Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Chauvinistische Politiker: Die ganz alltägliche Anmache
> Angrapschen, spitze Bemerkungen, .... Sexismus ist im Politikbetrieb
> allgegenwärtig. Neu ist, dass die Mackerkultur in den Medien an Boden
> verliert.
Bild: Der Herrenwitz ist auf dem Rückzug. Um die Hirsche wird es einsam.
Da gibt es einen ehemaligen Wirtschaftsminister. Von dem heißt es, dass die
diplomatischen Vertretungen bei seinen Auslandsreisen angewiesen wurden,
keine weiblichen Angestellten allein mit ihm im Raum zu lassen, weil seine
Übergriffe gefürchtet waren. Da gibt es auch den grünen EU-Parlamentarier,
der seine Praktikantin angegrabscht haben soll. Und da ist schließlich der
SPD-Spitzenpolitiker, der es nicht lassen kann, im kleinen Kreis spitze
Bemerkungen über den Frauen-Arbeitskreis seiner Partei abzulassen.
Solche Geschichten machen in vielen Redaktionen schon seit Jahren die
Runde. Selten aber wurde darüber geschrieben. Der Bericht der jungen
Kollegin Laura Himmelreich im aktuellen Stern über ihre Begegnung mit dem
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle beim Dreikönigstreffen der Partei vor
einem Jahr bildet da eine Ausnahme.
Aber wie alltäglich ist der Sexismus im Berliner Politikbetrieb?
Klar ist, dass es hierzulande keine dauerbrünftigen Spitzenpolitiker wie
Silvio Berlusconi oder Dominique Strauss-Kahn gibt, die mit ihren
Übergriffen für Schlagzeilen sorgen. Auch hat sich Rainer Brüderle nicht
strafbar gemacht. Ist sein abendlicher Aussetzer an der Hotelbar deshalb
überhaupt ein Skandal?
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy findet: Nein. „Es zeugt für
mich von einem merkwürdigen Berufsverständnis, als Journalistin um
Mitternacht an einer Hotelbar ein offizielles Gespräch mit einem Politiker
führen zu wollen.“ Es liege doch auf der Hand, dass das ein nicht
öffentliches Gespräch gewesen sei, sagte Edathy der taz. „Wenn die
betroffene Journalistin das Geschehen als übergriffig empfunden hat, hätte
sie das schon vor einem Jahr öffentlich machen können.“
## „Brüderle wird man so nicht kurieren“
Annette Bruhns sieht das anders. Die Redakteurin beim Spiegel ist
Vorsitzende des Netzwerks Pro Quote, das sich für mehr Frauen in
journalistischen Führungspositionen einsetzt. Es sei gut, dass nun über den
Sexismus in Politik und Medien diskutiert werde, sagt Bruhns. „Brüderle
wird man so nicht kurieren. Aber sicher müssen Männer mehr nachdenken.“
Sie ist zuversichtlich, dass der alte Herrenwitz à la Brüderle auf dem
Rückzug ist. „In den Redaktionen entscheiden männliche Chefredakteure“,
sagt sie. „Aber es kommen immer mehr Frauen in Führung, und mit ihnen
verliert die dumpfbackige Mackerkultur an Boden.“ Deshalb wundere es sie
nicht, dass der Stern nun eine 29-jährige Kollegin über die Anmache von
Rainer Brüderle schreiben lasse. Chauvinismus sei inzwischen ein
salonfähiges Thema.
Noch aber ist der politische Betrieb sehr männlich dominiert, der
Medienbetrieb auch. Selbst der Stern gibt zu, dass in „manchen Redaktionen
junge, attraktiven Frauen strategisch eingesetzt werden.“ Eine gewisse Nähe
zwischen Politikern und Journalisten wird außerdem von beiden Seiten
gesucht. Abends versackt man dann eben gemeinsam an der Hotelbar. Politiker
reden dann freier – und stecken einem Journalisten dann womöglich eine
Story.
## Dildo mit der Post
Früher war der Sexismus in Politik und Medien auch sicher krasser. Darüber
berichtete die ehemalige Spiegel-Redakteurin Ursula Kosser in ihrem Buch
„Hammelsprünge“, das im vergangenen Jahr herauskam. Darin erzählte sie ü…
Sex und Macht zu Zeiten der Bonner Republik. Einmal erhielt sie von einem
Abgeordneten per Post eine Dildo. Auf einem beigelegten Kärtchen stand:
„Auf gute Zusammenarbeit“. Dieses Buch, sagt Pro-Quote-Chefin Bruhns, war
der erste „Tabubruch“.
