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# taz.de -- Friedensnobelpreis für die EU: Von Madrid nach Bukarest
> Die Europäische Union mag Kriege verhindert haben. Beim Thema
> Menschenrechte hat sie noch viel Arbeit vor sich: Sechs Beispiele aus
> sechs Ländern.
Bild: Die EU hat noch viel Integrationsarbeit vor sich: Eine Roma-Familie in de…
PARIS taz | Abdulkader Guled Said ist mittlerweile 34 Jahre alt und lebt
als „Sans Papiers“ im Untergrund. Aber anders als andere Einwanderer ohne
Aufenthaltserlaubnis ist der somalische Fischer nicht freiwillig hier – man
hat ihn geholt.
Vor vier Jahren wurde Guled unweit der somalischen Küste in einem Fahrzeug
zusammen mit somalischen Piraten festgenommen und nach Frankreich gebracht.
Am Seeräuberangriff auf eine französische Luxusjacht war er nicht
beteiligt, weshalb ihn der französische Richter im Juni 2012 freisprach. Da
hatte er bereits vier Jahre hinter Gittern verbracht und litt unter
schweren psychische Störungen. Trotzdem wurde er einfach mittellos auf die
Straße gesetzt.
Zurück nach Somalia kann Said nicht: Er hat der französischen Polizei die
Namen somalischer Piraten genannt. Sein Asylgesuch blieb trotzdem
unbeantwortet – und die Justiz will ihm für die unschuldig in Haft
verbrachten vier Jahre gerade mal 90.000 Euro geben. Normal wären 450.000
Euro. Zu allem Überfluss führen französische Xenophobe im Internet eine
Hetzkampagne gegen den ihrer Ansicht nach bloß aus Mangel an Beweisen aus
der Haft entlassenen Somalier, dessen Anwalt sich auch noch erfreche, einen
legalen Status für seinen Klienten einzufordern. RUDOLF BALMER
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ATHEN taz | Mohammed Akibir ist 35 Jahre alt. Vor fünf Jahren floh er aus
einer Taliban-dominierten Region im Norden Afghanistans nach Griechenland.
Dort wanderte er fünf Monate herum, bis er endlich begriff, dass er Asyl
beantragen muss. Eine Antwort auf seinen Antrag hat er bis heute nicht
erhalten.
Dabei hat Akibir alles richtig gemacht: Alle sechs Monate ging er zur
Polizei und fragte, was mit seinem Antrag los sei. Ohne Ergebnis. In dieser
Zeit erhielt er weder Geld für Essen noch Essensmarken, hatte keinen
Schlafplatz und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch.
Vor kurzem hörte Akibir vom Rückführungsprogramm der Internationalen
Organisation für Migration (IMO). Die bietet Migranten einmalig 300 Euro
und ein Ticket in die jeweiligen Heimatländer. Akibir bewarb sich – denn
mitlerweile will er lieber zurück nach Afghanistan, als weiter im
EU-Mitgliedstaat Griechenland zu vegetieren.
Selbst wenn die Rückkehr gelingt: Er wird mit mehr als leeren Taschen zu
Hause ankommen. Denn um seine Reise in den goldenen Westen zu finainzieren,
hatte er 6.000 Euro Schulden gemacht. Akibir hat keine Idee, wie er das
Geld jemals zurückzahlen soll. Deswegen und wegen der Taiban hat er „große
Angst, nach Hause zu kommen“. RUTH REICHSTEIN
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MADRID taz | Es ist wieder ruhig geworden um María Luisa Muñoz Díaz. 2009
gewann die heute 56-jährige Romni vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg einen langjährigen Rechtsstreit gegen den
spanischen Staat. Die Rentenversicherung hatte sich geweigert, ihr die
Witwenrente zu bezahlen. Denn „La Nena“ – wie ihre Freunde die Mutter von
sechs Kindern nennen – war weder kirchlich getraut, noch hatte sie vor dem
Standesamt ihr Ja-Wort gegeben.
Sie verheiratete sich in jungen Jahren nach dem Ritual ihrer Ethnie und
lebte das, was sie unter Ehe versteht: „Treue, Kinder und eine
Hochzeitsfeier im Kreise der Unseren“. Als ihr Mann starb, weigerte sich
die Sozialversicherung, die Witwe anzuerkennen. Neun Jahre zog Muñoz Díaz
von Gericht zu Gericht. Schließlich musste Spanien der Blumenverkäuferin
aus Madrid 75.000 Euro nachbezahlen und ihr fortan monatlich die Rente
überweisen.
Doch trotz des Urteils im Falle „La Nena“ wurde die Rechtslage nicht
geändert. Die 800.000 Roma in Spanien werden sozial diskriminiert. Nur zwei
von zehn Roma-Kindern haben einen Schulabschluss. Die Minderheit ist
überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Krise verschärft
diese prekäre Lage noch. REINER WANDLER
## RUMÄNIEN: Rausschmiss für einen Kuss
BUKAREST taz | Nur wenige Lesben und Schwule haben den Mut, sich öffentlich
zu outen – obwohl Homosexualität schon seit den 1990ern nicht mehr strafbar
ist. Auch die 28-jährige Sasha wünscht, dass ihr Name nicht in einer
Zeitung steht. Obwohl das, was ihr zugestoßen ist, weder ein Thema für die
rumänische Presse noch für das sonst so sensationshungrige TV war.
