| # taz.de -- Anerkennung von Berufskrankheiten: Josef K. kämpft gegen die Ohnma… | |
| > Wenn der Job krank macht, bekommen Betroffene eine Rente – aber nur wenn | |
| > ein Zusammenhang zwischen der Arbeit und ihrem Leiden nachweisbar ist. | |
| Bild: Risikogruppe Landwirte: Wer jahrelang Pestiziden ausgesetzt ist, kann sch… | |
| RÜTHEN taz | Josef K. erinnert sich noch genau an diesen Moment: Er hatte | |
| sich wieder einmal ins Zeug gelegt, um einen Kunden von der | |
| Versicherungsleistung zu überzeugen. Mitten im Gespräch begann seine linke | |
| Hand zu zittern. „Das hörte gar nicht mehr auf, ich habe nichts mehr von | |
| der Antwort verstanden, weil ich mich so ohnmächtig fühlte“, sagt der | |
| ehemalige Versicherungskaufmann. | |
| Das waren die ersten Anzeichen seiner Parkinsonkrankheit im Jahr 2005. | |
| Seitdem beherrscht die Hirnschädigung sein Leben – auch weil Josef K. sich | |
| mit einem Gegner angelegt hat, der ihn wieder Ohnmacht spüren lässt: Er | |
| kämpft gegen seine Berufsgenossenschaft um eine Berufskrankheitsrente. | |
| Wenn der Job die Gesundheit einer Person schädigt, hat diese in Deutschland | |
| Rentenansprüche nach der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei | |
| Parkinsonpatienten bilden sich die sogenannten Dopamin-Neuronen, die für | |
| Bewegungsabläufe zuständig sind, im Mittelhirn zurück. Um die Ursache der | |
| Krankheit zu erklären, gibt es viele Ansätze. Josef K. glaubt, dass die | |
| Krankheit durch seinen früheren Job als Landwirt kommt. 2009 hatte K.s | |
| Ärztin ihn darauf hingewiesen, dass auch Pestizide Parkinson verursachen | |
| können. | |
| Bevor er Versicherungskaufmann wurde, hatte K. 18 Jahre lang auf dem Hof | |
| seiner Eltern im sauerländischen Rüthen gearbeitet. Zeitweise kam er jeden | |
| Tag mit Stoffen in Kontakt, von denen einige wegen ihrer gefährlichen | |
| Wirkung heute verboten sind. Seine Ärztin riet ihm, Ansprüche auf | |
| Berufskrankheitsrente anzumelden. | |
| Doch die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft von Nordrhein-Westfalen, | |
| in die Josef K. als Bauer einzahlte, hat wenig Interesse daran, ihn zu | |
| unterstützen, und sie findet in Deutschland beste Bedingungen dafür vor, | |
| Betroffene wie ihn geräuschlos abzubügeln – weil hier zunächst die | |
| Versicherungen selbst dafür zuständig sind, festzustellen, ob die | |
| spezifische Krankheit durch die Berufstätigkeit verursacht wurde. | |
| ## Kritik am System | |
| Dieses System steht seit Langem in der Kritik: „Dass die Stellen, die für | |
| eventuelle Schäden bezahlen sollen, diese auch ermitteln, ist eine absolut | |
| einmalige Besonderheit unserer Rechtsordnung“, sagt Hans-Joachim Woitowitz, | |
| emeritierter Professor für Arbeitsmedizin der Universität Gießen. Woitowitz | |
| war bis 2006 Vorsitzender des medizinischen Sachverständigenbeirats der | |
| Bundesregierung, der diese in Sachen Berufskrankheiten berät. | |
| Erkrankte wie Josef K. müssen lückenlos nachweisen, dass ihr Leiden durch | |
| den Beruf verursacht wurde. „Vollbeweis“ nennt man das. Früher erstellten | |
| meist unabhängige Fachleute die Gutachten, etwa staatliche Gewerbeärzte. | |
| Doch deren Stellen werden vielerorts abgebaut. | |
| ## Gutachten von Berufsgenossenschaften | |
| Folge: Heute stützen sich die meisten Verfahren hauptsächlich auf | |
| Gutachten, die im Auftrag der Berufsgenossenschaften erstellt wurden. In | |
| Baden-Württemberg zum Beispiel waren dies im Jahr 2010 rund 80 Prozent | |
| aller Gutachten. „Das bedarf sozialpolitisch dringend der Korrektur, | |
| schließlich stellt sich immer die Frage nach der Unabhängigkeit und | |
| Unparteilichkeit dieser Gutachter“, sagt Arbeitsmediziner Woitowitz. | |