Aber hat sich der Tonfall wirklich so viel geändert – jetzt, wo immer mehr
Frauen in der Politik und im Journalismus eine wichtige Rolle spielen? Und
ist Brüderle mit seiner alkoholisierten Anzüglichkeit und seinen
abgestandenen Herrenwitzen also ein Auslaufmodell?
Brüderle stammt ja nicht nur aus dem männlich dominierten Wirtschaftsflügel
seiner Partei und aus dem Südwesten der Republik, wo die Uhren noch etwas
anders gehen. Er gehört auch einer anderen Generation an. Schwer
vorstellbar, dass jüngere Parteikollegen wie Philipp Rösler oder Christian
Lindner ähnliche Sprüche reißen.
Doch auch Peer Steinbrück, der SPD-Kanzlerkandidat, ließ immer mal wieder
Zweifel daran aufkommen, ob er Frauen wirklich auf Augenhöhe begegnet. Seit
seiner Nominierung fordert er zwar Lohngleichheit für Frauen und Männer
sowie moderne Arbeitszeitmodelle für Familien. Aber in sein Kompetenzteam
berief er keine einzige Fachfrau. Und bei einer Jubiläumssendung zu „60
Jahren Tagesschau“ kommentierte er Einspieler aus dem Archiv. Dann nannte
er die Nachrichtensprecher, die er besonders geschätzt habe. Zwei Männer –
und „Ellen Arnhold – aus ästhetischen Gründen“.
## Nerd-Sexismus bei den Piraten
Das zweifelhafte Verdienst, das Thema Sexismus im Politikbetrieb auf die
Agenda gehoben zu haben, gebührt aber der Piratenpartei. Erst vor einer
Woche hatte die Journalistin Annett Meiritz im Spiegel beschrieben, wie sie
innerhalb der Partei als Hure abgestempelt wurde. Doch schon zuvor musste
die Partei sich mit der Frage befassen, ob es bei ihnen besonders
frauenfeindlich zugeht. Mal bezeichnete deren Berliner Abgeordneter Gerwald
Claus-Brunner die Frauenquote als „Tittenbonus“, mal titulierte sein
Fraktionskollege Alexander Morlang eine Piratin als „Exfickse“.
Der nerdige Sexismus 2.0 kommt nicht weniger ordinär daher als seine
analogen Vorläufer. Er ist allerdings im wörtlichen Sinne unverschämter.
Die Übergriffe finden nicht mehr an der Hotelbar oder im
Hintergrundgespräch statt, sondern gern im Internet, vor aller Augen –
beispielsweise bei Twitter. Diese Transparenz hat dazu geführt, dass die
Piraten als Sexistenpartei am Pranger stehen.
Allerdings gibt es in der Partei auch eine Gegenbewegung: Piratinnen und
Piraten, die nicht bereit sind, frauenfeindliches Verhalten weiter zu
tolerieren. In Berlin arbeiten die Piraten zur Zeit an einer
Nulltoleranz-Initiative, die einen offensiven, kompromisslosen Kurs im
Umgang mit Sexisten in den eigenen Reihen verlangt. Eine der Forderungen:
Im „Sinne der Transparenz und der Vorbeugung“ sollten künftig sämtliche
Vorfälle öffentlich gemacht werden.
Einer der Mitinitiatoren ist der Berliner Bezirksabgeordnete Felix Just.
