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# taz.de -- Fall Mollath: Von Wahn und Sinn
> Merkwürdig kann Gustl Mollath schon erscheinen und seine Geschichten
> können auch an Verschwörung erinnern. Aber: Vieles stimmt auch.
Bild: Womöglich sieben Jahre grundlos in der Psychiatrie: Gustl Mollath.
BAYREUTH taz | Wer Gustl Mollath in der Klinik für Forensische Psychiatrie
am Bezirkskrankenhaus Bayreuth besucht, kann den Eindruck bekommen, der
Mann wäre zumindest ein bisschen seltsam. „Sind sie eher dick oder dünn?“,
fragt der 56-jährige Reifenhändler und Oldtimer-Restaurateur aus Nürnberg
die Besucherin vorab am Telefon. „Sie klingen so quirlig.
Das lässt auf eine Überfunktion der Schilddrüse schließen, und dann müssten
sie eher dünn sein“, führt er aus. Das ist keine schlimme Frage. Aber doch
eine, die irritiert und den üblichen Gepflogenheiten eines Gesprächs
zwischen Unbekannten am Telefon nicht entspricht. Säße der Mann nicht in
der Psychiatrie, wäre diese Konversation vermutlich nie im Gedächtnis
geblieben.
Weil es aber in Mollaths Fall genau darum geht, um die eindeutige
Beurteilung seines Geisteszustandes und um die exakte Eingruppierung
desselben in die Kategorien „krank“ oder „gesund“, bleibt unweigerlich
alles hängen, was dem beurteilenden Gegenüber als abweichend von der Norm
erscheint.
Seit fast sieben Jahre sitzt Gustl Mollath gegen seinen Willen in
verschiedenen geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Einrichtungen in
Bayern. Seit Kurzem wird über seinen Geisteszustand öffentlich diskutiert,
denn sein Fall wird neu aufgerollt. Im August 2006 urteilte die 7.
Strafkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth, Mollath sei „für die
Allgemeinheit gefährlich“.
Mollath wird vorgeworfen, seine ehemalige Frau geschlagen, gewürgt,
gebissen und später im gemeinsamen Haus in Nürnberg gewaltsam festgehalten
zu haben. Außerdem, so das Urteil, habe er an den Fahrzeugen verschiedener
Personen, die etwas mit der Scheidung von seiner Frau zu tun gehabt hätten,
die Autoreifen aufgestochen. Mollath selbst bestreitet all das.
## Bis heute ist Mollath in der Psychiatrie
Obwohl das Gericht ihn für den Täter hielt, wurde er freigesprochen, denn
er habe in „mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt“
und leide unter einer „wahnhaften psychischen Störung“. Bis heute ist
Mollath daher in einer geschlossenen Anstalt.
Eine wichtige Grundlage für die Diagnose über Mollaths Geisteszustand waren
seine detaillierte Schilderungen eines groß angelegten Schwarzgeldskandals,
im Zuge dessen sich mehrere Angestellte der Hypobank, später
HypoVereinsbank (HVB) in den 1990er Jahren der Anstiftung und Beihilfe zur
Steuerhinterziehung und der Geldwäsche im Namen ihrer Kunden strafbar
gemacht haben sollen.
Darunter auch Mollaths Exfrau, die mehr als zehn Jahre in einer Nürnberger
Filiale der Bank als Vermögensberaterin arbeitete. Seit im November 2012
ein interner Revisionsbericht der Bank an die Öffentlichkeit geriet, der
die Vorwürfe in Teilen bestätigt, ist klar: Mollaths Behauptungen von einem
korrupten Bankensystem sind keine Wahnvorstellungen, sondern wahr.
Was bleibt, ist die Frage, wie mehrere Gutachter und in der Folge auch
Staatsanwälte und Richter zu einer solch krassen Fehleinschätzung kommen
konnten, die bis in die höchste Ebene der Politik reicht und die dazu
führte, dass ein Mann, der beharrlich bei seiner Meinung blieb, womöglich
sieben Jahre seines Lebens grundlos im psychiatrischen Maßregelvollzug
verbrachte.
Mollaths Version der Geschichte ist eine in sich geschlossene
Verschwörungstheorie, bei der ein Detail zum anderen passt und die ihn als
Opfer seiner skrupellosen Exehefrau erscheinen lässt, die die Existenz
ihres Mannes zu zerstören suchte, um die eigene zu schützen.
## Fragwürdiger Umgang der Justiz
Mehr noch: Glaubt man Mollath, so haben auch Ärzte, Richter, Staatsanwälte
und Politiker mutwillig dazu beigetragen, die Wahrheit zu vertuschen und
ihn mundtot zu machen, um das illegale Treiben der Bankangestellten zu
decken. Vielleicht ist es aber gerade die Mischung aus der Vehemenz, mit
der Mollath seine Thesen und die Logik seines Weltbildes vertritt, gepaart
mit der menschlichen Neigung, demjenigen, der einmal als wahnsinnig gilt,
nichts mehr zu glauben, die den fragwürdigen Umgang der Justiz mit den
Fakten zumindest erklärt, wenn auch nicht entschuldigt.
