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# taz.de -- Galeriebesuche in Tunesien: Kunst der Revolution fängt erst an
> Vom Licht Tunesiens schwärmten die Maler Paul Klee und August Macke. Die
> Künstler Tunesiens ringen heute um Vielfalt, Offenheit und Raum.
Bild: „Die große Wäsche“ von Faten Rouissi. Die Installation entstand 201…
„Die Stadt ist fabelhaft, am Meer gelegen, winklig und rechteckig und
wieder winklig. Dann und wann von der Ringmauer ein Blick!! […] Ich
versuche zu malen. Das Ried- und Buschwerk ist ein schöner Fleckenteppich.
In der Umgebung köstliche Gärten. Riesige Kakteen bilden Mauern. Ein Weg
ganz ,hohle Gasse' in Kakteen.“
Diese Zeilen schrieb Paul Klee am 14. April 1914, als er im Rahmen einer
Tunesien-Reise mit seinen Malerfreunden August Macke und Louis Moilliet die
Stadt Hammamet erreichte.
Die drei gehörten zu jenen europäischen Künstlern und Schriftstellern, die
Anfang des 20. Jahrhundert das alte Städtchen an dem gleichnamigen Golf im
Nordosten Tunesiens für sich entdeckten und von seiner Architektur, seinen
Farben und seinem Licht fasziniert waren.
Heute, fast ein Jahrhundert später, finden Besucher noch vieles von dem
wieder, was Klee einst in seinem Reisetagebuch notierte. Die Ringmauer, die
die Altstadt mit ihrer Burg umschließt, steht noch. In den verwinkelten
Gässchen ist heute allerdings ein sehr touristisch geprägter kleiner Basar
untergebracht.
Und am Stadtrand finden sich noch einige der weitläufigen Gärten, ein
beliebtes Motiv von Klee. Man erreicht die grünen Oasen über Wege, die von
Mauern aus Kakteen gesäumt sind, die die Erosion verhindern, vor Dieben
schützen.
Unweit der Altstadt liegt die Galerie des Malers Baker Ben Fredj. In dem
kleinen, fast quadratischen Raum hängen seine jüngsten Werke in breiten
Metallrahmen: Fische, Hühner, Dromedare oder Pflanzen füllen die Leinwände
in warmen Farben. Der 46-Jährige, der entfernt an den Schauspieler Yul
Brunner erinnert, arbeitet collagenartig, zum Teil mit geätzten
Kupferschablonen, in Öl und Acryl.
Seinen Werken mutet etwas Grafisches an und sie erinnern auch in der
Farbgebung an einige Bilder von Klee. „Vor zwanzig Jahren kannte ich Klee
nicht“, sagt Ben Fredj auf eine entsprechende Frage. Inzwischen schätzt er
den Maler aber: „Klee und Macke waren sehr empfänglich für das Licht
Tunesiens.“
## Revolution noch nicht verdaut
Der Künstler betont, dass die Revolution und der Sturz des Diktators Zine
el-Abidine Ben Ali am 14. Januar 2011 seine Malweise nicht verändert habe.
„Man kann ,Es lebe die Revolution!' rufen und trotzdem keine guten Bilder
malen“, sagt er. „In künstlerischer Hinsicht ist die Revolution noch nicht
verdaut. Wir diskutieren viel darüber. Die Kunst über die Revolution fängt
gerade erst an.“
Bei einem Besuch im Atelier Ben Fredjs, das in einem der weitläufigen
Gärten liegt, zeigt sich allerdings, dass die Revolution zumindest das
jüngste größere Werk des Malers durchaus beeinflusst hat.
Er arbeitet gerade an einem Triptychon, zu dem ihn, wie er selbst sagt,
Parolen und Graffiti an den Hauswänden angeregt haben. Auf der
vorbehandelten Leinwand in Ocker- bis Rottönen wimmeln Buchstaben in
arabischer Kalligrafie in allen Grauschattierungen, die allerdings keine
Worte oder Sätze bilden.
„Worte können sehr aggressiv sein“, sagt er zur Begründung. Bei genauem
Hinsehen entdeckt man zwischen den Lettern Fische, Kamele und Blumen.
## El Seeds „Kalligraffiti“
Aggressivität ist auch nicht die Sache von [1][El Seed], einem
franco-tunesischen Künstler, der in Montreal lebt. Seine „Kalligraffiti“
verbinden Street-Art mit klassisch arabischer Kalligrafie. Mitte August hat
er sein bisher ehrgeizigstes Werk vollendet: Von einem Kran aus bemalte er
das mit 57 Metern höchste Minarett Tunesiens in Gabès von zwei Seiten mit
Suren aus dem Koran, die von Toleranz, Dialog und der Neugier auf den
Anderen handeln.
Dies war seine Reaktion auf einen Vorfall in La Marsa, einem Vorort von
Tunis, wo Salafisten im Juni eine Kunstausstellung stürmten und
anschließend in einer koordinierten Aktion an mehreren Orten der Hauptstadt
randalierten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.
El Seed spricht in diesem Zusammenhang von „zwei Arten von Extremismus“,
dem religiösen und dem säkularen Extremismus - wobei es nur die radikalen
Salafisten sind, die zur Gewalt greifen. Bei manchen Künstlern, sagte er
kürzlich in einem Interview, habe man den Eindruck, sie freuten sich,
zensiert zu werden, denn das bringe internationale Anerkennung. Sein Ziel
sei es, beide Seiten davon zu überzeugen, dass sie falsch liegen.
