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# taz.de -- Linken-Chefin Kipping über Arbeit: „Es geht um das gute Leben“
> Jeder sollte zwei mit Steuern bezahlte Jobpausen einlegen können, fordert
> Katja Kipping. Es gehe um weniger Stress und mehr Selbstbestimmung.
Bild: Das wäre schön, findet Katja Kipping: Eine Auszeit ohne Bedingungen.
taz: Frau Kipping, 42 Millionen Leute gehen in Deutschland einer
Erwerbsarbeit nach, so viele wie noch nie. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig
wie lange nicht. Ist doch prima, oder?
Katja Kipping: Dieses Bild ist unvollständig. Zwei Drittel fühlen sich
gehetzt im Job, weil sie in kürzerer Zeit immer mehr erledigen müssen. Kein
Wunder, dass Stresserkrankungen zunehmen.
Was kann man dagegen tun?
Die Arbeitszeit verkürzen, auch um die Arbeit gerechter zu verteilen. Die
klassische kollektive Form dafür ist die Reduzierung der Wochenarbeitszeit.
Es gibt auch andere Möglichkeiten.
Welche?
Das Sabbatical, den zeitlich begrenzten Ausstieg aus der Erwerbsarbeit, ist
eine individuelle Möglichkeit, um den eigenen Horizont zu erweitern, einem
Burn-out vorzubeugen oder Zeit für die Familie zu haben. Im öffentlichen
Dienst gibt es dafür Modelle. Aber jeder und jede sollte das Recht haben,
zweimal im Berufsleben dies für maximal ein Jahr zu tun – und zwar ohne
Armutsrisiko.
Gute Idee. Wer zahlt?
Man sollte es aus Steuergeldern finanzieren, so wie das Elterngeld. Also
abhängig vom Einkommen zuvor, aber nicht weniger als etwa 1.000 Euro im
Monat – das ist die aktuelle Armutsrisikogrenze – und nicht mehr als 1.800
Euro, das durchschnittliche Arbeitnehmer-Netto.
Was kostet das den Staat?
Das kann man schwer taxieren, weil unklar ist, wie viele das nutzen würden.
Im öffentlichen Dienst gibt es das Modell, dass die Leute vier Jahre lang
75 Prozent ihres Einkommens erhalten und dann ein Jahr frei haben. Das wird
kaum angenommen.
Ist dieses Sabbatical vom Staat das bedingungslose Grundeinkommen light?
Es ist eine Auszeit ohne Bedingungen. Aber anders als das bedingungslose
Grundeinkommen könnte sich das Sabbatical-Geld oberhalb der
Armutsrisikogrenze an der Höhe des bisherigen Lohns orientieren.
Ist zur Stressentlastung nicht Arbeitszeitverkürzung der bessere Weg? Für
akut Burn-out-Gefährdete ist das Sabbatical eher gefährlich, weil sie die
gewohnte Struktur verlieren.
Das soll keine akute Burn-out-Bekämpfung sein, sondern Vorbeugung. Es
hilft, aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen zu können.
Deshalb wollen Sie neben Elterngeld und Vorruhestand noch ein weiteres
Instrument?
Ja, dringend. Die Grundidee hat André Gorz entwickelt. Es geht darum, den
ausufernden Bereich von Geld, Markt und Profit zu reduzieren und die
Bereiche des Selbstbestimmten auszuweiten. Dazu ist das Recht auf zwei
Sabbaticals ein Mittel. Es geht nicht nur um weniger Stress, sondern um das
gute Leben.
Und zum guten Leben gehört zwingend ein Jahr Jobpause?
Das muss jeder selbst entscheiden. Aus Umfragen wissen wir, dass die
Wünsche sehr verschieden sind. Manche wollen kürzere Arbeitszeit pro Tag,
andere lieber einen Tag pro Woche mehr frei haben. Manchen reicht es, drei
Monate auszusteigen. Das kann man niemandem vorschreiben. Mir geht es
darum, dass mehr Menschen, und nicht nur die Reichen, das Recht dazu haben.
Laut Umfragen wünscht sich fast jeder Zweite ein Auszeit – trotzdem tut es
kaum jemand. Und nicht nur wegen Geld und materieller Einbußen …
Es geht um mehr als Geld, das stimmt. Viele haben das Gefühl: Eigentlich
macht man das nicht. Es hat etwas von Drückebergerei. Genau diese
kulturelle Schranke versuche ich unter anderem mit dieser Idee zu senken.
Ich finde, kürzere Arbeitszeiten sollten für eine gutes Leben Standard
werden. Es gilt ja als Prestige und Wert an sich, 70 Stunden in der Woche
zu arbeiten. Es gehört zum guten Ton, gestresst zu sein. Das ist falsch.
Und Politik kann Angebote schaffen, die diese einseitige Fokussierung auf
Erwerbsarbeit durchbrechen und Muße und ehrenamtliche Tätigkeit zu ihrem
Recht kommen lassen.
31 Oct 2012
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Arbeit
Katja Kipping
Die Linke
Arbeitsbedingungen
Stress
Burnout
Die Linke
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