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# taz.de -- Nach der Bonner Bombe: Rot-Grün gegen mehr Kameras
> SPD und Grüne geißeln den Vorstoß des Innenministers für mehr
> Videoüberwachung als „Scheindebatte“. Friedrich selbst rudert zurück.
Bild: Berlin Alexanderplatz: Einer der meistgefilmten Orte Deutschlands
BERLIN taz | Der U-Bahnhof unter dem Berliner Alexanderplatz ist einer der
am besten überwachten Orte Deutschlands. Zwei Kameras filmen permanent
jeden Bahnsteig, eine am vorderen, eine am hinteren Ende. Eine weitere
Kamera ist in einer Infosäule installiert. Sie springt an, wenn ein
Fahrgast einen Knopf drückt, um um Rat zu fragen – oder um Hilfe zu rufen.
Trotz dieser Dauerüberwachung kommt es immer wieder zu brutalen
Übergriffen. Zuletzt prügelten sechs junge Männer einen 21-Jährigen tot.
Dies berührt den Kern der Frage, die nun auf Bundesebene erneut diskutiert
wird: Was bringt Videoüberwachung, wenn sie doch meist die Tat an sich
nicht verhindert?
## Wer ist schuld?
Nach dem gescheiterten Bombenanschlag in Bonn und der Forderung von
Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nach mehr Kameras an öffentlichen
Plätzen und Bahnhöfen ist dieser alte Streit auf Bundesebene wieder neu
entbrannt. Eine Ministeriumssprecherin präzisierte die Einlassung ihres
Chefs am Montag: Friedrich habe keine Ausweitung gesetzlicher Regelungen im
Sinn. „Ziel ist es vielmehr, im Rahmen der geltenden Regelungen alle
Möglichkeiten auszuschöpfen.“
Diese sind in Deutschland vielfältig. Im Bonner Hauptbahnhof ist ein halbes
Dutzend Kameras installiert. Dennoch gab es keine Bilder von
Tatverdächtigen, weil diese nicht gespeichert wurden. Deutsche Bahn und
Bundespolizei schieben sich gegenseitig die Schuld zu: Die Bundespolizei
entscheide über die Speicherung, so die Bahn. Die Bundespolizei entgegnete,
die Bahn sei nicht bereit, zusätzliche Aufzeichnungskapazitäten zu
bezahlen.
Friedrichs Forderung ist also erst mal nur ein Appell, der Innenminister
will Tatkraft signalisieren. Seine Sprecherin führte als Beleg des Nutzens
einer stärkeren Überwachung Zahlen an: Im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis
zum 30. April 2012 seien mittels Videotechnik 3.639 strafrechtliche Delikte
entdeckt worden. Durch den Videobeweis hätten 1.230 aufgeklärt werden
können. Dies sei eine Aufklärungsquote von fast einem Drittel der
entdeckten Delikte.
## Neuer Streit in der Koalition
Die Union stellte sich hinter den Minister. Friedrich habe die „volle
Unterstützung“ der Partei, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Auch
Hans-Peter Uhl, Innenexperte der Unionsfraktion, stimmte Friedrich zu. Die
Frage der Kostenteilung zwischen privaten Betreibern und
Sicherheitsbehörden dürfe nicht zu „Sicherheitslücken“ führen, sagte Uh…
Die Erfahrungen mit dem gescheiterten Bonner Attentatsversuch zeigten
deutlich, „dass Videokameras umfangreich genutzt werden sollten“.
Allerdings sei eine Videokamera ohne zumindest befristete Aufzeichnung so
wenig sinnvoll „wie ein Polizeiauto ohne Reifen“.
Mit der Debatte droht der Koalition ein neuer Streit. Denn während
innerhalb der Union die Rufe nach mehr Überwachung lauter wurden, regten
sich in der FDP Zweifel. Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich zurückhaltend. Videoüberwachung sei
kein Allheilmittel, sagte eine Sprecherin. Sie könne nie solide
Polizeiarbeit, solide Arbeit von Sicherheitsbehörden ersetzen. Die um ihre
Existenz kämpfende FDP hält im Datenschutz die Flagge hoch, so die
Botschaft.
Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar sagte, seine „Kolleginnen und
Kollegen in den Ländern und ich haben in der Vergangenheit keine Bedenken
gegen die Videoüberwachung an gefährdeten Orten geäußert. Dass die
Bahnsteige von Großstadtbahnhöfen dazu gehören, daran besteht kein
Zweifel.“
Die Opposition sieht Friedrichs Vorstoß kritisch. Eine Ausweitung der
Videoüberwachung „führt nicht notwendigerweise zu mehr Sicherheit“, sagte
Grünen-Chefin Claudia Roth. „Sie nährt viel eher die Überwachungsfantasien
des Innenministers, der es nicht schafft, die Sicherheitsbehörden zu
effizienten und verlässlich funktionierenden Behörden zu reformieren, und
dafür auf mehr staatliche Kontrolle und Repression setzt.“ Eine Regierung,
die Bürgern pauschal das Vertrauen entziehe, schütze nicht vor Terrorismus,
argumentierte Roth.
Ähnlich sieht das Michael Hartmann, Innenexperte der SPD-Fraktion. „Mehr
Kameras erhöhen nicht die Sicherheit. Wenn die Bundespolizei nicht genug
Personal vor Ort und vor den Bildschirmen hat, bringen Kameras überhaupt
nichts.“ Statt eine „Scheindebatte“ zu forcieren, müsse Friedrich endlich
die Bundespolizei reformieren.
17 Dec 2012
## AUTOREN
J. Amberger
U. Schulte
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