Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gesundheitswesen in Spanien: Die große Wut der „weißen Flut“
> Seit Wochen demonstrieren Ärzte und Klinikangestellte in Madrid gegen
> Einsparungen im Gesundheitssystem. Die Proteste zeigen erste Erfolge.
Bild: Gleich knallt's: Ein Mädchen bei den Protesten mit einem Ballon auf dem …
MADRID taz | „Seit Anfang November gehen wir zweimal täglich auf die
Straße“, erklärt Marta Otaduy. Um 11 Uhr morgens und 18 Uhr abends ziehen
Dutzende Beschäftigte der Madrider Universitätsklinik La Princesa um den
Häuserblock in der Innenstadt
Sie tragen ihre Arbeitskleidung. Namensschilder weisen sie als Ärzte,
Krankenschwestern, Pfleger oder Hilfspersonal aus. Otaduy fehlt nie.
„Chefkrankenschwester der Psychiatrie“ steht auf ihrem Dienstausweis.
„Öffentliches Gesundheitswesen“ und „Die Bürger wollen keine öffentlic…
Gelder für die Privaten“, rufen die Demonstranten wütend.
Am 31. Oktober legte die Landesregierung von Madrid einen „Plan für ein
nachhaltiges Gesundheitssystem“ vor. In Wirklichkeit geht es um
Haushaltskürzungen von sieben Prozent, die Einführung einer Rezeptgebühr
sowie um die Privatisierung von sechs Krankenhäusern und 27
Gesundheitszentren in den Stadtteilen. La Princesa, eine hochspezialisierte
Klinik, die für ihre universitäre Ausbildung und Forschung bekannt ist,
soll zum Krankenhaus für Altersschwache werden.
## Protestzug mit Zehntausend Menschen
Der Protestzug rund um La Princesa mutet seltsam an, hier in den großen
Boulevards der spanischen Hauptstadt. Es ist das Viertel der Wohlhabenden.
Die Konservativen von Premier Mariano Rajoy, die Spanien, das Land Madrid
und das Rathaus der Hauptstadt regieren, gewinnen hier alle Wahlen
haushoch.
„Sie dachten, sie können alles machen. Aber da haben sie sich getäuscht“,
sagt Otaduy. „Es vergingen keine 24 Stunden, da waren wir zum ersten Mal
auf der Straße“, berichtet Otaduy, die seit 23 Jahren in La Princesa
arbeitet. Dutzende Beschäftigte schlossen sich in der Aula im Erdgeschoss
des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert ein. Rund Zehntausend Menschen aus dem
Stadtteil kamen zu mehreren Protestkundgebungen zusammen, um „ihre
Princesa“ zu verteidigen. Pelzmäntel und britisches Wachstuch bestimmten
das Bild.
Andere Kliniken folgten. Eine der wichtigsten Ärztevereinigungen befindet
sich in einem unbefristeten Streik. Nur die Notaufnahme und die Behandlung
von Krebserkrankten funktioniert in Madrid seit Beginn der Proteste noch
normal. In weniger als einem Monat sammelte das Krankenhauspersonal in der
Hauptstadtregion mit sechs Millionen Einwohnern eine Million Unterschriften
für den Erhalt der öffentlichen Krankenversorgung. 600 Chefärzte wandten
sich in einem offenen Brief an das Madrider Gesundheitsministerium. Seit
Anfang November rief die „Weiße Flut“ – wie sich die Bewegung nennt –
viermal zu Großdemonstrationen im Zentrum auf. Zehntausende kamen.
## Schere bei Gesundheit und Bildung
In allen Kliniken entstanden basisdemokratische Aktionskomitees. Den harten
Kern bilden meist junge Assistenzärzte. Alleine im Hospital La Princesa
sind es rund 300, die zwischen dem ersten und zweiten Staatsexamen vier bis
fünf Jahre Erfahrung sammeln. Myriam Alonso ist eine von ihnen. „Eine
Privatisierung des Gesundheitssystems geht auf Kosten der Qualität“, sagt
die 26-jährige Psychologin.
Das Gesundheitssystem ist in Spanien Sache der autonomen Regionen –
vergleichbar mit den deutschen Bundesländern. Jetzt in der Finanzkrise sind
die Regionalregierungen angehalten, ihr Haushaltsdefizit auf ein Prozent zu
senken. Es liegt nahe, bei den beiden größten Posten – Gesundheit und
Bildung – die Schere anzusetzen.
