# taz.de -- Politologe über Sexismus: „Es braucht Fingerspitzengefühl“ | |
> Was darf Mann noch sagen? Schwierig, meint Dag Schölper vom Bundesforum | |
> Männer. Erlaubt sei, worauf zwei sich einigen. | |
Bild: Hoffentlich kein Mädchenbier, trotz komischem Hut. | |
taz: Herr Schölper, wurden Sie schon mal von einer Frau sexuell belästigt? | |
Dag Schölper: Nein. | |
Von einem Mann? | |
Das schon. Aber nicht auf die selbe Weise, in der FDP-Spitzenkandidat | |
Rainer Brüderle mit der Journalistin umgegangen ist. | |
Sondern? | |
Ich empfinde es beispielsweise als unangemessen, wenn ich zu einem | |
bestimmten Bier greife und hören muss: Das ist doch ein Mädchenbier. | |
Das ist schon diskriminierend? | |
Wenn ich als Mann einem bestimmten Erwartungsdruck entsprechen muss und | |
abgewertet werde, ist eine Grenze überschritten. Da greift ein | |
Distinktionsmechanismus, meist verbunden mit einem Späßchen, der im Alltag | |
häufig vorkommt. | |
Herr Brüderle hat seine Anmache sicher auch als Späßchen gesehen. Wo | |
beginnt die Differenz zwischen Flirt und Belästigung? | |
Das kommt auf die Situation an. Das gesprochene Wort kann in | |
unterschiedlichen Momenten unterschiedliche Wirkungen entfalten. Aber: Ein | |
Chef hat sich jede anzügliche Bemerkung gegenüber Untergebenen zu | |
verkneifen, und sei sie noch so positiv gemeint. Ein Kompliment zwischen | |
zwei Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen, darf hingegen sein. | |
Sexismus ist also immer eine Frage der Macht? | |
Ohne Machtgefälle funktionieren verbale sexuelle Übergriffe nicht. Jemand, | |
der aus einer niederen Position heraus solche Attacken versuchen würde, | |
hätte schon verloren, bevor er überhaupt angefangen hat. | |
Warum? | |
Weil sein Angriff verpuffen würde. Unabhängig davon wagen sich kaum | |
Untergebene, Chefs auf eine solche Weise anzusprechen. Ein Machtgefälle | |
entsteht im Übrigen nicht nur aufgrund von Hierarchien. Das gibt es auch | |
zwischen Menschen auf gleicher Ebene. | |
Was ist erlaubt, was nicht? | |
Das ist schwer zu sagen. Das ist einerseits abhängig von den Absprachen, | |
die zwischen Menschen herrschen. Wenn zwei sich auf einen bestimmen Umgang | |
miteinander verständigt haben, dann ist das okay. Auch wenn das für | |
Außenstehende vielleicht nicht so ist. Andererseits kommt es auch immer auf | |
die Tagesform der Beteiligten an. Manchmal kann eine Bemerkung, die gestern | |
noch durchgegangen wäre, heute zutiefst verletzten. | |
Brauchen wir neue Regeln für den Umgang miteinander? | |
Eindeutig abwertende Begriffe und Verniedlichungen haben tabu zu sein – | |
sowohl im Job als auch privat. Das „Schätzchen“ im Büro gehört ebenso da… | |
wie der „Wichser“. Aber jetzt einen Kodexkatalog zu entwickeln halte ich | |
für nicht zielführend. | |
Wieso? | |
Weil ein Sprachregelkatalog unrealistisch ist. Der würde unter anderem zur | |
Folge haben, dass das Spielerische zwischen den Geschlechtern, das häufig | |
auch im Büro vorkommt, verloren ginge. Das Ergebnis wäre eine komplette | |
Entsexualisierung. Ein stupides platonisches Nebeneinander will doch | |
niemand. | |
Was, wenn jemand spielerische Grenzen nicht erkennt? | |
Es braucht Fingerspitzengefühl, um ausgewogen zu kommunizieren. Das ist | |
nicht leicht. Aber das kann man lernen. | |
Komplimente sind also noch möglich? | |
Es wäre tragisch, würden die jetzt verboten. | |
Und wenn jemand ein Kompliment nicht als solches versteht, sondern als | |
sexistische Anmache? | |
Das Gefühl, verletzt worden zu sein, nicht wegdrücken, sondern als | |
Grenzüberschreitung anerkennen und sie dem Gegenüber mitteilen. Komplimente | |
können auch mal danebengehen. Es muss aber möglich sein, sich zu | |
entschuldigen und zu signalisieren: Hier bin ich zu weit gegangen, das habe | |
ich verstanden. | |
29 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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