# taz.de -- Tourismus in Tunesien: Neue Strategien mit alten Säulen | |
> Nach der Revolution möchte Tunesien seinen Tourismus neu erfinden. Damit | |
> alles anders wird, setzt das Land im Norden Afrikas nun auch auf Kultur | |
> und Kurzsafaris. | |
Bild: Hier soll in Zukunft wieder mehr los sein: Sidi Bou Said an der Küste Tu… | |
In Sidi Bou Said ist die Revolution schon Kunst geworden. In der Galerie | |
Ammar Farhat baumeln Boxsäcke mit einem riesigen Fotoporträt der Künstlerin | |
Faten Gaddes von der Decke, darauf prangt mal die Zeile "Ich bin Christin", | |
mal "Ich bin Jüdin". An der Wand gegenüber fügen sich Stickdecken, | |
Stofffetzen, Postkarten oder Fotocollagen zu Landkarten, welche die Umrisse | |
Tunesiens aufweisen. | |
"Ich habe Künstler gebeten, sich mit dem Begriff der Staatsbürgerschaft zu | |
beschäftigen -einem Begriff, der vor der Revolution keine Bedeutung hatte", | |
erläutert die Galeristin Aicha Gorgi, 47, das Konzept ihrer Ausstellung. | |
Die Tochter eines Malers eröffnete bereits während ihres Studiums ihre | |
Galerie in Sidi Bou Said, jenem Künstlerdorf, dessen in Weiß und Blau | |
leuchtenden Gassen sich über einer Steilküste bei Tunis befinden. Hier | |
schlägt das Herz der tunesischen Kunstszene. Und hier sitzt Aicha Georgi in | |
sommerlich-kurzen Kakihosen und weißer Bluse und erläutert die einzelnen | |
Kunstwerke. | |
Der Stolz auf "die tunesische Ausnahme", wie sie es nennt, ist ihr deutlich | |
anzumerken. "Wir verfügen über keine natürlichen Ressourcen, deshalb wurde | |
viel in Bildung investiert. Wir besitzen moderne Institutionen und hatten | |
Frauenrechte wie in Europa", sagt sie. "Das unterscheidet uns von anderen | |
arabischen Ländern." Angst, dass Islamisten oder andere konservative Kräfte | |
jetzt die Uhr zurückdrehen könnten, hat sie nicht. "Egal, wer versuchen | |
sollte, unsere Freiheiten einzuschränken, er wird scheitern", ist sie | |
überzeugt. "Man nimmt die Islamisten im Ausland viel zu wichtig." | |
Zu ihrer These passt ein Kunstobjekt, das in einem Nebenraum der Galerie | |
steht: eine durchsichtige Wahlurne, in der farbige Zettel liegen, die für | |
verschiedene Parteien stehen. Auf einem Blatt ist ein vorläufiges | |
Wahlergebnis notiert, nachdem die Grünen ganz vorne und die Islamisten ganz | |
hinten liegen. Es dürfte aber wohl eher die Gunst des Publikums, das die | |
Galerie frequentiert, als die aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Land | |
widerspiegeln. Dem Massentourismus, der unter Ben Ali in Tunesien Einzug | |
hielt, kann Aicha Gorgi nur wenig abgewinnen. "Das ist kein sehr gebildetes | |
Publikum", rümpft sie die Nase über die "Schafsherden", die von ihren | |
Pauschalhotels aus in Gruppen durch Sidi Bou Said gelotst werden. "In meine | |
Galerie verirrt sich davon kaum jemand". | |
## Deutsche bleiben weg | |
Zwei Tage zuvor wurde im holzvertäfelten Konferenzsaal eines Luxushotels in | |
Tunis darüber debattiert, wie sich an diesem Zustand etwas ändern lässt. | |
Tunesiens neuer Tourismusminister Mehdi Houas, 51, seit Ende Januar im Amt, | |
traf dort auf Manager deutscher Tourismuskonzerne, um über nichts weniger | |
als die "Rückeroberung des deutschen Markts" zu beraten. Die Unruhen im | |
Januar und der Krieg im benachbarten Libyen haben viele Touristen | |
abgeschreckt, das Geschäft ist in diesem Jahr dramatisch eingebrochen: von | |
knapp einer halben Million Besuchern im vergangenen Jahr auf bestenfalls | |
die Hälfte in diesem. Doch die Misere reicht tiefer. Während die Türkei, | |
Ägypten und sogar Marokko in den letzten zehn Jahren stetig an Gästen | |
zulegten, geriet Tunesien immer mehr ins Hintertreffen. | |
Schonungslos wurden auf der Tagung die Schwachstellen benannt. Jahrelang | |
wurde Tunesien unter Wert verkauft und verramscht. Nun sucht es nach | |
Strategien, andere Zielgruppen anzusprechen und nicht nur mit billigen | |
Pauschalangeboten und "Sonne, Strand und Meer" zu locken. Der Tourismus ist | |
ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor - bis zu 400 000 Menschen sind in | |
Hotels, Restaurants, Autovermietungen, Boutiquen oder Souvenirläden | |
beschäftigt. | |
Tourismusminister Houas setzt dabei vor allem auf Kultur. "Ägypten besitzt | |
