# taz.de -- Prozess: Er hielt sich für Jesus | |
> Im vergangenen Juni enthauptete Orhan S. seine Frau - offenbar im Wahn. | |
Bild: Im Flur des Hauses, wo die Tat geschah. | |
Wieder einmal glaubte Orhan S., der am 24. Dezember geborene Muslim, er sei | |
Jesus. Und wieder einmal glaubte er, Sema, seine Frau, sei der Teufel. Doch | |
am 4. Juni wollte S. erfahren haben, dass die Welt an diesem Tag untergehe, | |
aber erst dann, wenn er seinen Auftrag ausgeführt habe: Er sollte den | |
Teufel umbringen. | |
Darum zog S. die Mutter der gemeinsamen sechs Kinder an den Haaren in die | |
Küche, wo er zwei Messer aus dem Besteckkasten nahm. Er zerrte seine Frau | |
auf die Terrasse und stach sie in den Hals, die Lunge und das Herz. Um | |
sicherzugehen, dass sie tot war, begann er, den Körper zu zerstückeln. | |
Unter den Augen der schreienden Nachbarn trennte er den Kopf sowie die | |
rechte Brust ab und warf sie vom fünften Stock in den Hof des Hauses in der | |
Köthener Straße. | |
Zwanzig Minuten später versuchten sechs Polizisten, Orhan S. festzunehmen. | |
Doch weder Reizgas noch Schlagstöcke beeindruckten den Täter. „Ich hatte | |
nie so massiven Widerstand erlebt“, sagte einer der Beamten, die gestern | |
beim Prozessauftakt gegen Orhan S. vor dem Landgericht als Zeugen gehört | |
wurden. | |
Die Anklage gegen den 34-Jährigen lautet auf Mord und Widerstand gegen | |
Vollstreckungsbeamte. Doch es gibt ein psychiatrisches Gutachten, in dem | |
von einer paranoid-halluzinatorischen schizophrenen Störung die Rede ist. | |
Deshalb könnte der Täter strafrechtlich gesehen schuldlos sein. Wenn dem so | |
ist, würde er nicht zu lebenslanger Haft verurteilt, sondern zu einem | |
Aufenthalt in der forensischen Psychiatrie, die er erst verlassen kann, | |
wenn ihm ein Psychiater Ungefährlichkeit bescheinigt. | |
Mit sanfter Stimme, geradezu sachlich schildert der kräftige Mann im | |
Gerichtssaal seine damalige Lebenssituation und die Tat. 1999 hätten ihn | |
seine Eltern in die Ehe mit Sema gezwungen. Es war keine Liebesheirat, aber | |
man habe sich aneinander gewöhnt. „Ich wusste, dass ich immer mit ihr leben | |
werde“, sagt S. Liebe fühlte er dagegen zu seiner iranischen Nachbarin | |
Layla, mit ihr konnte er sich unterhalten und Späße machen. Zwei Kinder | |
entstanden aus der nichtehelichen Beziehung, die fast zehn Jahre dauerte. | |
2008 habe sich Layla von ihm getrennt, weil sie seine Kifferei nicht | |
aushielt. Trotzdem habe ihn seine Frau verdächtigt, weiterhin mit der | |
Nachbarin fremdzugehen. Ständig stritt sich das Ehepaar. | |
An jenem Sonntag sei er bis 23 Uhr bei seiner Schwester gewesen, so S. Dann | |
habe ihn sein zwölfjähriger Sohn gebeten, nach Hause zu kommen. Als die | |
Kinder schliefen, habe er einen Joint nach dem anderen geraucht – bis zur | |
Tat. In den Jahren zuvor nahm Orhan S. gegen die Wahnzustände | |
Psychopharmaka. Die hätten ihn aber müde gemacht: „Ich habe mehr | |
geschlafen, als ich wach war.“ Zudem habe er gekifft, etwa zehn Joints am | |
Tag. Sein Arzt habe ihn gewarnt, die Wirkung der Medikamente werde unter | |
der Droge abnehmen. Sechs Monate vor der Tat habe er die Tabletten | |
abgesetzt. Bei seiner Tat habe er geglaubt, etwas Gutes zu tun. Laut einem | |
der Polizisten im Zeugenstand, der S. ins Krankenhaus begleitete, habe | |
dessen Mimik darauf schließen lassen, „dass er zufrieden war“. | |
6 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Uta Eisenhardt | |
## TAGS | |
Justizskandal | |
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