Gustl Mollath wirkt nervös, als er den kleinen Besucherraum der Station FP
4 betritt. Seine Unterlippe zittert leicht, als er an einem der kleinen
Holztische Platz nimmt und die Beine übereinanderschlägt. Er trägt das
Gleiche wie immer, wenn man ihn auf Bildern sieht: ein rotes Polohemd,
darüber einen blauen Pullover.
Der schmale Oberlippenbart ist zu einer auffallend akkuraten Linie
gestutzt, das graumelierte Haar gescheitelt. „Ich bin mit nicht viel mehr
hierhergekommen als dem, was ich am Leibe habe“, sagt er erklärend. „Ich
durfte ja nichts mitnehmen, als man mich deportiert hat.“ „Deportiert“,
dieses Wort benutzt er ganz bewusst, ebenso wie er nie von „Patienten“,
sondern immer nur von „Mitgefangenen“ spricht.
Immer wieder im Laufe des knapp dreistündigen Gesprächs zieht er Vergleiche
zwischen seiner Situation und dem Terror der Nazizeit, sieht sich und die
Art, wie ihn die Richter während des Gerichtsverfahrens behandelten, an
Szenen aus dem Spielfilm „Das Urteil von Nürnberg“ mit Maximilian Schell
und Marlene Dietrich erinnert. Noch öfter aber wird er beißend zynisch,
spricht vom „Glück, in diesen wundervollen Krankenhäusern untergebracht zu
sein“. Stimmt neben den Schwarzgeldvorwürfen, die Mollath immer wieder
vorbrachte und denen niemand Glauben schenkte, auch der Rest seiner
Geschichte, ist das wenig verwunderlich.
Jahrelang habe er miterleben müssen, wie seine Frau, mit der er schon mit
22 Jahren zusammenkam – die Liebe seines Lebens, wenn man so will –, in den
1990er Jahren Kundengelder illegal in die Schweiz transferierte, diese
teilweise eigenhändig als Kurierfahrerin hinter dem Rücken der HVB zu einer
Schweizer Privatbank brachte. Je länger das so ging, desto mehr habe er
sich Sorgen gemacht, erzählt Mollath, gefasst, ruhig und mit fast monotoner
Stimme. „Um die klickenden Handschellen zu vermeiden, habe ich darauf
gedrungen, dass meine Frau diese Geschäfte beendet“, sagt er. „Doch meine
Frau wollte nicht auf mich hören.“
## Rosenkrieg zwischen Mollath und seiner Frau
Weil er nicht lockerließ, sei es deswegen immer häufiger zum Streit
gekommen. Der eskalierte, als Mollath im Jahr 2002 damit begann, Briefe an
die Bankvorstände zu schreiben, mit der Bitte, sie mögen das illegale
Treiben seiner Frau unterbinden. „Seit Jahren belasten mich diese
Geschäfte, seelisch und dadurch auch körperlich“, ist darin zu lesen. Als
er zu schreiben beginnt, zieht Mollaths Frau aus dem gemeinsamen Haus aus –
flüchtet zu ihrem Liebhaber, mit dem sie heute verheiratet ist. Ein
HVB-Manager, wie Mollath sagt. Was folgt, ist ein Rosenkrieg, bei dem bis
dato Aussage gegen Aussage steht.
Davon, wie wichtig Mollaths Frau einmal in seinem Leben gewesen sein muss,
ist heute nichts mehr zu spüren. Weder Enttäuschung noch Hass schwingen in
seiner Stimme mit, wenn er von ihr erzählt, und das, obwohl sie es im
Grunde war, die – wenn seine Version der Geschichte stimmt – seine Existenz
mutwillig zerstörte.
So ruhig Mollath vom Drama seiner Ehe erzählt, so aufgebracht wird er, wenn
er über die Gier der Banker und die Verkommenheit des kapitalistischen
Systems doziert. Immer wieder kommt er darauf zurück, bleibt an diesem
Thema hängen. Man merkt, es lässt ihn nicht los. Was der interne
Revisionsbericht der HVB aufdeckt, der Mollath „Insiderwissen“ bestätigt
und aufgrund dessen seine Frau und andere Vermögensberater entlassen wurde,
sei nur ein kleiner Teil der Wahrheit.
