# taz.de -- Tunesiens Wirtschaft schwächelt: Der Preis der Revolution | |
> Der Übergang zur Demokratie kostet die Tunesier Geld. Die | |
> Lebensmittelpreise steigen. Derweil wächst die Arbeitslosigkeit. Und auch | |
> der Tourismus geht zurück. | |
Bild: Ungestörter Urlaub: Touristen haben seit der Revolution viel Platz an Tu… | |
TUNIS taz |Taxifahrer Ramzi und Touristenführer Mohamed Ali haben eines | |
gemeinsam: Sie treten sich stundenlang die Füße platt. Der eine geht die | |
Empfangshalle des Flughafens der tunesischen Hauptstadt Tunis auf und ab. | |
Wer ausländisch aussieht, wird angesprochen und dann an der Schlange der | |
Kollegen vorbei geschleust, die draußen vor dem Gebäude brav auf Kundschaft | |
warten. | |
Der andere ist auf der Prunkstraße Avenue Habib Bourguiba unterwegs. "Ich | |
kenne die Altstadt perfekt, ihre Geschichte, die schönsten Orte", bietet er | |
sich auf französisch englisch, italienisch und etwas deutsch an. | |
Nur selten finden die beiden Kundschaft. Es steht noch immer schlecht um | |
den Tourismus in Tunesien, obwohl das Land neun Monate nach dem Sturz des | |
Diktators Zine el-Abidine Ben Ali weitgehend stabil ist und am kommenden | |
Sonntag die ersten freien Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung | |
stattfinden werden. Die Zahl der Touristen ist im Zeitraum von Januar bis | |
Oktober um 34,4 Prozent zurückgegangen. | |
Das zeigt ein Bericht des Tourismusministeriums, das erstmals seit den | |
bewegten Januartagen Bilanz zieht. Diejenigen, die kommen, bleiben weniger | |
Tage. So sind die Übernachtungen gar um 42,6 Prozent gesunken. Im Februar, | |
dem ersten Monat nach der Revolution kam der Sektor fast ganz zum Erliegen. | |
Zwei Drittel der üblichen Besucher blieben aus. | |
Im März waren es noch immer über die Hälfte. Die Hotelbranche hat dadurch | |
Einahmen von knapp einer Million Euro verloren. 24 Hotels mit insgesamt | |
7.500 Betten schlossen. 3.000 feste Arbeitsplätze gingen verloren. 22.000 | |
Saisonarbeiter wurden gar nicht erst eingestellt. Tunesier, die wie Ramzi | |
oder Mohamed Ali auf eigene Rechnung arbeiten, werden gar nicht gezählt. | |
Taxifahrer Ramzi wartet auf die Rückkehr der Kreuzfahrtschiffe. Er gehörte | |
zu den Taxifahrern, die einen Zugang zum Hafen nördlich von Tunis haben. | |
"Die Passagiere kommen vom Schiff und wollen in wenigen Stunden so viel wie | |
möglich sehen." Ramzi fährt sie herum. | |
## "Wenn ich nicht arbeite, esse ich nicht" | |
Zwar musste er vor der Revolution ordentlich Bestechungsgelder an den | |
korrupten Spross des Ben-Ali-Clans und dessen Umfeld abgeben, "aber ich | |
verdiente deutlich mehr als ein Fahrer in der Stadt", berichtet er. Das mit | |
dem Flughafen bringt wenigstens etwas Geld in die Kasse. | |
Auch Mohamed Ali hat kaum Arbeit. "Es kommen fast nur Geschäftsreisende | |
nach Tunis, und die wollen nicht in die Altstadt", erzählt er. "Wenn ich | |
nicht arbeite, esse ich nicht", sagt er bevor er weiterzieht. | |
Nicht nur, dass die Arbeitslosigkeit in Tunesien seit Januar von offiziell | |
14 auf 19 Prozent gestiegen wäre, auch die Lebensmittelpreise gingen in die | |
Höhe. Immer wieder legen Streiks ganze Branchen lahm. Auch die Produktion | |
und Vertriebswege von Lebensmitteln sind davon betroffen. Manche | |
Grundnahrungsmittel sind knapp und müssen für teures Geld eingeführt | |
werden. | |
## Seit der Revolution zwei Milliarden Dollar verloren | |
Gleichzeitig stiegen die Exporte ins benachbarte Libyen. 30 Prozent der | |
tunesischen Lebensmittelproduktion geht auf dem Landweg über die Grenze, | |
seit die See- und Luftwege durch den dortigen Krieg behindert sind und | |
Libyen kaum mehr Zugang zu anderen Märkten hat. All das wirkt sich auch auf | |
die Preise in Tunesien aus. Sie stiegen allein in den ersten drei Quartalen | |
2011 um 2,5 Prozent. Das ist doppelt so viel wie im Vorjahr. | |
Insgesamt hat Tunesien nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) | |
seit der Revolution zwei Milliarden Dollar verloren - das entspricht 5,2 | |
Prozent des BIP. In der gesamten arabischen Welt kostete die Protestwelle | |
55 Milliarden Dollar. | |
21 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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