs problematisch? | |
Leiharbeiter oder Leute mit Werkverträgen sagen, dass sie sich wie Menschen | |
zweiter Klasse fühlen. Sie haben oft eine schlechtere Bezahlung, weniger | |
Absicherung und mindere Rechte. Nach einer längeren Krankheit erhalten sie | |
etwa keine Hilfen, damit sie wieder gut in ihren Job reinkommen. Sie sind | |
von der normalen Mitbestimmung weitgehend ausgeschlossen, auch weil sie | |
kein Geld für den Gewerkschaftsbeitrag haben. | |
Wie helfen Sie solchen Beschäftigten? | |
Wir unterstützen die Gründung von Betriebsräten. Beim Versandhändler Amazon | |
ist das gelungen, in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Ver.di. Wenn ein | |
Arbeitgeber den Tarifvertrag nicht anerkennt, versuchen wir, mit ihm zu | |
reden. Dann lassen wir uns auch bei Warnstreiks sehen – im Einklang mit der | |
katholischen Soziallehre. Denn die sagt ganz eindeutig, dass die | |
Arbeitnehmer ein Recht auf den Schutz durch Tarifverträge haben. | |
Als die ARD unlängst über die schlechte Bezahlung in den Warenlagern von | |
Amazon berichtete, waren Sie groß im Bild. Ist Amazon eine Ausnahme? | |
Zusammen mit meinen Vorstandskollegen der Katholischen Arbeitnehmerbewegung | |
in Augsburg habe ich danach einen offenen Brief an Arbeitsministerin Ursula | |
von der Leyen geschrieben. Darin bezeichnen wir die Situation bei Amazon | |
als Spitze des Eisbergs. Denn die Tarifbindung in der deutschen Wirtschaft | |
nimmt ab. Mittlerweile arbeiten nur noch gut 60 Prozent der Arbeitnehmer | |
auf Basis tariflicher Regelungen. | |
Wenn sich prekäre Arbeitsverhältnisse ausbreiten – was sollte dann die | |
Politik tun? | |
Man müsste das Ausmaß der Leiharbeit auf das Niveau von vor zehn Jahren | |
reduzieren. Damals waren in solchen Arbeitsverhältnissen nur etwa 250.000 | |
Leute beschäftigt. Heute sind es 900.000. Die Katholische | |
Arbeitnehmerbewegung plädiert zudem für Mindestlöhne, die bei 9,70 Euro pro | |
Stunde liegen müssten. | |
Miserable Zustände gibt es auch in kirchlichen Betrieben. | |
Das stimmt. In der Vergangenheit erlebten wir hautnah die Tendenz, | |
Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen in unabhängige | |
Servicegesellschaften auszulagern und dadurch die Tarifregelungen zu | |
unterlaufen. Die katholischen Bischöfe haben mittlerweile erklärt, dass sie | |
dies nicht gutheißen. Trotzdem gibt es noch kirchlich geprägte | |
Subunternehmen, die Tarifdumping praktizieren. Aber es werden weniger. | |
Beim katholischen Malteser Hilfsdienst soll es vorkommen, dass | |
Teilzeitkräfte und Fahrer nur 5,60 oder 7,50 Euro pro Stunde erhalten. Ihre | |
Kirche treibt Arbeitnehmer in die Armut. | |
Alle kirchlichen Einrichtungen müssen sich an die vereinbarten | |
Tarifregelungen halten. Wo es Grauzonen gibt, versuchen wir, unseren | |
Einfluss mit Gesprächen, Briefen und Öffentlichkeitsarbeit geltend zu | |
machen. | |
Das spezielle kirchliche Arbeitsrecht des sogenannten dritten Weges | |
verbietet es den Beschäftigten, zu streiken. Muss dieser alte Zopf nicht | |
abgeschnitten werden? | |
Die Frage stellt sich vor allem bei solchen kirchlichen Einrichtungen, die | |
staatliche Zuschüsse erhalten, also teilweise in öffentlichem Auftrag | |
handeln. In solchen Fällen wird der Druck wachsen, dass die Beschäftigten | |
die gleichen Rechte bekommen wie das Personal normaler Unternehmen. Wobei | |
man auch sagen muss, dass die Arbeitsbedingungen in vielen kirchlichen | |
Einrichtungen besser sind als bei freien Trägern. | |
2 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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