# taz.de -- Proteste in Ägypten: Der gelenkte Krawall | |
> Vor dem Präsidentenpalast in Kairo schlagen Mursis islamistische Anhänger | |
> Oppositionelle. Sie wittern eine Verschwörung des Auslands. | |
Bild: In Kairo eskaliert die Gewalt. Stacheldraht kommt zum Einsatz. | |
KAIRO taz | „Wir verteidigen den demokratisch legitimierten Präsidenten“, | |
rufen die Fußsoldaten der Muslimbrüder am Dienstagabend, nachdem sie in den | |
Stunden zuvor die Straßen rund um den Präsidentenpalast in der ägyptischen | |
Hauptstadt gewaltsam von den politischen Gegnern ihrer Partei und Präsident | |
Mohammed Mursis geräumt haben. | |
Was die Islamisten unter „Verteidigung“ verstehen, machen sie dann bis in | |
die späte Nacht deutlich: Wann immer sie eines ihrer Opponenten habhaft | |
werden, schlagen mehrere Dutzend Männer auf diesen ein – bis er am Boden | |
liegt und sich nicht mehr bewegt. | |
„Verräter!“ und „Wer hat dich bezahlt?“, ruft die Menge immer wieder. … | |
treten die Mursi-Anhänger erneut auf ihr Opfer ein. Einer der Islamisten | |
kommt gelaufen und präsentiert den Geldwechselbeleg einer Bank, den man bei | |
einem der Anti-Mursi-Demonstranten gefunden haben will – als Beweis, dass | |
die Oppositionellen „von außen“, vom Ausland, finanziert werden. | |
Auf einem Kleinlaster steht ein Prediger. Aus luftiger Höhe peitscht er die | |
Menge an. „Wir alle lieben Ägypten, Gott ist groß, los, lauft nach vorne | |
und sichert die Straßen ab, lasst sie nicht durch“, ruft er ins Megafon. | |
## „Wir sind 95 Prozent“ | |
„Diese Opposition, das ist eine Verschwörung“, so Naim Risq, einer der | |
Muslimbrüder, vollkommen aufgebracht. Wenn er nicht den Präsidentenpalast | |
verteidigt, arbeitet er als Beamter im Religionsministerium, so der | |
Demonstrant. | |
„Die anderen Demonstranten sind alle gemietet, das sind Söldner“, brüllt | |
er. Auf die Frage, wie es nun weitergehen soll in dieser polarisierten | |
Lage, gibt er seine Version der Wirklichkeit wieder. „Wir sind kein | |
politisch geteiltes Land. Wir sind 95 Prozent – und die anderen nur 5.“ | |
Viele der islamistischen Demonstranten stammen aus den Armenvierteln oder | |
der Umgebung Kairos. „Man hat mich hierhergeschickt und mir gesagt, ich | |
solle warme Kleidung mitbringen, weil ich hier übernachten werde“, | |
beschrieb einer von ihnen seinen Auftrag. Er sagt, er komme aus dem | |
Nildelta. | |
Auffällig sind die Herren in Anzügen, die die Menge im Hintergrund | |
dirigieren. Einer, der immer wieder Anweisungen gibt, ist Alaa al-Kilani. | |
Er sei einfach ein Bürger, ein Elektroingenieur, sagt er vage und grinst. | |
Natürlich könne die Opposition ihre Meinung sagen – aber nicht auf diese | |
Art, nicht auf der Straße und schon gar nicht vor dem Präsidentenpalast. | |
Mursi sei – anders als Mubarak – demokratisch gewählt. Das müsse auch von | |
der Opposition anerkannt werden. | |
## Panzer „zum Schutz des Palastes" | |
„Wer mit der Urne an die Macht gekommen ist, den kann man nur mit der Urne | |
von der Macht entfernen“, argumentiert al-Kilani. Und was den | |
Verfassungsentwurf angeht: Die Opposition hätte ihre Energie lieber darauf | |
verwenden sollen, die Menschen davon zu überzeugen, im anstehenden | |
Referendum mit Nein zu stimmen, statt auf die Straße zu gehen. | |
Am nächsten Morgen, die Muslimbrüder feiern noch immer ihren Sieg vor dem | |
Palast, verkündete das Gesundheitsministerium die letzten Zahlen: 5 Tote | |
und 697 Verletzte auf beiden Seiten hat die Nacht gefordert. Am Morgen | |
fuhren Panzer der Präsidentengarde „zum Schutz des Palastes“ auf, wie es in | |
einer offiziellen Erklärung hieß. Die Armee selbst blieb weiterhin in den | |
Kasernen. | |
Für den Nachmittag wurde eine Ausgangssperre rund um den Palast ausgerufen. | |
Die Armee forderte die Demonstranten ultimativ auf, die Gegend zu räumen. | |
Der Murschid, das Oberhaupt der Muslimbrüder, Mohammed Badie, rief die | |
Muslimbrüder auf, nach Hause zu gehen. Binnen Kurzem leerten sich die | |
Straßen vor dem Palast. | |
Die Opposition hat für den späten Nachmittag neue Märsche angekündigt. Mit | |
der Ausgangssperre rund um den Palast ist der Weg zum ursprünglichen Ziel | |
der Demonstrationen allerdings versperrt. Erwartet wird, dass sich die | |
Opposition wieder auf dem Tahrirplatz versammeln wird. | |
Zwei Fragen bleiben offen: Warum hat die Präsidentengarde nicht schon in | |
der Nacht Panzer auffahren lassen, um die Straßenkämpfe zu beenden? Und | |
wenn der Murschid seine Anhänger so an- und ausschalten kann: Trägt er dann | |
nicht die volle Verantwortung für die Eskalation? | |
6 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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