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# taz.de -- Stundenlohn für Leiharbeit: Gerechtigkeit auf halber Strecke
> Christliche Gewerkschaften sollten Zeitarbeitern Lohn nachzahlen.
> Geschehen ist das bisher jedoch kaum. Nun entscheiden die Richter neu.
Bild: Mit Papphänden gegen den Missbrauch von Leiharbeit: Protest vor dem Kanz…
BERLIN taz | Es gibt doch Gerechtigkeit, dachte Britta Reichenbach. Die
25-Jährige, die ihren Namen in der Zeitung nicht nennen will, hatte als
Leiharbeiterin für das Druckunternehmen Prinovis in Ahrensburg bei Hamburg
gearbeitet.
„Ich bin schnell zur Teamleiterin aufgestiegen, habe Verantwortung für die
Druckschichten und Maschinen übernommen“, sagt Reichenbach. Entlohnt wurde
sie dafür mit 7,80 Euro Brutto in der Stunde. Am Monatsende hatte sie für
eine 40-Stunden-Woche meist 1.000 Euro in der Tasche.
Dann standen ihr rund 10.000 Euro Lohnnachzahlungen in Aussicht. Denn die
Gewerkschaft Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit
und Personalserviceagenturen (CGZP), in der Reichenbach nie Mitglied war,
die aber mit Prinovis Tarifverträge abgeschlossen hatte, wurde vom
Bundesarbeitsgericht (BAG) 2010 für tarifunfähig erklärt.
## Weniger als fünf Euro die Stunde
Die CGZP – 2002 gegründet – hatte 2003 ihren ersten Tarifvertrag
unterschrieben und eine damals neue Regelung zur Deregulierung der
Leiharbeit genutzt. Seither gilt: Existiert für Leiharbeiter ein spezieller
Tarifvertrag, müssen sie nicht wie festangestellte Kollegen entlohnt
werden. Die CGZP schloss daraufhin unter anderem etwa 200 Haustarifverträge
mit Stundenlöhnen von teilweise unter fünf Euro ab.
Die BAG-Richter sprachen der Organisation ab, eine Gewerkschaft zu sein.
Damit waren alle Tarifverträge nichtig. Und Reichenbach hatte, wie
geschätzt 300.000 weitere Leiharbeiter, Anspruch auf den gleichen Lohn wie
die Stammkräfte im Betrieb.
Doch das Urteil übersetzte sich im Alltag nicht so einfach in
Gerechtigkeit. „Nur etwa 1.500 Leiharbeiter haben sich überhaupt getraut,
individuell auf Lohnnachzahlungen zu klagen“, sagt Thomas Klebe, Justiziar
bei der Gewerkschaft IG Metall.
Und etliche Beschäftigte, die klagten, mussten erleben, dass sie abgewiesen
wurden. So wie Reichenbach vor dem Arbeitsgericht Lübeck. Sie ging in
Berufung. „Ich habe mich schließlich in einem Vergleich mit 2.000 Euro
Brutto zufrieden gegeben.“
Das Lübecker Gericht argumentierte, für die Verträge mit der
Leiharbeitsfirma Tabel, die Reichenbach an Prinovis vermittelte, seien die
Ausschlussfrist abgelaufen. Ausschlussfristen in individuellen
Arbeitsverträgen legen fest, dass ein Arbeitnehmer, hat er etwas am
Arbeitsverhältnis zu beanstanden, dies spätestens drei Monate später vor
Gericht geltend machen muss. Doch als das BAG-Urteil fiel, waren etliche
Arbeitsverhältnisse, auch das von Reichenbach, längst beendet.
## Unsicheres Arbeitsverhältnis selbst verschuldet
Reichenbachs Anwalt Holger Thieß hält deswegen die sonst sinnvollen
Ausschlussfristen, die dem Arbeitgeber Sicherheit geben sollen, im
speziellen Fall für nicht anwendbar. „Denn die Arbeitgeber selbst haben die
Unsicherheit im Arbeitsverhältnis herbeigeführt, indem sie auf eine
Scheingewerkschaft setzten.“
Am Mittwoch entscheidet sich, ob die höchsten Arbeitsrichter in Erfurt das
mit den Ausschlussfristen ähnlich sehen. Vor dem BAG sind erneut fünf
Klagen von Leiharbeitern aufgelaufen.
Doch egal, wie die Erfurter Richter entscheiden, für Britta Reichenbach
wird im konkreten Fall nicht mehr Lohn herausspringen. Insgesamt hätten die
rund 300.000 Leiharbeiter Anspruch auf zusätzliche Entgelte in Höhe von
rund einer Milliarde Euro gehabt, schätzt Thieß. Doch gestritten werde
derzeit nur um ein Volumen von rund fünf Millionen Euro, sagt Klebe.
13 Mar 2013
## AUTOREN
Eva Völpel
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