| # taz.de -- Sexismus in Deutschland: Es wird anders | |
| > Die Sexismusdebatte um Rainer Brüderle kann endlich zu dauerhaften | |
| > Veränderungen führen. Auch weil die Debatte ohne Alice Schwarzer | |
| > auskommt. | |
| Bild: Das Internet befreit uns Frauen von der Hoheit der Männer über die Mein… | |
| Seit ich denken kann, frage ich mich, warum die, warum nicht wir? Warum | |
| bestimmen sie über uns? Warum sollen sie mehr wert sein? Als Kind war das | |
| die Frage, warum ein Junge die Brause aus der Flasche trinken darf, ich | |
| aber nicht. Als Jugendliche die, wie sie dazu kommen, unsere | |
| Schwangerschaften regeln zu wollen? Heute, warum sie die gleiche Arbeit | |
| besser bezahlt bekommen, die Männer? | |
| Es ist zu spät, um jung und wütend zu sein. Ich muss mich damit abfinden, | |
| mittelalt und immer noch wütend zu sein. Aber: Es war noch nie so gut wie | |
| heute! | |
| Denn es ist anders. Es tut sich was. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, | |
| dass nach diesem Kampf die Dinge anders sein werden. Gerade so, wie es in | |
| den 70ern gewesen sein muss. Nach Jahrzehnten der kleinen Schritte geht | |
| jetzt der Umbruch weiter. In ähnlicher Größe und Tragweite. | |
| Der Anspruch auf Teilhabe, die Frage nach gleicher Bezahlung, die | |
| Wahlkampfthema werden könnte, jetzt die Sexismusdebatte – auch vor dem | |
| Hintergrund der Vergewaltigungen in Indien (ganz so, als gäbe es hier | |
| keine). Es ist, als flössen Seen zusammen. Einzelne Notstandsgebiete, | |
| bislang singulär verhandelt oder besser gesagt: abgesperrt. Jedes einzelne | |
| schwillt an, und sie alle laufen ineinander, zu einem über die Ufer | |
| tretenden Riesengewässer, das nicht aufzuhalten ist. | |
| ## Solidarität unter Frauen | |
| Vor einem Jahr haben Journalistinnen unter dem Motto „Pro Quote“ begonnen, | |
| Veränderungen in den Medien und Teilhabe an den Führungspositionen | |
| einzufordern. So schlagkräftig, dass sie Anfragen anderer Berufsgruppen | |
| bekommen, die die Kampagnenstrategie übernehmen wollen. Zum ersten Mal seit | |
| Ewigkeiten ist eine Solidarität unter Frauen spürbar, die über die einzelne | |
| Berufsgruppe oder Schicksalsgemeinschaft hinausgeht. Und, auch das ist | |
| anders, Männer unterstützen die Forderungen. Vielleicht nur, weil sie nicht | |
| mit jemandem leben wollen, der als minderwertig gilt? Egal. | |
| Dass die Debatte um Rainer Brüderle, in der der Politiker als | |
| Stellvertreter für Millionen von Männern steht, so groß wurde, ist dem | |
| Internet zu verdanken. Eine Initiative wie [1][„#Aufschrei“] hat das | |
| ermöglicht. | |
| Christian Jakubetz vom Cicero beklagt, dass durch „#Aufschrei“ „das | |
| Debattieren im Netz wieder ein bisschen unangenehmer geworden ist“. Für | |
| diesen Einwand kann man nur dankbar sein, denn er illustriert, warum es | |
| vielleicht so etwas wie das Internet brauchte, um der jahrhundertealten | |
| Forderung nach Gleichstellung zur Durchsetzung zu verhelfen: Das Internet | |
| befreit uns Frauen von der Hoheit der Männer über die Meinungsbildung. | |
| Kein Stern, kein Spiegel, kein Günther Jauch hat etwa das Thema sexueller | |
| Belästigung in unserem Sinne aufgegriffen. Also aus Perspektive der Frauen. | |
| Und Günther Jauch hat am Sonntagabend gezeigt, was passiert, wenn Männer so | |
| tun als ob: Erneut geraten die, die „Stopp!“ sagen, in die Situation, sich | |
| rechtfertigen zu müssen. | |
| ## Und alles ohne Alice Schwarzer | |
| Das Erstaunliche ist: All das, was im Moment passiert, passiert ohne Alice | |
| Schwarzer. Und ich glaube, genau das ist der Punkt, warum sich eine solche | |
| Kraft entwickelt. Natürlich lädt eine Sendung wie „Günther Jauch“ | |
| reflexhaft Alice Schwarzer zum Thema „Sexismus“ ein. Und tatsächlich war | |
| bei Jauch kein Gast so gut wie sie. Sie kennt das Thema in allen Facetten | |
| und wird nicht mehr keifig. | |
| Klar ist aber auch, die Veränderungen wären ohne sie undenkbar. Doch für | |
| das Großwerden dieser vielen Thematiken hat sie in den letzten Jahren keine | |
| aktive Rolle gespielt. Ich glaube sogar, dass dies die Chance war für die | |
| Themen, groß zu werden. Jahrelang war „Alice Schwarzer“ verbunden mit dem | |
| Herunterrauschen von Rollläden. Der Name fiel – und das Thema war tot. Der | |
| Name wurde zur Waffe der anderen, um Themen abzutöten, auch unter Frauen. | |
| Die Emanzipation von Alice Schwarzer, die Entkopplung des Feminismus von | |
| ihrer Person ist der Schlüssel dazu, dass Frauen und Männer die Situation, | |
| in der wir – auch miteinander – leben, als so irrwitzig empfinden, dass sie | |
| sie tatsächlich ändern wollen. | |
| Nennen wir den Kampf und die Errungenschaften der 70er Jahre die erste | |
| Umwälzung, hier kommt die zweite. Ich bin selbst erstaunt. Vor allem aber | |
| begeistert. Denn zum ersten Mal, zumindest in meinem Leben, ist klar: Hier | |
| wird etwas anders. | |
| 28 Jan 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/#aufschrei | |
| ## AUTOREN | |
| Silke Burmester | |
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