# taz.de -- Wirtschaftskrise in Spanien: Kreativ auf neuen Pfaden | |
> Andalusien hat landesweit die meisten Arbeitslosen. Doch anstatt in | |
> Lethargie zu verfallen, versuchen die Menschen sich neu zu erfinden. | |
Bild: Arbeitsloser in Sevilla. Die Zahl derer, die keinen Job haben, wächst st… | |
SEVILLA taz | Die Kugeln aus Filz und farbigen Seidenresten hat Maria | |
Varona vorn auf der Theke ihres Stands auf dem Kunsthandwerkermarkt in | |
Sevilla ausgebreitet. Mit drei bis fünf Euro pro Stück sind sie für die | |
Marktgänger erschwinglich, ebenso wie die Filzmützen, die Ketten aus | |
Seidenraupenkokons und die Broschen mit Stoffblumen. „Alle Kunsthandwerker | |
haben auch kleinere Sachen gemacht, damit wir auch billigere Dinge haben, | |
die sich die Menschen in der Krise leisten können“, sagt Maria Varona, die | |
sonst Stoffe aus Seide und Filz entwirft und sie bis nach Madrid verkauft. | |
2011 hat Maria Varona ihren Beruf als Architektin aufgegeben, denn die | |
Aufträge wurden nach dem Zusammenbruch der Bauwirtschaft zuerst | |
uninteressant und dann selten. Sie arbeitet gern kreativ und eröffnete ein | |
Atelier in Sevilla. Dort filzt, färbt und näht sie und gibt | |
Architekturkurse für Kinder. 42 Jahre alt war Maria, als sie sich mit ihrer | |
Kreativwerkstatt selbstständig machte, hatte mit Ehemann Carlos zwei | |
Kinder, neun und vier Jahre alt, und wusste, dass sie mit Architektur | |
keinen Cent mehr in Andalusien verdienen würde. | |
Heute steht sie hochschwanger an einem von der Stadt Sevilla gebauten und | |
beworbenen Stand auf dem prestigeträchtigen Kunsthandwerkermarkt und sagt: | |
„Ich denke nicht an die Krise, sondern an etwas Neues, und diese kreative | |
Arbeit gibt mir Kraft.“ Mit den Stoffen verdient sie genug, um den | |
Einkommensverlust ihres Mannes auszugleichen. Carlos lehrt Architektur an | |
der Fachhochschule, sein Gehalt wurde zweimal gekürzt, seine Arbeitszeit | |
verlängert und er sagt: „Ich habe Angst.“ Innerhalb von zwei Jahren ist die | |
Arbeitslosigkeit in Andalusien von 28,5 auf 35,4 Prozent gestiegen. Damit | |
hat die Region die höchste Arbeitslosenrate Spaniens. | |
Andalusien war immer eine der ärmsten Regionen Spaniens und lebte bis zum | |
Bauboom von der Agrar- und Fischwirtschaft, dem Tourismus und Tausenden von | |
kleinen Betrieben, die auch heute das Rückgrat der industrielosen | |
Wirtschaft bilden. Ende der 1990er Jahre begann die „Ära des Betons“, in | |
der Maurer bis zu 4.000 Euro im Monat verdienen konnten, wo der | |
durchschnittliche Lohn bei 1.200 Euro lag. | |
## Teilweise seit Monaten keinen Lohn | |
Wer heute noch so viel verdient, hat Glück. Angestellte erhalten noch zwei | |
Drittel dessen, das sie einst verdienten, Beamten hat die Regierung das | |
Gehalt um bis zu 400 Euro im Monat gekürzt. Angestellte der öffentlichen | |
Verwaltung haben teilweise seit Monaten keinen Lohn bekommen. Die Krise der | |
Bauwirtschaft und der Banken hat sich konsolidiert – und sie ist sichtbar. | |
Jetzt stehen nicht mehr nur die Gerippe von unvollendeten Ein- und | |
Mehrfamilienhäusern herum, sondern auch versteppende Pisten von nie fertig | |
gestellten Schnellstraßen überziehen das Land. Das öffentliche | |
Wirtschaftsleben ist parado – zum Stillstand gebracht. | |
Aber el paro, was Stillstand und Arbeitslosigkeit bedeutet, ist nur die | |
eine Seite des Euro. Auf der anderen gibt den Einfallsreichtum der | |
Andalusier, an den der sozialistische Präsident der autonomen Region | |
Andalusien José Antonio Griñon erinnert, wenn er seine Landsleute | |
auffordert, aus eigener Kraft die Krise zu überwinden. „Die Krise ist | |
kompliziert, und in Europa wurden Fehlentscheidungen getroffen, aber die | |
Zukunft liegt in der Hand der Andalusier.“ Trotz einer gewissen | |
Schockstarre sprechen die Menschen zwischen Sevilla und Granada oft vom | |
autorecreado – davon, sich selbst neu zu erschaffen. | |
So wie Álvaro, 48 Jahre und Dokumentarfilmer aus dem Baskenland, der bis | |
zur Krise mit Regierungsgeld Lehrfilme über Landwirtschaft, Handwerk und | |
Gastronomie in Andalusien und Marokko gedreht hat. Im Baskenland baut er | |
nun eine Kooperative zur Selbstvermarktung von ökologischem Gemüse und | |
Olivenöl aus Andalusien auf. "Was soll ich machen? Es wird nie wieder | |
werden wie zuvor", sagt er und seine Worte klingen nicht resigniert sondern | |
entschlossen. Er findet es "sehr interessant eine andere, regionale | |
Wirtschaft" aufzubauen. | |
Sich geholfen hat auch Patrizia, 22 Jahre. Sie ist gelernte Hotelfachfrau, | |
war arbeitslos, verließ monatelang das Haus nicht, bis sie aus der | |
Lethargie erwachte. Nun arbeitet sie als Tagesmutter und sagt strahlend: | |
„Tengo trabajo!“ – Ich habe Arbeit! | |
19 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
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