# taz.de -- Gastbeitrag zur Sexismus-Debatte: Medien, die auf Ausschnitte starr… | |
> Im politischen Alltag sei sie nie sexuell belästigt worden, meint die | |
> Grünen-Politikerin Krumwiede. Aber die Medien berichteten mehr über ihren | |
> Körper als über ihre Politik. | |
Bild: Endlich geht's um Inhalte: Krumwiede beim „politischen Speed-Dating“ … | |
In der vergangenen Woche kontaktierten diverse Redaktionen mein Büro im | |
Zusammenhang mit dem Sexismusvorwurf an Rainer Brüderle: Ob auch ich mich | |
zur Debatte um Sexismus in der Politik äußern wolle, schließlich sei ich | |
eine „schöne Abgeordnete“, wie einer der Anrufer seine Anfrage meinem | |
Mitarbeiter gegenüber einleitete. Ich lehnte ab. | |
Wenn es um sexuelle Belästigung durch Politiker geht, habe ich nichts | |
beizutragen. Ich habe mich noch nie von einem Politiker-Kollegen belästigt | |
gefühlt. Schlüpfrige Anmachen und zotige Sprüche von Angesicht zu Angesicht | |
gehören nicht zu meinen einschlägigen Erfahrungen als junge | |
Bundestagsabgeordnete. Sexismus und Frauenfeindlichkeit sind trotzdem | |
Bestandteil meines Alltags und begleiteten meinen Einstieg in die | |
Bundespolitik. | |
Bei [1][meiner ersten Rede vor dem Deutschen Bundestag] unterstellte | |
Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung meinem Fraktionsvorsitzenden, | |
Jürgen Trittin, einen anzüglichen Blick auf mein Hinterteil. Ein | |
entsprechendes Youtube-Video machte die Runde. Es ist nicht schön, mit | |
seinem Hinterteil durch die Boulevardpresse und Comedyshows gezerrt zu | |
werden. Am meisten empörte mich in diesem Zusammenhang eine Glosse in der | |
Lokalzeitung meines Heimatortes. Darin unterstellte mir der Verfasser, ich | |
hätte meinen Hintern „sorgsam inszeniert“, also die Aufregung um mein | |
Hinterteil selbst provoziert. | |
Ein paar Monate später legte dieselbe Lokalzeitung nochmal nach, in dem sie | |
betonte, ich sei „dank (meines) Körpereinsatzes fast schon so bekannt wie | |
Gabriele Pauli“. Auch die Süddeutsche Zeitung widmete sich der Geschichte. | |
Während eines zweistündigen Gespräches wurde mir die Gelegenheit gegeben, | |
grüne kulturpolitische Ansichten und Ziele zu erläutern. | |
Im [2][darauffolgenden Artikel] mit der Überschrift „Agnes und ihre Beine“ | |
war darüber allerdings keine Zeile zu lesen. Dafür wurde das Repertoire der | |
an mir ins Visier genommenen Körperteile erweitert. Jetzt ging es nicht | |
mehr „nur“ um meinen Hintern, sondern auch um meine Beine. | |
## Das Video wurde jedes Mal gezeigt | |
Auch einige Einladungen zu Talkshows habe ich in jenen ersten Monaten | |
meines Bundestagsmandates angenommen. Politische Initiativen vorzuweisen | |
hatte ich nach so kurzer Zeit im Bundestag noch nicht. Eingeladen wurde ich | |
wegen des besagten Youtube-Videos. Ich wollte diese Aufmerksamkeit nutzen | |
für die Kommunikation grüner und kulturpolitischer Inhalte. Beinahe jedes | |
Mal wurde das Video eingespielt, auf dem mir mein Fraktionsvorsitzender | |
(vermeintlich) auf den Hintern glotzt. | |
Ich erinnere mich an eine Talkshow, die in Köln aufgezeichnet wurde. Meinem | |
Büro hatte die Redaktion zugesichert, das berüchtigte Video würde nicht | |
gezeigt. Während der Aufzeichnung saß ich neben einem über achtzig-jährigen | |
Playboy, dessen Lebensleistung darin bestand, mit ziemlich vielen Frauen im | |
Bett gewesen zu sein. Er signalisierte mir, dass auch ich Chancen hätte, in | |
den Kreis seiner Bettgefährtinnen zu gelangen. Ich konterte, da hätte ich | |
ja wohl auch noch ein Wort mitzureden. Dann wurde das Video eingespielt, | |
