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# taz.de -- Wahl in Slowenien: Bezaubernd, aber marode
> Faule Kredite, Vetternwirtschaft und keine politischen Visionen mehr. Das
> einstige EU-Musterland Slowenien steckt in einer tiefen Krise.
Bild: Neulich zu Gast in Ljubljana: Micky Maus.
Boote schaukeln im Meer, der die Stadt überragende Glockenturm erinnert an
Venedig: Der slowenische Küstenort Piran ist bezaubernd. Im Sommer sind die
verwinkelten Gassen und der Tartini-Platz voll mit Touristen, ebenso die
Promenade und der Hügel der St.-Georgs-Kirche.
Doch im Winter, wenn die Touristen weg sind, fragen sich vor allem die
Jungen in Piran, wie es weitergehen soll. Slowenien kämpft mit maroden
Staatsbanken und schlechten Ratings, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch.
Das Land gilt als Kandidat für den EU-Rettungsschirm – was die Regierung
allerdings von sich weist.
In ihrem Laden nahe dem Hafen verkauft Dubravka selbst gemachte Figuren und
Vasen aus Keramik. Es laufe deutlich schlechter als sonst, sagt sie. Im
August seien italienische Urlauber ausgeblieben, die müssten ebenfalls
sparen. „Das sind harte Zeiten für Künstler“, sagt ihre Tochter Jerneja,
die Mosaiken herstellt. Aber nicht nur Künstlern gehe es schlechter: Das
Sparprogramm der Regierung treffe ganz Slowenien, erwidert Dubravka. Ihren
Nachnamen möchte sie, wie die meisten, nicht verraten; die Sorge, den Job
verlieren zu können, weil man sich kritisch äußert, ist groß.
Es ist nicht lange her, da hatte Sloweniens Wirtschaft einen guten Ruf. Die
Arbeitslosigkeit war niedrig, das Wachstum solide. 2004 trat das Land der
EU bei, 2007 führte es den Euro ein. Was ist schiefgelaufen? Kredite im
großen Umfang ohne Sicherheiten – für Slowenen mit den richtigen Kontakten
und dem nötigen Kleingeld war das kein Problem. Die Bauunternehmen SCT,
Vegrad, Primorje und Kraskizidar sind mittlerweile insolvent. Einige der
früheren Manager erhielten wegen Schmiergeldzahlungen Haftstrafen.
Unfertige Einkaufszentren und leerstehende Wohnungen gibt es im ganzen
Land.
„Würde Korruption ordentlich geahndet, wäre Slowenien kein kranker Mann
Europas“, sagt der Ökonom Bernard Brscic. Viel zu eng sei zudem der Staat
mit der Wirtschaft verwoben, vor allem im Bankensektor: An der Nova
Ljubljanska Banka (NLB) hält der Staat 45,62 Prozent, an der Nova Kreditna
Banka Maribor (NKBM) 27,66 Prozent. Etliche der Kredite werden seit Monaten
nicht mehr bedient.
## Kein Kündigungsschutz
„Die Situation ist schlimm. Ich kenne so viele ohne Arbeit.“ Svetlana ist
Rezeptionistin in einem Piraner Hotel. Den Job hat sie über Beziehungen
bekommen – und weil sie trotz abgeschlossenen Studiums weiterhin an der
Universität eingeschrieben ist. Die sogenannte Studentenarbeit kommt den
Unternehmen billig: Sie ist weniger hoch besteuert, zudem gibt es
Steuerminderungen und für die Studenten keinen Kündigungsschutz. „Du
brauchst Unterstützung von deinen Eltern, sonst schaffst du es als junger
Mensch nicht“, sagt sie.
Drei Busstunden von Piran entfernt ist die Hauptstadt Ljubljana. Nahe dem
Bahnhof liegt die Metelkova, ein Areal für Kulturveranstaltungen. Das
Gelände, auf dem sich zuvor eine Kaserne der jugoslawischen Volksarmee
befand, war vor 20 Jahren besetzt und nach monatelangem Gerangel von der
Regierung freigegeben worden. Im vergangenen November eröffnete das Museum
für Zeitgenössische Kunst. Hier arbeitet der Student Denis für 3,50 Euro
pro Stunde als Aufseher. Er studiert Sozialanthropologie. „Ich weiß nicht,
welche Visionen die Regierung für uns Junge hätte. Wir sind auf unsere
Eltern angewiesen. Aber was, wenn die einen Kredit zurückzahlen müssen oder
arbeitslos sind?“
Die Mitte-rechts-Regierung von Janez Jansa fechte lieber einen
ideologischen Kampf gegen „die Kommunisten“, sagt der Student, und kürze
die Renten der früheren Angehörigen der jugoslawischen Volksarmee, anstatt
Reformen durchzuführen. „Die jungen Menschen sind dieser Rhetorik müde.“
Und auch der Vetternwirtschaft sei man müde. Denis nennt einen Namen, der
für viele im Land für die Richtung der Politik bezeichnend ist: Borut
Roncevic. Der 37-Jährige ist im Bildungsministerium für Hochschulpolitik
zuständig und zugleich Professor einer von ihm mitbegründeten
Privatuniversität. „Die Regierung lässt die öffentlichen Universitäten
ausbluten und setzt auf private Hochschulen“, sagt Denis.