| Im Fall von Josef K. beauftragte die landwirtschaftliche | |
| Berufsgenossenschaft NRW 2010 zwei Gutachter: Robert Karwasz, Nervenarzt in | |
| Castrop-Rauxel, und Hans-Martin Prager, Facharzt am Institut für Arbeits-, | |
| Sozial- und Umweltmedizin am selben Ort. Beide arbeiten häufig zusammen an | |
| Gutachten im Auftrag von Berufsgenossenschaften. In zahlreichen | |
| zurückliegenden Verfahren sprachen sie den Klägern jegliche Ansprüche ab. | |
| ## Eingebildeter Kranker? | |
| In einem Artikel über Berufskrankheiten kritisierte die Stiftung Warentest | |
| ein Gutachten Pragers. Darin hatte der Arbeitsmediziner dem Betroffenen | |
| vorgeworfen, er bilde sich seine Krankheit nur ein | |
| ([1][www.test.de/Berufskrankheiten-Krank-durch-die-Arbeit-17885-17885]). | |
| „Ich hatte nicht das Gefühl, dass er Interesse an der Wahrheit hatte“, sagt | |
| Josef K. rückblickend über seinen Besuch bei Karwasz im Herbst 2010. Wegen | |
| seiner Krankheit schaffte er es damals nicht mehr, mit anstrengenden | |
| Telefonaten und Autofahrten als Versicherungsberater fertigzuwerden. Aber | |
| „der Arzt hat mir kaum zugehört, die Befragung dauerte nur sehr kurz“, | |
| erinnert sich K. | |
| Das Gutachten, das der taz vorliegt, bestätigt diesen Eindruck. Es kommt zu | |
| dem Schluss: „Die Erkrankung steht nicht in einem ursächlichen Zusammenhang | |
| mit den berufsbedingten schädigenden Einwirkungen durch Pestizide. | |
| Insgesamt liegt keine Berufskrankheit vor.“ Daraufhin lehnten die | |
| verantwortlichen Gremien der Berufsgenossenschaft die Klage des ehemaligen | |
| Landwirts im April ab. | |
| Der Umgang mit Josef K. ist kein Einzelfall. Die beiden Gutachter stützten | |
| sich nur auf eine Quelle, um die Ansprüche K.s für nichtig zu erklären: | |
| eine Stellungnahme des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) von 2006. | |
| Darin heißt es, ein Zusammenhang zwischen Pestiziden und erhöhtem | |
| Parkinsonrisiko sei nicht erkennbar. | |
| ## Pestizide und Parkinson | |
| Mittlerweile haben sich zahlreiche internationale Studien mit der Frage | |
| beschäftigt, ob Pestizide Parkinson befördern können. Dazu zählt die | |
| sogenannte Geoparkinsonstudie, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben | |
| und mit knapp 3.000 Probanden aus fünf Ländern durchgeführt wurde. Tenor | |
| aller jüngeren Studien: Höchstwahrscheinlich steigt das Krankheitsrisiko, | |
| wenn man einzelnen Pflanzenschutzmitteln und vor allem Gemischen über | |
| längere Zeit ausgesetzt ist. Unsicher ist bisher, welche Stoffe genau die | |
| Ursache sein könnten und wie stark der Kontakt sein muss. | |
| Klaus-Erich Appel, Leiter der Abteilung Lebensmitteltoxikologie beim | |
| Bundesinstitut für Risikobewertung, sagt: „Pestizide beeinflussen das | |
| Parkinsonrisiko, daran besteht eigentlich seit Jahren kein Zweifel mehr.“ | |
| Dass er und seine Koautoren in der Stellungnahme 2006 kein besonderes | |
| Risiko benannten, obwohl sie unter anderem die Geoparkinsonstudie in die | |
| Stellungnahme einbezog, hält Appel für legitim. | |
| ## Risikogruppe Landwirt | |
| Begründung: Noch sei nicht erwiesen, welcher Stoff und welche Stoffmenge | |
| konkret schädlich wirke. Außerdem beziehe sich die Stellungnahme auf das | |
| Risiko, das für Verbraucher durch pestizidbelastete Lebensmittel entstehe – | |
| nicht auf Landwirte. Diese seien natürlich eine besondere Risikogruppe: | |
| „Für sie kann man nicht ausschließen, dass die Krankheit daher rührt, vor | |
| allem wenn sie vor einigen Jahrzehnten tätig waren“, sagt Appel. | |
| Der gelernte Landwirt Josef K. hatte extrem starken Kontakt mit diversen | |
| Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln sowie mit Tiermedikamenten. „Ich | |
