# taz.de -- Pro und Contra Überwachung: Braucht es mehr Kameras? | |
> Einerseits mögen Kameras bei der Täterermittlung helfen. Andererseits: | |
> Straftaten scheinen sie nicht zu verhindern. Zwei Positionen. | |
Bild: Kompromissvorschlag: Kameras aufmalen | |
JA. Um festzustellen, wer die Bombe auf dem Bonner Bahngleis platziert hat, | |
starren die Ermittler nun also auf die mangelhaften Filmaufzeichnungen, die | |
die Schnellrestaurantkette McDonald’s zur Verfügung stellt. Denn die Bilder | |
der Bahn-Videokameras vom Bahnsteig wurden nicht gespeichert. Gespeichert | |
wird nur in sehr großen Bahnhöfen. | |
Kaum ein Beispiel zeigt besser, wie absurd die Datenschutzdebatte beim | |
Thema Videoüberwachung ist. Welcher Bürger würde sich in seinen Rechten | |
eingeschränkt fühlen, wenn die Bahn die Aufzeichnung seines | |
Bahnsteigaufenthalts nicht nur im Hamburger oder Berliner Hauptbahnhof, | |
sondern auch in Bonn oder Altenbeken speichern würde? Doch gelten Freiheit | |
und Sicherheit offenbar als ausreichend abgewogen, wenn Provinzbahnhöfe | |
bloß beobachtet werden, die Beobachtungsbilder von Metropolenstationen | |
dagegen auch kurzfristig gespeichert werden. | |
Sicherheits- und Freiheitsempfinden funktionieren subjektiv und sind leicht | |
manipulierbar. Das lässt sich schon daran erkennen, dass zwar halb | |
Großbritannien observiert wird – „CCTV in operation“ steht auf unzählig… | |
Schildern –, aber die Idee eines Personalausweises dort kaum vermittelbar | |
ist. | |
Der Bonner Terrorist wird möglicherweise nie verraten, ob er dachte: Hier | |
kann ich meine Bombentasche zwar beobachtet, aber ungespeichert abstellen. | |
Der Vorgang zeigt jedoch, dass Videoüberwachung ein Mittel ist, das nach | |
Speicherung geradezu verlangt. Wozu sonst der Aufwand? Beobachtet der | |
Mensch an den Monitoren eine Straftat nur live, wird das Personal zum | |
Eingreifen oft zu spät kommen. Mit einer Speicherung lassen sich immerhin | |
die Täter leichter ermitteln. | |
Die notwendige Abwägung zwischen Freiheitseinschränkung und dem | |
Sicherheitsertrag – hier fällt sie zugunsten der konsequenten Nutzung aus. | |
Die Speicherung von Videoaufnahmen ist verhältnismäßig. ULRIKE WINKELMANN | |
NEIN. Noch kein Innenminister hat die Gelegenheit ausgelassen, nach | |
spektakulären Gewalttaten – ganz gleich ob vollzogen, gescheitert oder | |
vereitelt – mehr Befugnisse für die Sicherheitsorgane zu fordern. Ob der | |
Täter ermittelt oder flüchtig ist, ist dabei einerlei. Je größer die | |
öffentliche Aufmerksamkeit, desto zuverlässiger ist dieser Reflex. | |
Nun soll der gescheiterte Anschlag im Bonner Hauptbahnhof als Grund für | |
eine noch stärkere Überwachung öffentlicher Räume herhalten: Die Medizin | |
gegen Terror war nicht falsch, die Dosis war nur zu niedrig. | |
Doch wer verrückt genug ist, im religiösen Wahn eine belebte Bahnhofshalle | |
sprengen zu wollen, wird sich nicht von Kameras abhalten lassen. Bei | |
anderen Arten von Gewaltkriminalität ist es ähnlich: Alles, was man weiß, | |
deutet darauf hin, dass sich die Häufigkeit von Straftaten nicht | |
verringert. Mit der verhütenden Wirkung ist es nicht weit her. | |
Zudem ist die Videoüberwachung ein überwiegend privates Unterfangen. Denn | |
die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum ist fließend. Im Visier | |
stehen deshalb im Regelfall auch keine Terroristen, sondern jene, die im | |
privatisierten öffentlichen Raum unerwünscht sind: Obdachlose und Bettler. | |
Sie werden genauso verdrängt wie die Kriminalität, die man eigentlich | |
eindämmen will. | |
Natürlich gibt es Fälle, in denen Straftaten mit Videobildern aufgeklärt | |
werden konnten. Das ändert nichts daran, dass jede dieser Aufzeichnungen | |
das Persönlichkeitsrecht verletzt. Nicht der Einzelne muss deshalb | |
begründen, warum er nicht gefilmt werden will – der Staat muss | |
rechtfertigen, dass es geboten ist. Die Anforderung an solche | |
Grundrechtseingriffe lautet: Sie müssen verhältnismäßig sein. | |
Wohin diese Art von Innenpolitik führt, zeigt sich jedoch in | |
Großbritannien: Bahnhöfe und Busse, Parks, Straßen und Parkplätze – sie | |
alle gelten als potenziell gefährliche Orte. Was dort geschieht, wird | |
aufgenommen. Das ist nicht verhältnismäßig, es ist maßlos. CHRISTIAN JAKOB | |
18 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
U. Winkelmann | |
C. Jakob | |
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