# taz.de -- Kabinett berät über Maßnahmen: Neue Rezepte gegen Burn-out | |
> Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt. Betriebe könnten bald | |
> gesetzlich verpflichtet werden, Stressfaktoren zu reduzieren. | |
Bild: Kann der Bundestag helfen? Burnout-Erkrankungen nehmen zu. | |
BERLIN taz | Beate Uhlenhoff* fühlt sich wieder gut: „Mein Leben ist nicht | |
mehr die eine große Baustelle.“ Ein Jahr zuvor ging bei der 47-Jährigen, | |
die in einer Hamburger Werbeagentur arbeitet, nichts mehr. | |
Uhlenhoff war ein Burn-out-Fall, so das allzu verallgemeinernde Schlagwort | |
für diverse psychische Erkrankungen, darunter Depressionen, Angst- oder | |
Schlafstörungen, gepaart mit dem Gefühl völliger Erschöpfung. „Ich war | |
physisch und psychisch am Ende, hatte einen Zusammenbruch, Sprach- und | |
Gedächtnisstörungen und konnte mich teilweise nicht mehr orientieren“, sagt | |
Uhlenhoff. „Es fühlte sich an wie Pseudo-Alzheimer.“ | |
Lange glaubte sie, stressresistent zu sein, arbeitete in leitender Position | |
bis zu 60 Stunden die Woche. „Aber der Druck wurde immer größer, ich konnte | |
ihn nicht mehr abwehren. Familie und Freunde mussten zurückstecken, meine | |
Gedanken kreisten nur noch darum, wie schaffe ich die nächsten | |
Arbeitstage.“ | |
Uhlenhoff ist kein Einzelfall. Die Krankenkassen vermelden jedes Jahr, dass | |
die Anzahl der Fehltage im Job aufgrund psychischer Erkrankungen immer | |
weiter steigt. Klar ist, nicht jede psychische Erkrankung ist allein auf | |
den Job zurückzuführen. Familiäre Probleme sind ebenso ein Stressauslöser. | |
Aber Wissenschaftler sind sich einig: die Anforderungen im Beruf sind | |
gewachsen, Arbeit und Freizeit verschwimmen zunehmend. Psychische | |
Erkrankungen können die Folge sein. | |
## Freiwillig passiert nichts | |
Die Gewerkschaft IG Metall fordert deswegen eine Anti-Stress-Verordnung. Es | |
geht der Gewerkschaft nicht vornehmlich darum, neue Paragrafen im | |
Arbeitsschutzgesetz zu verankern. Sondern den dort nur allgemein | |
formulierten Anspruch der Beschäftigten auf den Schutz ihrer Gesundheit in | |
einer nachgelagerten Verordnung auch für psychische Belastungen konkret | |
auszubuchstabieren. Bisher gibt es solche verpflichtenden Verordnungen für | |
Gefahrenstoffe oder Lärm, aber nicht für psychische Belastungen. | |
Mit einer Anti-Stress-Verordnung wüssten die Arbeitsaufsichten, auf welche | |
Stressfaktoren sie zu achten hätten. Und die Arbeitgeber wären gezwungen, | |
zu handeln. „Sie bewegen sich nur, wenn Verpflichtungen existieren“, sagt | |
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. | |
Aber Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zögert. Zwar berät | |
das Kabinett diesen Mittwoch, die Begriffe „psychische Belastungen“ und | |
„psychische Gesundheit“ in das Arbeitsschutzgesetz aufzunehmen. Aber eine | |
Verordnung sieht man skeptisch. Sie würde „’nur‘ bestehende Regelungen | |
konkretisieren“, heißt es aus dem Ministerium. Betriebsklima oder | |
Entscheidungsspielräume ließen sich zudem „kaum zum Gegenstand | |
verbindlicher Regelungen auf Verordnungsebene machen“. | |
Aber vielleicht fürchtet das Ministerium auch die Bundesvereinigung der | |
Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die lehnt bereits die aktuelle | |
gesetzliche Änderung ab. Und sagt: „Eine Anti-Stress-Verordnung ist | |
überflüssig.“ Die BDA sieht die wesentlichen Ursachen für psychische | |
Erkrankungen vielmehr „in genetischen und entwicklungsbedingten Faktoren, | |
im familiären Umfeld, im Lebensstil und im Freizeitverhalten“. | |
## Die Macht der Arbeitgeber | |
Doch der Druck auf die Regierung wächst. Ende November haben sich auch die | |
Arbeits- und Sozialminister der Länder einstimmig für eine Verordnung | |
ausgesprochen. Hamburg bereitet derzeit eine entsprechende | |
Bundesratsinitiative vor. | |
Damit könnte Deutschland aufholen, denn es ist in Sachen Schutz vor | |
psychischen Belastungen in Europa allenfalls Mittelmaß. Als 2004 eine – | |
unverbindliche – EU-Rahmenvereinbarung zur Vermeidung von Stress am | |
Arbeitsplatz verabschiedet wurde, erließen 13 Mitgliedstaaten neue Gesetze. | |
Deutschland war nicht darunter. Als Vorreiter beim modernen Arbeitsschutz | |
gilt Dänemark. Dort wird jeder Betrieb auch auf psychosoziale Belastungen | |
überprüft. Läuft etwas bedenklich, werden die Arbeitgeber verpflichtet, mit | |
konkreten Maßnahmen gegenzusteuern. | |
Beate Uhlenhoff ist derweil wieder auf den Beinen. Ein schneller Platz in | |
einer Psychotherapie, eine längere Krankschreibung, eine fünfwöchige Reha, | |
aber auch Antidepressiva halfen ihr dabei. Und nicht zuletzt | |
verständnisvolle Kollegen, denen sie alles erzählte. „Heute arbeite ich | |
nicht mehr als fünfzig Stunden die Woche und kontrolliere, bis zu welchem | |
Punkt es mir noch gut geht.“ Ein Achtsamkeitstraining mit Yoga und | |
Meditation hilft ihr dabei. | |
Sie wünscht sich mehr Aufklärung über das Thema, „aber auch Vorgesetzte, | |
die begreifen, wann es Zeit ist, die Mitarbeiter nach Hause zu schicken“. | |
*Name geändert | |
19 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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