Einzelheiten über ihren Fall erfuhren wir von der Direktorin der
Schwulenorganisation „Accept“, Irina Nita. Sie vermittelte auch den Kontakt
zu Sasha, die drei Jahre lang im Callcenter einer Bukarester Firma
arbeitete. Bis im Frühjahr dieses Jahres. Ein Mitarbeiter hatte beobachtet,
wie sie eine Bürokollegin küsste – und meldete dies der Firmenleitung. Die
Reaktion war ein Verweis. Sasha protestierte.
Es folgten drei weitere Verweise – wegen „Missachtung firmeninterner
Verhaltensregeln“. Mit der Begründung „indisziplinäres Verhalten“ erfol…
schließlich der Rausschmiss. Sasha fühlt sich diskriminiert, da ein Kuss
heterosexueller Paare innerhalb der Firma keineswegs als anstößig empfunden
oder gar geahndet wurde. Im Juni klagte sie. Das Urteil steht noch aus.
„Die Rumänen sind intolerant“, sagt sie verbittert, „und die Homophobie
dominiert nach wie vor das rumänische öffentliche Leben.“ WILLIAM TOTOK
## ITALIEN: Das Europa der Wunden
ROM taz | Bahnhof Turin. Auf Gleis 10 steht der Zug nach Bologna. Hinter
der Fensterscheibe setzt Amir sich die Kopfhörer für sein iPhone auf:
Samhini yamma, von Ashref. Vom Bahnsteig winkt ein Junge mit rot geweinten
Augen: sein bester Freund. Sie wuchsen zusammen auf, in Sfax in Tunesien,
und zusammen fuhren sie mit dem Boot nach Lampedusa. Jetzt kommt der
Abschied.
Amir fährt nach Parma zu seinem Onkel, Hasan zu einem Freund nach Paris.
Beide wurden gerade entlassen aus dem Abschiebezentrum von Turin nach sechs
Monaten Haft. Jetzt machen sie sich wieder auf die Reise – aber mit großer
Bitterkeit. Aus ihrem Europa der Träume wurde das Europa der Wunden.
Zum Beispiel die Wunden, die Amir unter dem linken Hemdärmel verbirgt. Sie
reichen vom Bizeps bis zum Handgelenk. Es war am Tag der Revolte im
Abschiebezentrum. Sechs Polizisten verprügelten ihn. Amir schlug ein
Fenster ein und schnitt sich mit einer Scherbe die Adern auf.
In der Tasche hat Amir einen Ausweisungsbescheid. Noch vier Tage hat er,
bevor er das Land verlassen muss. Danach ist er erneut ein „Illegaler“.
Sollte er kontrolliert werden, kommt er gleich wieder ins Abschiebelager.
GABRIELE DEL GRANDE Aus dem Italienischen Michael Braun.
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PRAG taz | Ein Nikolausgeschenk wollte die Ukrainerin Anastasia Hagen den
tschechischen Abgeordneten sicher nicht präsentieren, als sie am 6.
Dezember mit entblößter Brust vor dem tschechischen Parlament
demonstrierte. Sondern auf ihren Fall aufmerksam machen, der nach einer
mehrjährigen Irrfahrt durch die Asylheime nun höchstwahrscheinlich in einem
ukrainischen Gefängnis enden wird.
Das droht der Mutter von drei kleinen Kindern in ihrem Heimatland. Ihr
Verbrechen: sie ist ein Pornostar. Unter dem Künstlernamen Wiska hat sie
Pornofilme gedreht. In der Ukraine ist das eine Straftat. Als ihr dort die
Behörden vor knapp zwei Jahren mit der Wegnahme ihrer Kinder drohten, floh
Anastasia Hagen mit ihrer Familie nach Tschechien. „Hier sind die Leute
sehr nett und tolerant“, erklärte sie.
Ganz so tolerant nun wohl doch nicht. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Jetzt
droht ihr die Ausweisung in die Ukraine. Sie wird dort in eine
„Besserungsanstalt“ kommen, ihre Kinder, das jüngste davon wurde letztes
Jahr in Tschechien geboren und ist staatenlos, in ein Kinderheim. Die
tschechischen Behörden geben sich uneinsichtig, die ukrainischen, so
Aktivistinnen, warten schon auf sie. Sobald die „Pornomama“ ukrainischen
Boden betritt, wollen sie zuschnappen. ALEXANDRA MOSTYN
10 Dec 2012
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Schuldenrückkauf in Griechenland: Wieder eine Milliarde mehr
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Preisen als geplant. Athen braucht nun mehr Geld als bisher vorgesehen.
Kommentar Wahl in Rumänien: Sozen sind nur das kleinere Übel
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Das Beispiel Ungarn zeigt aber, dass die Organisation sich in solchen
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endlich repräsentiert – bislang treffen die Staatschefs ihre Entscheidungen
lieber alleine.
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Oslo den Friedensnobelpreis ab. Wer sich dafür bedankt, ist noch unklar.
Friedensnobelpreis für die EU: Jetzt also auch wir. Danke, ganz lieb.
Kommt diese Ehrung zur Unzeit – jetzt, wo dem Projekt die Luft ausgeht?
Oder ist sie womöglich doch ein kleiner, nützlicher Beitrag zur
europäischen Identität?
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Kommentar Friedensnobelpreis für EU: Humor haben sie, die Norweger
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diese nun mit dem Friedensnobelpreis aus. Das ist schon lustig.
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