# taz.de -- Fracking in Tunesien: Aller Gefahren zum Trotz | |
> Die tunesische Regierung will mit Shell Gasvorkommen erschließen. Die | |
> dafür angewandte Methode verwüstet in den USA riesige Landstriche. | |
Bild: In Mead, Colorado, wird das Fracking bereits angewandt. | |
MADRID taz | Tunesiens Regierung setzt auf unerwarteten Reichtum. Im | |
Landesinneren werden riesige Vorkommen an Schiefergas vermutet. Die | |
Islamisten von Ennahda unter Ministerpräsident Hamadi Jebali verhandeln mit | |
dem internationalen Erdölkonzern Shell. | |
In den nächsten Wochen soll der Vertrag unterschriftsreif sein. Schon im | |
kommenden Jahr will Shell die ersten drei Bohrungen vornehmen. | |
Umweltschützer kündigten bereits Widerstand an. Um das Gas zu lösen, müssen | |
riesige Mengen Wasser und Chemikalien in den Untergrund gepumpt werden. | |
Fracking heißt das umstrittene Verfahren, das im US-Bundesstaat North | |
Dakota zum Einsatz kommt – und dort bereits ganze Landstriche verwüstet. | |
Shell wolle, so die tunesische Regierung, umgerechnet 10 Milliarden Euro | |
investieren. Die Tagesförderung könne bis 2020 bei 12.000 Barrel liegen. | |
Langfristig seien gar bis zu 70.000 Barrel am Tag möglich. Das würde etwa 4 | |
Prozent des deutschen Gasbedarfs decken. | |
„Wir haben wenige Alternativen“, sagt Rachid Ben Dali, Generalsekretär für | |
Energie im Industrieministerium. Denn „Tunesien hat angesichts der | |
Gefahren, die sie in sich birgt, auf Atomenergie verzichtet, und die | |
erneuerbaren Energien sind teuer“. Die Regierung rechnet mit einer Zunahme | |
des Energiebedarfs im Land von 6 Prozent jährlich. Das liegt vor allem am | |
Bevölkerungswachstum. Seit den 70er Jahren hat sich die Zahl der Tunesier | |
auf derzeit gut zehn Millionen verdoppelt. Damit wird auch das Trinkwasser | |
knapper. Also muss mehr Meerwasser entsalzt werden – und auch dafür wird | |
Energie benötigt. | |
## Warnung vor Wüstenbildung | |
Vor wenigen Wochen zogen erstmals Hunderte von Umweltschützern vor das | |
Parlament in Tunis. Sie fordern eine unabhängige Expertenkommission – und | |
verweisen auf Fracking-Verbote in Kanada und Frankreich. Es ist | |
ausgerechnet das Wasser, das den Umweltschützern die größte Sorge bereitet. | |
Um an das Gas zu kommen, werden Chemikalien mit hohem Druck zusammen mit | |
Wasser und Sand in bis zu 4.000 Meter tiefe Gesteinsschichten gepresst, um | |
diese aufzubrechen. Die Flüssigkeit erzeugt Risse (Fracs), durch die das | |
Erdgas Richtung Oberfläche strömen kann. | |
Der Abgeordnete Chokri Yaiche warnt vor „zunehmender Wüstenbildung“. Der | |
Umweltwissenschaftler wurde auf der liberalen Liste „Afek Tounes“ (Horizont | |
Tunesien) in die erste Volksvertretung nach dem Sturz des Diktators Ben Ali | |
gewählt. Je nach Größe der Bohrung werden – so zeigen Erfahrungen in den | |
USA – 4 bis 11 Millionen Liter Wasser benötigt. | |
„Jedes Bohrloch verbraucht so viel Wasser wie ein Dorf mit tausend | |
Einwohnern“, warnt auch die Wissenschaftlerin und Vorsitzende der | |
tunesischen Umweltinitiative AgricoForest, Assma Mdalssi. Bis zu 700 teils | |
hochgiftige chemische Produkte werden dem Wasser beigemischt. Die Gegnerin | |
des Schiefergasabbaus fürchtet deshalb um Grundwasser und Landwirtschaft. | |
Die Gegner des Schiefergasabbaus werfen der Regierung vor, das Projekt um | |
jeden Preis durchsetzen zu wollen, um politischen Freunden einen Gefallen | |
zu tun. Denn der größte Einzelaktionär bei Shell ist der staatliche | |
Investitionsfonds aus Katar. Seit Hamadi Jebali Ministerpräsident ist, | |
schließt Tunesien immer wieder Wirtschaftsabkommen mit dem Emirat. | |
Zuletzt wurden der Fluggesellschaft Qatar Airways weitgehende Privilegien | |
auf den Flughäfen des Landes eingeräumt. Katar soll, so die tunesische | |
Presse, sogar den Wahlkampf von Jebalis islamistischer Ennahda finanziert | |
haben. | |
3 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Fracking | |
Tunesien | |
Shell | |
Energie | |
Erneuerbare Energien | |
Ben Ali | |
Kohle | |
Fracking | |
Tunesien | |
fossile Energien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Energiewende: Das Schiefergasproblem | |
Mit dem Fracking-Verfahren können die USA billiger Gas fördern. Das könnte | |
die deutsche Energiewende um Jahrzehnte zurückwerfen. Ein Grund zur Sorge? | |
Zwei Jahre ohne Präsident: Tunesiens nationale Zerstrittenheit | |
Vor zwei Jahren forderten die Tunesier das Ende des Regimes Ben Ali. Jetzt | |
rufen die einen nach einem Islamstaat, die anderen nach Freiheit und | |
Arbeit. | |
Internationale Energieprobleme: Kohle übertrumpft Erdöl bald | |
Die Internationale Energieagentur warnt vor dem Kohlehunger vieler Länder. | |
Im umstrittenen Schiefergas liegt ihrer Ansicht nach die Lösung. | |
Bundesratsbeschluss: Länder wollen Fracking erschweren | |
Die Länder fordern: Wer Gas aus Gestein pressen will, soll zu einer | |
Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtet werden. Nun muss die Regierung | |
Stellung beziehen. | |
Kommentar Fracking: Frösche und Forscher | |
Bei Debatten zur Energiewende ist Bürgerbeteiligung essenziell. Davon hält | |
das Bundeswirtschaftsministerium allerdings nicht besonders viel. | |
Gewerkschaft in Tunesien: Regierung wendet Generalstreik ab | |
Auf die tunesische Gewerkschaft sind mehrere gewalttätige Überfälle verübt | |
worden. Nach langen Verhandlungen sagt die Regierung zu, diese untersuchen | |
zu wollen. | |
Ölförderung in den USA: „Vom Import abhängig“ | |
Wird Amerika ein Ölscheichtum? Experte Josef Braml sagt, die USA werden | |
kein Selbstversorger. Damit widerspricht er der Internationalen | |
Energieagentur. | |
Wahlkampfauftakt in Niedersachsen: Ganz verliebt in den Häuptling | |
Partei in Eintracht: Niedersachsen-CDU kürt David McAllister einstimmig zum | |
Spitzenkandidaten und beschließt ihr Wahlprogramm. | |
Weltweite CO2-Emissionen: EU verliert Image als Klimakiller | |
Im vergangenen Jahr sind die CO2-Emissionen weltweit auf einen neuen Rekord | |
geklettert. In den USA und Europa sanken sie deutlich. | |
Kontrolle beim „Fracking“: Altmaier will strenge Auflagen | |
Der Bundesumweltminister befürwortet eine Begrenzung der umstrittenen | |
„Fracking“-Technik. Die Opposition fordert ein Verbot. |