Eine Ausschreibung der Slowenischen Agentur für Forschung für Gelder im
Umfang von 6 Millionen Euro wurde im Nachhinein so verändert, dass
Roncevic’ Fakultät ein Drittel der Mittel erhielt, gleichwohl diese einen
Bruchteil aller Studenten führt. Roncevic ist Mitglied des Verwaltungsrats
der Forschungsagentur. Dass die Präsidentschaftswahl am kommenden
Wochenende an der Situation im Land etwas ändern wird, glaubt kaum jemand –
der slowenische Präsident kümmert sich in erster Linie um repräsentative
Aufgaben und ist Oberbefehlshaber der Armee.
Im vergangenen Winter hat sich Denis an der Besetzung seiner Fakultät
beteiligt. Es war einer der wenigen Proteste gegen die
wirtschaftspolitische Situation – doch begeistert ist Denis nicht. „So wie
das vor sich ging, erreichte man nicht besonders viele Studenten. Die
Versammlungen und Debatten waren zu intellektuell, zu klassisch, zu
theoretisch.“
## Hierarchisches System
Rebellion sei von slowenischen Studenten nicht zu erwarten, sagt Andrej
Kurnik und nimmt einen Schluck Bier in einer Kneipe am Rande der Altstadt
Ljubljanas. Kurnik ist Professor für theoretische Politik an der
Universität Ljubljana und Occupy-Aktivist. Im Herbst 2011 war er unter
jenen, die wochenlang vor der Börse campierten unter dem Motto „Wir zahlen
nicht für eure Krise“. Man wollte – so zitiert Kurnik Aktivisten – mit d…
öffentlich stattfindenden Debatten „das Loch stopfen, das die Krise der
repräsentativen Politik geschaffen“ habe. Das Occupy-Lager in Ljubljana
gibt es nicht mehr, die Aktivisten tauschen sich aber weiterhin über „die
Politik im Kleinen“ aus.
Für ihn steht fest, dass die Hochschulen in Slowenien kein „Vehikel für
soziale Bewegungen“ sind. Das Bildungssystem sei hierarchisch organisiert,
das bekämen die Jungen bereits in der Schule mit. Die Studentenvertretung,
die über die Steuer auf die Studentenjobs finanziert wird, zeige wenig
Interesse an politischen Aktivitäten und Demonstrationen. Eine Untersuchung
der soziologischen Fakultät unter Studenten ergab einen hohen Grad an
Politikverdrossenheit. Für junge Slowenen ist demnach das politische System
etwas weit Entferntes, zusammen mit ihrer Sozialisierung führe das zu einem
Stillhalten – trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage des Landes.
Im wenige Straßen entfernten Wirtschaftsministerium sitzt Radovan Zerjav am
Besprechungstisch seines Zimmers. „Es ist nicht einfach“, sagt der Minister
und Chef der slowenischen Volkspartei betont langsam. Aber Sparen sei die
Hauptaufgabe dieser Regierung. Die Jungen müssten „durchhalten“.
## Apathische Jugend
Sähe man nur die Kulisse Ljubljanas, würden sich keine Gedanken an die
Krise aufdrängen. Die Cafés und Restaurants sind voll, die Häuser
renoviert, die Burg ist abends beleuchtet und strahlt auf die 300.000
Einwohner zählende Stadt herab. Doch die Arbeitslosenquote beträgt 10
Prozent. Im drei Stunden per Bahn entfernten Maribor sieht es mit 15
Prozent noch schlechter aus. Die zweitgrößte Stadt Sloweniens, 2012 zur
Europäischen Kulturhauptstadt ernannt, ist ähnlich schmuck wie Ljubljana,
wenn auch nicht so belebt.
„Die Jungen im Land sind apathisch“, sagt der Mariborer Journalist Tomaz
Klipsteter. In Slowenien gebe es nicht die Kultur, den Kopf rauszustrecken,
was auch historische Gründe habe – zunächst jahrhundertelange
Fremdherrschaft unter den Habsburgern, im Zweiten Weltkrieg besetzt von
Deutschen und Italienern, anschließend fehlende Unabhängigkeit in
Jugoslawien. „So haben wir überlebt, Kopf runter. Die Ausnahme ist der
Widerstand im Zweiten Weltkrieg.“
Dennoch kann sich Klipsteter vorstellen, dass künftig mehr demonstriert
wird. Vorige Woche gingen bei der Gewerkschaftskampagne gegen Einsparungen
30.000 Slowenen in Ljubljana auf die Straße. „Slowenien ist am
konkurrenzfähigsten bei der Korruption“ und „Die Regierung verliert den
Verstand, Slowenien seine Jugend“ stand auf den Transparenten.
Und hatte Klipsteter vor Kurzem noch Proteste wie gegen Stuttgart 21 in
seinem Land für undenkbar gehalten, änderte er diese Meinung zuletzt ein
wenig – zumindest für Maribor: Seit Wochen wird hier für den Rücktritt des
korrupten Bürgermeisters Franc Kangler demonstriert. Das Thema Korruption
müsse in ganz Slowenien angegangen werden, sagt Klipsteter. „Politiker, das
ist ja fast ein Schimpfwort bei uns.“ Ein Gutes habe die Krise aber: „Der
ganze Dreck wird nach oben gespült.“
2 Dec 2012
## AUTOREN
Christine Zeiner
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