| habe die Mittel zur Schädlingsbekämpfung auf dem Feld ausgebracht, ohne | |
| Schutzkleidung, und dann mit den schmutzigen Händen den Schweiß aus dem | |
| Gesicht gewischt oder zwischendurch ein Brot gegessen“, berichtet Josef K. | |
| Er hantierte damals mit den Pestiziden so wie alle Familienmitglieder, von | |
| denen niemand erkrankt ist. | |
| ## Die Krankheit kann auch anders entstanden sein | |
| Im Gespräch hat der 58-Jährige immer wieder Probleme, die Worte richtig zu | |
| formen, er verschluckt Silben. Seine rechte Hand krampft er am Tisch fest, | |
| wenn sie zu zittern beginnt. Niemand weiß, ob die Pestizide bei Josef K. | |
| die Parkinsonkrankheit ausgelöst haben. Sie kann auch anders entstanden | |
| sein. Klar ist: Viele Risiken, die Pestizide mit sich bringen, waren in den | |
| 70er Jahren noch nicht bekannt. „Damals war es normal, Lindan offen auf den | |
| Feldern auszubringen, die Produzenten informierten nicht aktiv“, sagt | |
| Toxikologe Klaus-Erich Appel. Auch Josef K. arbeitete damit. | |
| Mehrere Studien, darunter eine des renommierten Parkinson-Instituts in | |
| kalifornischen Sunnyvale, halten einen Zusammenhang zwischen Lindan und | |
| Parkinson für sehr wahrscheinlich. Das Gutachten des Mediziners Prager geht | |
| darauf nicht ein. Auf Anfrage antwortet er zunächst: „Woher sollte er denn | |
| Lindan gehabt haben?“ | |
| Als der Facharzt einsehen muss, dass die Bestelllisten des Landwirts dies | |
| belegen, sagt er, die wissenschaftlichen Daten über Lindan seien sehr | |
| unsicher. Und: „Prinzipiell war der Bauer nicht stark genug exponiert, als | |
| dass ich eine Anerkennung der Krankheit hätte empfehlen können, da hätte er | |
| schon so intensiv wie ein Gärtner damit arbeiten müssen.“ | |
| In einem früheren Fall hat Prager empfohlen, Parkinson als Folge der Arbeit | |
| mit dem heute verbotenen Pflanzenschutzmittel Paraquat anzuerkennen. „Dafür | |
| habe ich von dem Gutachter, der zusätzlich beauftragt wurde, auf den Deckel | |
| bekommen“, sagt er. | |
| ## Ablehnungsgrund: die Zeit | |
| In K.s Fall arbeitet er nun mit einem Argument, das Rentenansprüche häufig | |
| zunichtemacht: der Zeit. „Ein Erkrankungsbeginn 17 Jahre nach Beendigung | |
| der Exposition spricht eindeutig gegen einen Kausalzusammenhang der | |
| beruflichen Exposition und der Parkinson-Erkrankung“, schreibt Prager. Laut | |
| dem Parkinson-Institut Sunnyvale, dem Bundesinstitut für Risikobewertung | |
| und anderen Spezialeinrichtungen entwickelt sich Parkinson jedoch über mehr | |
| als 30 Jahre, bevor er spürbar wird. | |
| Josef K. klagt nun vor dem Sozialgericht Dortmund gegen die Ablehnung | |
| seiner Rente. Peter Röder von der Initiative kritischer Umweltgeschädigter | |
| unterstützt ihn. Röder hat in der Vergangenheit erreicht, dass Leiden, die | |
| durch organische Lösungsmittel verursacht sind, als Berufskrankheit | |
| anerkannt werden. „Es kann nicht sein, dass die Gutachter der | |
| Berufsgenossenschaften mit mangelhaften oder gar falschen Gutachten | |
| durchkommen“, sagt er. | |
| Die Richtlinien der Berufsgenossenschaften, an denen die meisten Prozesse | |
| ausgerichtet sind, seien „pseudowissenschaftlich“. Wie Arbeitsmediziner | |
| Woitowitz fordert auch er unabhängige Gutachter. Seit Josef K. nicht mehr | |
| arbeiten kann, sorgt seine Frau als Arztsekretärin allein für das | |
| Familieneinkommen. Seine beiden Töchter studieren. „Ich will sie natürlich | |
| nicht einschränken“, sagt K. „Doch Zukunftsängste habe ich manchmal schon… | |
| 27 Dec 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.test.de/Berufskrankheiten-Krank-durch-die-Arbeit-17885-17885 | |
| ## AUTOREN | |
| Karen Grass | |
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