Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brennende Polizeireviere in Tunesien: Alte Seilschaften verbreiten …
> Der tunesische Premier redet die gewalttätigen Ausschreitungen klein, er
> will die Wahlen nicht gefährden. Laut Opposition steckt die
> Ex-Regierungspartei hinter der Eskalation.
Bild: Proteste am vergangenen Freitag vor dem Büro des tunesischen Premiers Es…
MADRID taz | Tunesien kommt auch sechs Monate nach dem Sturz von Präsident
Zine El Abidine Ben Ali nicht zur Ruhe. Am Wochenende wurden in mehreren
Städten Polizeireviere in Brand gesteckt. Dutzende Demonstranten wurden
verhaftet. Ein 14-jähriger Junge starb, nachdem er von einem Querschläger
getroffen wurde. Am Montagnachmittag trat der Premier der
Übergangsregierung, Beji Caid Essebsi, vor die Fernsehkameras, um die
Bevölkerung aufzufordern, "die Errungenschaften der Revolution zu
schützen".
Essebsi sieht hinter den Ausschreitungen radikale Gruppen, die kein
Interesse daran hätten, dass bei den Wahlen zu verfassungsgebenden
Versammlung am 23. Oktober "herauskommt, wie wenig Rückhalt sie
letztendlich in der Bevölkerung haben". Aus dem Innenministerium kommen
noch deutlichere Worte. Dort werden die Unruhen ganz direkt "religiösen
Extremisten" zu geschrieben.
Die Protestwelle begann am vergangenen Freitag in der Hauptstadt Tunis.
Hunderte von Jugendlichen trafen sich zu einer friedlichen Sitzblockade vor
dem Regierungsgebäude in der Kasbah am oberen Ende der Altstadt. Die
Polizei schritt ein und vertrieb die Demonstranten, die den Rücktritt der
Übergangsregierung und die Verfolgung derer verlangten, die in den Tagen
der Revolution im Dezember und Januar für die Repression verantwortlich
waren. Bereits zweimal war die Kasbah wochenlang besetzt worden. Die Folge
waren umfassende Regierungsumbildungen. Bei der Polizeiaktion stürmten die
Einheiten auch eine Moschee in der Altstadt.
Daraufhin kam es am Wochenende in mehreren Städten zu meist gewalttätigen
Demonstrationen. Mindestens fünf Polizeireviere wurde in Brand gesetzt. In
Menzel Bourguiba, 65 Kilometer nördlich von Tunis, wurden Waffen und
Munition aus einem Polizeiposten entwendet.
## Alte Seilschaften stiften Chaos
Die Tunesier fragen sich, wie es zu der neuen Gewaltwelle kommen konnte.
Der Direktor des Oppositionsradios Kalima, Omar Mestiri, sieht in den
Provinzstädten den langen Arm der verbotenen ehemaligen Staatspartei RCD
hinter den Ausschreitungen und den Blockaden von Industriegebieten und
Landstraßen, die seit Wochen die Wirtschaft lahmlegen. Das Ziel der alten
Seilschaften sei es, Chaos zu stiften und so die Wahlen am 23. Oktober zu
verhindern.
Andere schließen sich eher der Einschätzung von Premier Essebsi an. "Unter
denen, die demonstrierten, waren sehr viele Salafisten", erklärt ein
örtlicher Journalist, der die Proteste in Sidi Bouzid beobachtet hat.
"Gruppen aus dem Umfeld von Ennahda haben per Facebook nach Tunis zur
Kasbah mobilisiert", meint der für internationale Beziehungen bei der
Gewerkschaft UGTT zuständige Mustapha Ben Ahmed im Hinblick auf die größte
islamistische Partei. Ennahda ist vor wenigen Wochen aus der Kommission
ausgetreten, die den Übergang zur Demokratie vorbereitet. Die Kommission,
der alle wichtige politischen Kräfte des Landes angehören, würde
eigenmächtig handeln, ohne dafür einen Wählerauftrag zu haben, so die
Begründung.
Zwei Themen störten Ennahda ganz besonders. Zum einen bereitet Kommission
ein Gesetz zur Parteienfinanzierung vor, das Geldbezüge aus dem Ausland
einschränkt. Ennahda wird - so die Vermutung - von den Golfstaaten
unterstützt. Außerdem plädierte die Kommission für einen "republikanischen
Pakt". Neben einer Trennung von Staat und Religion soll darin auch die
Normalisierung der Beziehungen mit Israel festgeschrieben werden. Beides
ist für Ennahda nicht akzeptabel.
19 Jul 2011
## AUTOREN
Reiner Wandler
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tunesiens Wirtschaft schwächelt: Der Preis der Revolution
Der Übergang zur Demokratie kostet die Tunesier Geld. Die
Lebensmittelpreise steigen. Derweil wächst die Arbeitslosigkeit. Und auch
der Tourismus geht zurück.
Tourismus in Tunesien: Neue Strategien mit alten Säulen
Nach der Revolution möchte Tunesien seinen Tourismus neu erfinden. Damit
alles anders wird, setzt das Land im Norden Afrikas nun auch auf Kultur und
Kurzsafaris.
Tunesien nach dem Umsturz: Das Ende der Heimlichtuerei
Auf der Avenue Habib Bourguiba in Tunis begegnet einem die neu entstehende
tunesische Demokratie. Hier lebt vor allem eine neue Offenheit.
Urteil über Tunesiens Ex-Staatschef Ben Ali: Zweifel hatten keinen Platz
Ben Ali wurde in Abwesenheit zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt. Doch Kritik
kommt nicht nur von seinem Anwalt, sondern auch von
Menschenrechtsaktivisten.
Kommentar Aufarbeitung in Tunesien: Tunesien will echte Demokratie
Dass die Tunesier wie die Ägypter ihre Vergangenheit selbst aufarbeiten,
ist etwas Besonderes. Damit zeigen sie, dass sie es ernst meinen mit der
Demokratie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.