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# taz.de -- Debatte Jauch und der Herrenwitz: Von Männern, Stieren und Ochsen
> Männer sollten lernen, auf Signale der angebaggerten Frau zu reagieren.
> Die Verwirrung, die diese Forderung auslöst, zeigt den tiefverwurzelten
> Sexismus in Deutschland.
Bild: Ein wenig verwirrt von der Diskussion: Günter Jauch mit alten und neuen …
Na klar, lassen weder Stern noch Spiegel auch nur eine Gelegenheit aus,
hübsche nackte Frauen aufs Cover zu packen. Na klar, sind die
Führungsriegen der Magazine, in denen sich jüngst zwei Journalistinnen über
den ihnen widerfahrenen alltäglichen Sexismus aufregen, fest in Männerhand.
Beide Gazetten verdienen gut daran, sexistische Strukturen fortzuschreiben,
jede Woche aufs Neue. Und es gibt keine Indizien dafür, dass ihre
Chefredakteure vorhätten, das zu ändern.
Doch diese Kritik, so berechtigt sie ist, sie verkennt das Potenzial in der
jetzt hochbrandenden Debatte. Das Problem ist, so sagte Silvana Koch-Mehrin
(FDP) zurecht bei „Jauchs“-Talkrunde mit dem Titel „Ein Herrenwitz und
seine Folgen“ „größer als Brüderle und der Stern“. Es geht darum, wer
autorisiert wird, Verhaltensnormen festzulegen: der angetrunkene
Promipolitiker oder die angemachte Journalistin? Wer muss auf wen
reagieren?
Bislang galt als ungeschriebenes Gesetz: Die in den lüsternen Blick
geratene Frau hat die Situation zu entschärfen: Entweder sollte sie gehen
(oder darf gar nicht erst an die Bar gekommen sein) oder sich galant
wehren; gegebenenfalls kann sie die Belästigungen auch mit einem Lächeln
ignorieren. Keinesfalls darf sie den übergriffigen Charmeur öffentlich zur
Ordnung rufen.
Ansonsten ist sie – nicht etwa der besoffene Mann – unprofessionell. Wibke
Bruhns, die erste Nachrichtensprecherin der Republik und anschließende
Parlamentskorrespondentin in Bonn, wurde nicht müde, das zu wiederholen.
Denn, so ihre Begründung, Männer seien nun mal Männer und Frauen Frauen.
Ebenso wie es Stiere und Kühe gäbe. Wer das ändern wolle, müsse aus Stieren
Ochsen machen. Oh je. [1][Anne Wizorek, die die Debatte auf Twitter]
initiiert hat, sah Bruhns fassungslos an. Und selbst Günther Jauch war
dieser Spruch irgendwie unangenehm. Analysieren konnte er ihn nicht.
## Neu: Machtmänner sollen sich benehmen
Scharmützel beiseite. In der Debatte passiert gerade etwas Wichtiges,
nämlich eine Neudefinition über Jahrhunderte tradierter Zuschreibungen und
Normen. Die Versuche seitens der FDP, die Stern-Journalistin Himmelreich
als „peinlich“ und ihren Artikel als „unter der Gürtellinie“ zu
diffamieren, sind gescheitert. Stattdessen sehen auch einige männliche
Leitartikler und laut einer aktuellen Umfrage die Mehrheit der Deutschen
bei Rainer Brüderle Handlungsbedarf.
Sie finden, der männliche Profi müsse sich entschuldigen, müsse die
Gratwanderung zwischen informellem Gespräch und professionellem
Informationsaustausch beherrschen. Da er das offenkundig nicht tue, wäre es
an ihm, dazuzulernen. Rainer Brüderle schweigt.
Nichts ist in einer patriarchal gestrickten Gesellschaft wirksamer gegen
Sexismus, als wenn der Sexist ausgelacht wird – von Männern. Wohlgemerkt,
wir reden hier nicht von sexueller Gewalt, der ist mit Spott nicht
beizukommen. Wir reden hier von Aufdringlichkeiten, wir reden hier davon,
dass Machtmänner aufgerufen sind, sich daran zu gewöhnen, Frauen am
Arbeitsplatz und auf der anschließenden Party respektvoll zu begegnen. Zum
Flirten braucht es zwei Personen, belästigt wird immer nur eine. Dieser nun
viel zitierte Spruch, bringt die Sache ganz gut auf den Punkt.
Die Selbstverständlichkeit, mit der ein bestimmter Männertypus seine
Überlegenheit mithilfe von Schlüpfrigkeiten demonstriert, könnte nun auf
ihn selbst zurückfallen. Offenbar will in der bürgerlichen Mitte keiner
mehr Brüderle sein, alle wollen George Clooney werden. Bestens. Dieser
Wunsch könnte ein Baustein sein, um den längst überfälligen Kulturwandel in
der Arbeitswelt anzustoßen.
## Warum ist eine Himmelreich so störend?
Studien stellen immer wieder fest, dass Frauen nicht wegen mangelnder
Qualifikation bei Beförderungen seriell umgangen werden. Die vom
Bundesministerium für Familie in Auftrag gegebene Untersuchung „Frauen in
Führungspositionen. Barrieren und Brücken“ (2010) etwa hat 40 qualitative
Einzelinterviews mit männlichen Topmanagern geführt. Fast durchweg
qualifizieren diese ihre Kolleginnen als Störfaktor, sofern sie eben nicht
als Sexualobjekt, sondern als gleichberechtigte Kollegin adressiert werden
möchten.
Dass ihre Leistung nicht ausreiche, ist dabei nicht das Thema. Wie es ein
Interviewpartner formuliert, geht es um folgendes „Sie stört die Kreise.
Sorry. Sie kommunizieren anders. Man kann es ganz platt ausdrücken. Sie
können nicht mehr so viele dreckige Witze machen. Nicht die Fachkompetenz
wird angezweifelt, darum geht es gar nicht. Es geht einzig und alleine
darum. Sie stört die Kreise, die Zirkel der Männer.“
Auch Laura Himmelreich stört die Herrenrunde mit Herrenwitz und Dame. Und
sie verlangt, eine verlässliche soziale Kompetenz, auch bei Männern, die in
der Hierarchie weit über ihr stehen. Alice Schwarzer, die Sonntagabend
prima gelaunt der Zukunft entgegenblickte, erklärt sich den
Paradigmenwechsel so: Viele junge Frauen sind so wütend auf die ekligen
Herren, weil sie wirklich daran geglaubt haben, dass Leistung zähle. Dass
wenn sie hart arbeiteten, Sexismus Geschichte ist.
Nun stellen sie fest, „dass die alte Kacke immer noch dampft“. Anders als
Wibke Bruhns flüchten sie sich aber nicht in Biologismen („so isses halt“),
sondern regen sich auf und fordern die Diskussion. Und die Debatte auf
Twitter zeigt: Es sind Zigtausende und eben nicht „nur“ Frauen.
P.S. Ob Brüderle zurücktreten muss? Nein, natürlich nicht. Ekelhaft zu
sein, ist kein Verbrechen, es ist ein Fehler. Aber Sexismus wird allmählich
zum Kriterium, an dem sich auch Machtmänner (alte wie junge übrigens)
messen lassen müssen. Das ist neu und eine gute Nachricht.
28 Jan 2013
## LINKS
[1] http://twitter.com/marthadear
## AUTOREN
Ines Kappert
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