„Das ist ein Beispiel dafür, was hier los ist, auch in Bezug auf die
Weltwirtschaftskrise“, sagt er. Eine These, die nach heutigem Wissensstand
sehr viel wahrscheinlicher klingt, als das noch vor ein paar Jahren der
Fall gewesen sein mag. „Es hat mir wehgetan zu sehen, in welche Richtung
die Chose nicht nur in meinem Eheleben, sondern auch weltweit gegangen
ist.“
Klar ist für Mollath aber auch: Richter, Staatsanwälte, Gutachter und
Ärzte, selbst der Pflichtverteidiger, der ihm vom Gericht zugewiesen wurde,
stecken unter einer Decke. „Lügen und betrügen gehört für diese Leute zum
Geschäft“, sagt er aufgebracht. Vor dem Hintergrund seiner Erlebnisse kann
man zu diesem Schluss kommen.
## Er sei „ein schwieriger Mensch“ gewesen
Denn egal, wie oft er seine Unschuld beteuerte und welchen Vorwurf er
brachte, immer wieder bekam er zu hören: „Das sind Ihre Wahnvorstellungen.“
Wenn Mollath die Ärzte parodiert, spricht er mit tiefer,
sedierend-freundlicher Stimme und klingt dabei, als vertone er seinen
eigenen Horrorfilm. „Wir wollen Sie doch hier nicht zerbrechen. Wir achten
doch Rechte und Gesetze.“
Liest man das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, das im Wesentlichen
auf den Aussagen von Mollaths Ehefrau beruht, „an deren Glaubwürdigkeit die
Kammer keinen Zweifel hat“, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Bereits ab
dem „Kennenlernen“ sei er ein „schwieriger“ Mensch gewesen, heißt es d…
Nachdem er mit seinem Geschäft pleiteging, habe er ständig zu Hause vor dem
Fernseher gesessen und begonnen, fixe Ideen zu entwickeln.
Seine „Verteidigungsschrift“, ein „wirres Bündel Papier mit der Übersch…
„Was mich prägte“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, das Mollath dem
Amtsgericht Nürnberg im Zuge der Verhandlung übergab, enthielt auch die
Details zu den Schweizer Bankgeschäften und mag die Aussagen von Mollaths
Frau in den Augen der Staatsanwälte und Richter bestätigt haben.
Wie der Revisionsbericht der HVB zeigt, begingen Richter und Staatsanwälte
jedoch den folgeschweren Fehler: Sie gingen Mollaths Vorwürfen nicht nach.
Stattdessen folgten sie der Argumentation seiner Frau, die auf die
Ferndiagnose einer Ärztin gestützt behauptete, Mollath leide „mit großer
Wahrscheinlichkeit“ an einer ernst zu nehmenden psychiatrischen Erkrankung.
Daraufhin ordnete das Gericht an, Mollath müsse sich von einem
Sachverständigen untersuchen lassen. Womöglich war es nun Mollath selbst,
der einen ebenso folgenschweren Fehler beging. Weil er wusste, dass seine
Aussagen über die illegalen Geldtransaktionen richtig sind, verweigerte er
die Begutachtung, erschien nicht zum Termin und legte stattdessen
Beschwerde gegen die Untersuchung ein.
## Beleg von Mollaths Wahnvorstellungen
Von da ab waren die Fronten klar. Für Richter, Staatsanwälte und Ärzte war
Mollath der „Irre“, dem alles, was seine Frau ihm vorwarf, zuzutrauen war.
Man muss sich Mollaths Glaube an eine Verschwörung nicht zu eigen machen,
um zu dem Schluss zu kommen, dass in seinem Fall einiges nicht so
abgelaufen ist, wie es wünschenswert gewesen wäre.
Dass auch die Aussagen von Mollaths Exfrau einiges an Ungereimtheiten
aufweisen, wurde geflissentlich übersehen. Dass Mollath den Gutachtern
immer wieder das Gespräch verweigerte, werteten die Ärzte als Beleg seiner
Wahnvorstellungen. Gutachten anderer Fachleute, die nicht vom Gericht
bestellt worden waren und die zu einem anderen Urteil über Mollaths
Geisteszustand kamen, erkannte das Gericht nicht an.
Einer davon ist Friedrich Weinberger, der bis 2004 als Facharzt für
Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie in Starnberg tätig war und
der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie vorsteht. Er zeichnet in
seinem Gutachten folgendes Bild von der Persönlichkeit Gustl Mollaths: „Das
eines altruistisch und sozial engagierten, friedfertigen, eher ängstlichen,
etwas zwanghaften, Gerechtigkeit suchenden Menschen.“
Womöglich birgt dieser Satz den Schlüssel zu dem ganzen Dilemma. Weil
Mollath zeitlebens zwanghaft nach Gerechtigkeit suchte und in seinem Eifer
womöglich übers Ziel hinausschoss, sodass es anderen schwerfiel, seinen
Ausführungen Glauben zu schenken, muss der Fall nun sieben Jahre später von
Neuem aufgerollt werden, um die Wahrheit zu finden.
14 Dec 2012
## AUTOREN
Marlene Halser
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