auf dem mir mein Fraktionsvorsitzender (vermeintlich) auf den Hintern | |
glotzt. | |
Medientraining durch „Learning by doing“ war für mich mit schmerzhaften | |
Einsichten verbunden. | |
Nach der TV-Aufzeichnung lag ich frustriert im Hotelzimmer und wusste, dass | |
ich einiges ändern müsste, um inhaltlich als Kulturpolitikerin ernst | |
genommen zu werden. Ich stürzte mich in die Arbeit, ging zu keiner einzigen | |
Talkshow mehr, die nicht politische Themen zum Inhalt hatte, und legte mir | |
ein dickes Fell zu. Als Deutschlands bekannteste Boulevardzeitung fand, ich | |
zeigte „das tiefste Dekolleté des Bundestages“ … atmete ich tief durch u… | |
arbeitete einfach weiter. | |
## Mehr, als ich zu zeigen bereit war | |
Wieder lernte ich durch das Lokalblatt meiner Heimatstadt eine neue Lektion | |
zum Thema Chauvinismus. Nämlich, wie Politikerinnen abgestraft werden | |
können, wenn sie unbequeme Meinungen vertreten. Besagte Tageszeitung hatte | |
Thilo Sarrazin zu einer Lesung eingeladen. Als grüne Wahlkreisabgeordnete | |
kritisierte ich diese Einladung scharf in [3][einer Pressemitteilung]. | |
Auf Seite 1 erschien prompt ein im Tonfall [4][recht beleidigender Artikel] | |
– illustriert von einem Foto, auf dem durch ungünstige Körperhaltung mehr | |
von meinem Ausschnitt zu sehen war, als das Kleid und ich ursprünglich zu | |
zeigen bereit waren. Die Intention ist leicht zu durchschauen: Aussagen | |
einer Abgeordneten, von der es solche Fotos gibt, müssen wir ja gar nicht | |
ernst nehmen. | |
Mit dieser Methode sind kritische Äußerungen von Frauen leichter | |
wegzuwischen als jene von Männern. Politikerinnen auf ihre Weiblichkeit zu | |
reduzieren, geht oft einher mit einer Abwertung ihrer Kompetenz. Sexismus | |
ist auch ein Macht- und Stilmittel des „seriösen“ Journalismus – nicht n… | |
des Boulevards. | |
Deshalb empfinde ich die Empörungswelle über Sexismus in der Politik, der | |
sich alle bekannten Zeitungen und Medien momentan anschließen, als etwas | |
einseitig und scheinheilig. Auch die Vertreter der Zeitungs- und | |
Medienlandschaft in Deutschland müssen sensibilisiert werden für | |
versteckten und offenen Sexismus bei ihrer Berichterstattung über Frauen. | |
Nach der Bundestagswahl 2013 werden hoffentlich viele junge Frauen ein | |
Bundestagsmandat übernehmen. Sie in der medialen Öffentlichkeit nicht von | |
vornherein systematisch auf ihre Körperteile zu reduzieren, wäre ein erster | |
Schritt. | |
## Große Verantwortung | |
Natürlich gibt es viele sehr gute und seriöse Journalisten – übrigens auch | |
beim hier oft erwähnten Lokalblatt – mit denen ich in den letzten Jahren | |
gerne und regelmäßig zusammengearbeitet habe. Sexismus und | |
Frauenfeindlichkeit sind nicht nur Phänomene der Politik und des | |
Journalismus. | |
Aber Medien können Meinungen beeinflussen und tragen eine sehr große | |
Verantwortung – auch für das gesellschaftliche Klima. Sexismus und | |
Machtmissbrauch dürfen in unserer Gesellschaft keine Chance haben. Frauen | |
steht nicht nur der gleiche Lohn zu wie männlichen Kollegen, sondern auch | |
der gleiche Respekt. | |
30 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=no9sufRH434 | |
[2] http://www.sueddeutsche.de/bayern/die-gruene-miss-bundestag-agnes-und-ihre-… | |
[3] http://www.agnes-krumwiede.de/presse/pressemitteilungen-fuer-bayern/artikel… | |
[4] http://www.donaukurier.de/lokales/ingolstadt/Ingolstadt-wochennl392011-Krum… | |
## AUTOREN | |
Agnes Krumwiede | |
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