Bei einem Arbeitstreffen habe der Landtagsabgeordnete Morlang unlängst eine
Politikerin mal eben so als „Blondfotze“ tituliert, berichtet der
31-jährige Softwareentwickler. Für ihn und seine Basis-Arbeitsgruppe stehe
fest: „Das werden wir uns nicht mehr bieten lassen.“ Just machte den
Vorfall darum bewusst publik. „Ich glaube nicht, dass es bei den Piraten
weniger oder mehr Sexismus gibt als in anderen Parteien“, sagt er. Aber die
Piraten sollten klarer damit umgehen. „Den Shitstorm“, sagt er
selbstbewusst, „halte ich schon aus.“
24 Jan 2013
## AUTOREN
D. Bax
A. Geisler
H. Gersmann
A. Maier
## TAGS
Rainer Brüderle
FDP
Sexismus
Politikbetrieb
Dominique Strauss-Kahn
Dominique Strauss-Kahn
Dominique Strauss-Kahn
Silvio Berlusconi
Sexismus
Sexismus
Sexismus
#Aufschrei
Rainer Brüderle
Rainer Brüderle
FDP
FDP
Rainer Brüderle
Schwerpunkt Landtagswahlen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Strauss-Kahns Sex-Partys: Anklage wegen „schwerer Zuhälterei“
Ein französisches Strafgericht will dem ehemaligen IWF-Chef Dominique
Strauss-Kahn den Prozess machen. Es geht um Prostitution in Luxushotels.
Obsessives Interesse am Sexskandal: Das kollektive Gelüst
Die Debatte um ein Enthüllungsbuch über Dominique Strauss-Kahn zeigt, dass
Frankreichs Selbstverständnis in der Krise steckt.
Gerichtssache Strauss-Kahn: Mehr Mensch als Schwein
Dominique Strauss-Kahn hat halb gewonnen: Das Buch seiner Ex-Geliebten kann
er nicht verbieten, aber eine Gegendarstellung hat er durchgesetzt.
Angela Bruno und der Brüderle Italiens: Silvios sexuelles Scherzobjekt
Sie sollte ihm die Firmenstrategie erklären, er interessierte sich nur für
Details aus ihrem Sexleben. Jetzt lebt die Italienerin mit medialem
Dauerbeschuss.
Politologe über Sexismus: „Es braucht Fingerspitzengefühl“
Was darf Mann noch sagen? Schwierig, meint Dag Schölper vom Bundesforum
Männer. Erlaubt sei, worauf zwei sich einigen.
Sexismus-Aufschrei: Eine Frage des Respekts
Die Sexismus-Debatte verwirrt viele, die Rechtslage aber ist klar:
Unerwünschtes Verhalten ist eine Belästigung – und verboten.
Sexismus-Debatte um Brüderle: „Saloppe Bemerkung“
In der Debatte um Sexismusvorwürfe gegen Rainer Brüderle erhält der
FDP-Fraktionschef Unterstützung von männlichen Kollegen. Politikerinnen
kritisieren ihn.
Sexismus-Debatte um Brüderle: Herrenwitz entfacht Twitter-Sturm
Nach dem Sexismusvorwurf einer „Stern“-Journalistin gegen den
FDP-Spitzenkandidaten reagieren Medienfrauen zwiespältig. Bei Twitter wird
wild diskutiert.
SPD-Frauenpolitikerin über Brüderle: „Heute ist die Abwertung subtiler“
Die SPD-Vizefraktionsvorsitzende Elke Ferner über Rainer Brüderles
Anmachspruch und den sich wandelnden Sexismus im parlamentarischen Alltag.
Kolumne Macht: Haben die zu Hause keinen Spiegel?
Gut, dass Rainer Brüderles Distanzlosigkeit öffentlich gemacht wurde. Woher
nehmen diese Männer eigentlich ihr Selbstbewusstsein?
Kommentar Brüderle-Affäre: Brüderles Grenzüberschreitung
Es ist richtig vom „Stern“, die Geschichte zu veröffentlichen. Und die FDP
sollte sich nicht als Opfer einer Kampagne stilisieren. Was ansteht, ist
eine Entschuldigung.
Kommentar Sexismus von Politikern: Brüderle ade
Auch der letzte Macht-Macho sollte Grenzen zwischen flirtendem Miteinander
und machtgesteuerter Besitzgier erkennen. Brüderle ist ein Relikt aus
Bonner Zeiten.
Kommentar Brüderles Sexismus: Die hässliche Wahrheit
Die Anekdote über Brüderles Anmache mag ein Tabubruch sein. Doch es ist
kein Vergnügen, sich im politischen Berlin ständig den Sexismus von
Politikern anhören zu müssen.
FDP-Spitze: Rösler bietet Rücktritt an – und bleibt
Der umstrittene FDP-Parteichef Philip Rösler hatte – mit einem guten
Wahlergebnis im Rücken – seinen Rücktrit angeboten. Nun bleibt er. Rainer
Brüderle soll das Wahlkampfteam leiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.