## Ein manchmal aggressiver Ton
Aischa Gorgi, die in dem Küstenort Sidi Bou Saïd, wo Klee und seine Freunde
ebenfalls gezeichnet und gemalt haben, die Galerie Ammar Farhat betreibt,
erklärt den manchmal aggressiven Ton der Auseinandersetzung mit der
Erbschaft der Vergangenheit. „Die Diktatur hat Mauern errichtet,“ erläutert
sie.
„Die Bourgeoisie und das Volk blieben unter sich, man diskutierte nicht
miteinander. Es ist schwierig, die Angst vor dem jeweils Anderen zu
überwinden.“ Heute bewege man sich noch im gleichen Denkmuster.
Die Künstlerin [2][Faten Rouissi], die selbst aus einer gutbürgerlichen
Familie stammt und ebenfalls in Sidi Bou Saïd arbeitet, ist eine von jenen,
die heute, in nachrevolutionären Zeiten, die Kluft zwischen Bourgeoisie und
Volk überwinden möchten.
Vor allem mit ihren Installationen möchte sich die 45-Jährige an ein
breites Publikum wenden. Daher verwendet sie Dinge, die jeder aus dem
täglichen Leben kennt. Im Rahmen der Ausstellung „Frühling der Kunst“, die
vom 2. bis 10. Juni unter anderem in La Marsa stattfand, stellte sie ein
Ensemble in Gelb vor: einen ovalen Tisch mit Mikrofonen, Rollen von
Toilettenpapier, und statt Stühlen gab es Kloschüsseln.
Die Botschaft ist klar: Die Leute reden, aber es kommt nichts als Scheiße
dabei raus. Dies lässt sich auch als Kritik an der von der islamistischen
Ennahda geführten Regierung verstehen.
## Die drängendsten Probleme
„Der politische Diskurs verläuft völlig getrennt von den tatsächlichen
Problemen des Landes. Die Religion ist nicht unser Problem. Doch weil die
Politiker diese Botschaft vermittelt haben, erscheint die Religion als das
wichtigste Thema.“ Die drängendsten Probleme, fügt sie hinzu, seien die
Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der sozialen Lage der
Bevölkerung.
Rouissi gehört zu einer Vielzahl von Künstlern, die seit der Revolution den
öffentlichen beziehungsweise virtuellen Raum nutzen – mit Graffiti,
Fotografie, Installationen, Performances, Happenings, Videos, aber auch
Malerei.
Im Zusammenhang mit dem Sturm der Salafisten auf die Ausstellung in La
Marsa geriet Rouissi auf eine im Internet verbreitete Liste mit Namen von
Künstlern, deren Werke die Islamisten ablehnen. Stein des Anstoßes war
jedoch nicht ihre aktuelle Präsentation, die an einem zehn Kilometer
entfernten Ort gezeigt wurde, sondern eine frühere Installation, die sie
für die Kunstaktion „Dream City“" im Jahr 2010 angefertigt hatte, und die
die Angreifer im Internet fanden.
## BHs und Slips in pink
Das Werk mit dem Titel „Die große Wäsche“ zeigte einen Wäscheständer,
Kleidungsstücke – darunter auch BHs und Slips –, Bügelbrett, Bügeleisen,
alles in einem kräftigen Pink, fast schon rotviolett. Lila war die Farbe
der Partei Ben Alis.
In Anspielung auf die tunesische Verfassung schrieben die Salafisten dazu:
„Die Religion Tunesiens ist der Islam, seine Sprache ist Arabisch und seine
Kunst ein Slip.“
Rouissi musste lachen, als sie das las. Wäre da nicht der Zusatz „Hier
sieht man, wohin die Freiheit führen kann“, könnte man meinen, auch
Tunesiens Salafisten hätten einen gewissen Sinn für Humor. Einschüchtern
lässt Rouissi sich davon nicht.
## Die bildende Kunst stößt auf Widerstand
„Nach drei Jahrzehnten des Stummseins gibt es heute eine breite Vielfalt
künstlerischen Ausdrucks. Die Kunst muss ihr elitäres Ghetto verlassen“,
sagt auch die Galeristin Gorgi, die vorwiegend Gemälde und Fotografie
ausstellt, aber auch der Videokunst Raum gibt.
Doch die bildende Kunst stößt im heutigen Tunesien auf Widerstände. Es gibt
kein Museum für zeitgenössische Kunst, keine formulierte Kulturpolitik der
Regierung, keinen Zuständigen im Ministerium, kein Unterrichtsfach
Kunstgeschichte an den Schulen, was schon deshalb wichtig wäre, um
Vorbehalte abzubauen.
Hinzu kommt, dass Galerien unter Ben Ali nicht die gleiche Funktion hatten
wie in Europa. Die Kunst war eher „national“ orientiert und betonte das
Erbe . Daher, so Gorgi, müssen Leute wie sie bei null anfangen und erst
einmal einen Markt schaffen.
## Der exotische Blick der Europäer
Im Hinblick auf Europa und dortige Galerien kritisiert Gorgi den exotischen
Blick. Da ginge es häufig um verschleierte Frauen und Salafisten, das sei
aber nicht die tunesische Realität. „Man hat uns kein wirkliches Vertrauen
entgegengebracht. Wir wurden stigmatisiert, mit Terroristen gleichgesetzt“,
kritisiert sie.
„Dabei gibt es Tausende Akteure im Kunstbereich. Die Kunst ist wichtig, um
die Kultur kennenzulernen, in einen Dialog einzutreten und Differenzen zu
tolerieren.“ Letzteres gilt allerdings auch für die tunesische
Gesellschaft.
12 Jan 2013
## LINKS
[1] http://www.elseed-art.com/
[2] http://www.faten.rouissi.sitew.com
## AUTOREN
Beate Seel
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