nur vier historische Stätten, die von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt | |
wurden", erklärt er und fügt stolz hinzu: "Tunesien dagegen sieben". Doch | |
lediglich die Ruinen von Karthago wurden bisher halbwegs beworben. Houas | |
kennt den europäischen Geschmack: Er ist in Marseille geboren und leitete | |
in Frankreich ein Telekommunikations-Unternehmen, bevor ihn der Ruf in die | |
Übergangsregierung ereilte. Er weiß aber auch: "Die Tunesier müssen selbst | |
erst noch den Wert ihres Landes erkennen." | |
Zum Teil kann sich Mehdi Houas bereits auf bestehende Projekte stützen. So | |
wurde in der orientalischen Medina von Tunis schon 2010 ein | |
"Kulturrundgang" eingeweiht, die Gebäude und Gassen der Altstadt frisch | |
renoviert. Darüber hinaus schwebt ihm vor, Facebook zu nutzen, um etwa | |
Jugendliche zur sommerlichen Chill-out-Party mit DJs an Tunesiens Küste zu | |
locken. Und mit Ökotourismus, mit Kurzsafaris in die nahe Wüste und dem | |
Besuch der Sehenswürdigkeiten im Landesinneren das Hinterland stärker an | |
der Entwicklung zur Vielfalt teilhaben zu lassen. | |
"Ben Ali wollte nicht, das Touristen das Hinterland zu Gesicht bekamen, | |
denn dort waren Tunesiens Probleme zu offensichtlich", glaubt er. Außerdem | |
habe das mafiöse Gebaren des Ben-Ali-Clans potenzielle Investoren | |
abgeschreckt. Nun lädt er die großen Tourismuskonzerne ein, sich in | |
Tunesien zu engagieren. "Wir müssen unser Geld in die Straßen, Flughäfen | |
und die touristische Infrastruktur stecken." | |
Da bleibt noch eine Menge zu tun. Denn an vielen Orten in Tunesien sieht es | |
aus wie in Thuburbo Majus, keine 60 Kilometer von Tunis entfernt, wo die | |
Ruinen einer römischen Handelsmetropole stehen. Prächtige Säulen ragen dort | |
hoch in den Himmel, die Reste von Bädern und Tempelanlagen sind zu | |
besichtigen. Doch das Areal macht einen vernachlässigten Eindruck: Beim | |
Pförtner verstauben vergilbte Broschüren im Regal, über das weitläufige | |
Ausgrabungsgelände streifen nur ein paar Arbeiter mit Harken. Besonders | |
einladend ist das nicht. | |
## Baustelle Bardo-Museum | |
Das gilt auch für das Bardo-Museum in Tunis. Der ehemalige Palast des | |
osmanischen Statthalters, des Beys von Tunis, beherbergt die weltweit | |
größte Sammlung antiker Mosaike. Derzeit gleicht es aber einer Baustelle, | |
die Wiedereröffnung ist erst fürs nächste Jahr geplant: Dann sollen | |
Audio-Guides und mehrsprachige Erklärungstafeln sowie eine Cafeteria und | |
der Museumsshop neue Besucher locken. | |
Bis es so weit ist, leitet der junge Museumsführer Haythem Jbeli die | |
Besuchergruppen unverdrossen weiter durchs Haus. Der 30-Jährige hat | |
Archäologie studiert und besitzt einen fachmännischen Blick für den | |
filigranen Wand- und Bodenschmuck der Phönizier und Römer, Christen und | |
Juden, denen je eigene Abteilungen gewidmet sind. Aber auch Vandalen und | |
Araber, Berber, Türken, Italiener und Franzosen haben in Tunesien ihre | |
Spuren hinterlassen. | |
Aus dem Fenster des osmanischen Bardo-Palastes kann man auf das anliegende | |
Parlamentsgebäude sehen, das die Revolution unbeschadet überstanden hat. | |
"Es war nicht wichtig genug, um es zu stürmen", spottet Haythem Jbeli. "Die | |
Abgeordneten dort haben sich nur die Taschen mit Geld vollgestopft." Nach | |
der Wahl im Oktober dürfte ihm nun eine wichtigere Rolle zufallen. Vor | |
einem Sieg der islamistischen Ennahda-Partei hat aber auch Jbeli keine | |
Angst. "Das Regime von Ben Ali hat sie diffamiert und ihnen sogar Attentate | |
in die Schuhe geschoben", meint er. "Aber eine Hamas oder eine Islamische | |
Heilsfront wie in Algerien hätte bei uns gar keine Chance", ist er | |
überzeugt. | |
In den Mosaiken im Bardo-Museum sieht Jbeli ein Sinnbild für die tunesische | |
Kultur, die vom Pluralismus geprägt sei. "Islamisten, Liberale und Linke | |
begegnen sich bei uns mit Respekt", meint er. Wenn das stimmt und das so | |
bleibt, dürften die Touristen bald schon wieder nach Tunesien zurückkehren. | |
Diese Reise wurde vom Fremdenverkehrsamt Tunesien ermöglicht | |
6 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
## TAGS | |
Tunesien | |
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