„Wenn sie uns vorrechnen, dass eine private Verwaltung der Krankenhäuser
billiger ist, dann ist das einfach falsch“, sagt Alonso und hat ein
überzeugendes Argument: „Ein privater Dienstleister möchte eine ordentliche
Rendite. Dieses Geld muss aus den laufenden Kosten kommen und steht damit
für die Patientenversorgung nicht mehr zur Verfügung.“
## Teure Behandlungen auf Kosten aller
Die drei Madrider Krankenhäuser, die bereits in privaten Händen sind und
dennoch von der öffentlichen Hand finanziert werden, zeigen, was Alonso
meint. Die Chefetage hält dort die Ärzte an, Kosten zu senken. Patienten
mit teuren Krankheiten werden an komplett öffentliche Einrichtungen
überwiesen.
Außerdem fürchten die Ärzte um ihre Arbeitsbedingungen. Anders als in
öffentlichen Einrichtungen, ist in privaten Krankenhäusern und
Gesundheitsposten kein zweites Staatsexamen nötig. „Das geht auf die
Qualität und drückt die Gehälter“, sagt Alonso.
Bis zum 20. Dezember werden Demonstrationen und Streiks weitergehen. Dann
wird der Haushalt 2013 im Regionalparlament verabschiedet. „Ich glaube,
dass die Regierung ihre Pläne angesichts der Proteste überdenkt“, sagen
Otaduy und Alonso. Eine mündliche Zusage, das Hospital La Princesa als
Universitätsklinik zu erhalten, gibt es bereits.
18 Dec 2012
## AUTOREN
Reiner Wandler
Reiner Wandler
## TAGS
Ärztinnen
Spanien
Gesundheitspolitik
Krise
Ärzte
Sparkurs
Schwerpunkt HIV und Aids
Sparplan
Spanien
Spanien
EU
Spanien
Brüssel
Jugendarbeitslosigkeit
Jugendarbeitslosigkeit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Auswirkungen der EU-Sparpolitik: Die Cholera in Zeiten der Eurokrise
Mehr Selbstmorde, mehr HIV-Neuerkrankungen, Engpässe bei Krebsmedikamenten:
Die EU-Sparpolitik gefährdet die Gesundheit in den Krisenländern.
Spanien kürzt Gesundheitsbudget: In den Kliniken fehlt der Impfstoff
Die spanische Regierung hat das Gesundheitsbudget um 10 Prozent gekürzt.
Betroffen sind vor allem Rentner, die wenig Geld und viele Gebrechen haben.
Wirtschaftskrise in Spanien: Kreativ auf neuen Pfaden
Andalusien hat landesweit die meisten Arbeitslosen. Doch anstatt in
Lethargie zu verfallen, versuchen die Menschen sich neu zu erfinden.
Spaniens Premier und Schmiergeld: Der Bauboom ist schuld
Korruptionsvorwürfe: Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy soll mehrere
Tausend Euro erhalten haben. Die Partei und Rajoy-Sprecherin weisen die
Vorwürfe zurück.
Krisenkurs in Spanien: Die Schmerzgrenze ist erreicht
Während das Parlament in Madrid den Sparhaushalt beschließt, kommt es
erneut zu großen Protesten. Das Defizitziel wird voraussichtlich verfehlt
werden.
Kommentar spanische Regierung: Demokratie? Wozu denn!
Die Sparmaßnahmen der konservativen Regierung lassen die Spanier
zusammenrücken – im Protest. Doch der Glaube an Demokratie geht verloren.
Vor dem EU-Gipfel: Der große Wurf bleibt aus
Berlin bremst die Reform der Währungsunion aus. Weder Eurobonds noch ein
eigenständiges Budget für die Eurozone soll es geben.
Kommentar Jugendarbeitslosigkeit: Kaputtgesparte Generation
Europaweit sind 5,5 Millionen Menschen unter 25 ohne Arbeit. Während
Spanien aber qualifizierte Fachkräfte verliert, profitieren Länder wie
Deutschland.
Arbeitsmarktpolitik der EU: Jobgarantie für Jugendliche
EU-Sozialkommissar Laszlo Andor plant eine Beschäftigungsgarantie für
Europäer unter 27 Jahren. Finnland prescht bereits 2013 vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.