# taz.de -- Gleichstellung der Geschlechter: Der Wahnsinn der Mittelschicht | |
> Im Buch „Das Ende der Männer. Und der Aufstieg der Frauen“ ist | |
> Emanzipation gleich Leistung. Das ist falsch – verkauft sich aber prima. | |
Bild: Die Zukunft der Frauen hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt ... | |
„Das Ende der Männer. Und der Aufstieg der Frauen“. Ein Wunschdenken, ein | |
Titel, ein Bestseller. Die Welt nicht mehr als Scheibe, dafür als Waage | |
alten Stils. Verliert das Schälchen links an Gewicht, schnellt das | |
Schälchen rechts in die Höhe. Klar, so funktioniert die Mechanik der Macht, | |
genau so. Hanna Rosin jedenfalls ist davon überzeugt und sie findet mit | |
ihrer Prognose massenhaft Gehör, in den USA und, seitdem die deutsche | |
Übersetzung auf dem Markt ist, auch hier. | |
Aber haben wir das nicht schon gehört, waren „die“ Männer nicht auch schon | |
um die Jahrtausendwende arg in der Krise – lange bevor Finanz- und | |
Wirtschaftskrise die Welt ereilten? Ja, waren sie. Denken Sie nur an „Fight | |
Club“ oder „American Beauty“. Oder an Susan Faludi. Sie schrieb schon 2000 | |
„Männer, das betrogene Geschlecht“. Und jetzt ist also auch Hanna Rosin mit | |
von der Partie. Dank ihr rennt die alte Sau wieder eine neue Runde durchs | |
Dorf. Woher nimmt sie bloß die Kondition? | |
Da wäre das soziologisch haltlose Überstrapazieren der | |
Geschlechterdifferenz – Mann versus Frau –, der Eklektizismus als Methode, | |
und da wäre der als feministisch verbrämte Leistungsfetischismus als | |
Ideologie. Man führe alles drei zusammen – und schon erstrahlt das 21. | |
Jahrhundert als das „der“ Frauen. Dass die in der Regel weiß sind und den | |
Mittelschichten angehören, für Rosin ist das kein Problem, ja kaum der Rede | |
wert. Wer schließt nicht gerne von sich auf die Welt? Kennen wir alles. | |
Aber der Leistungswahn in seinem jetzigen Gewand ist neu und er hat etwas | |
Aufmerksamkeit verdient. | |
## Nicht mal Zeit fürs Fitnessstudio | |
Im Paradies der Start-ups, im Silicon Valley, etwa trifft Rosin auf | |
Topfrauen wie Marissa Meyer, die Vorstandsvorsitzende von Yahoo, auf Katie | |
Stanton, die eine Leitungsposition bei Twitter hat, genauso wie Emily White | |
bei Facebook. Alle drei Karrierefrauen haben Familie. Rosin gewinnt den | |
Eindruck, dass deren Leben „nicht unbedingt perfekt“ sei und auch „übera… | |
anstrengend“. „Stanton arbeitet jeden Abend – wirklich jeden Abend in der | |
Woche – und hat nie Zeit, im Fitnessstudio zu trainieren oder mit ihrem | |
Mann auszugehen. Die Frauen haben zwar flexible Arbeitszeiten, dafür | |
arbeiten sie aber ständig.“ Dennoch sei „die Arbeitskultur im Silicon | |
Valley eine Offenbarung“. Totale Arbeit als Erlösungsmodell. | |
Protestantische Arbeitsethik galore. Auf die Idee muss man erst mal kommen. | |
Diese Rede von der superarbeitsamen, erfolgreichen Frau als Mensch der | |
Zukunft, sie hat im Infotainment wie in der Massenunterhaltung | |
Hochkonjunktur. Zum Beispiel die TV-Kommissarinnen, die anders als ihre | |
Kollegen keine Verwendung für Freizeit haben und 24/7 am Mordfall kleben. | |
Ulrike Folkerts, beziehungsweise die von ihr gespielte Figur der | |
„Tatort“-Ermittlerin Lena Odenthal, ist die Mutter und Queen dieser | |
Propaganda – und die hat eine feministische Basis. | |
Seit Jahrhunderten kämpfen vor allem Frauen dafür, dass es nicht allein | |
Männern, sondern auch ihnen möglich ist, zwischen der privaten und der | |
öffentlichen Sphäre unbehelligt zu pendeln. Bezahlte Arbeit macht sichtbar, | |
bezahlte Arbeit macht selbstbewusst, sie bringt die Anerkennung, die der | |
unbezahlten, zumeist von Frauen geleisteten Arbeit am Menschen vorenthalten | |
wird. Alles richtig. Falsch wird es erst, wenn die Erwerbsarbeit zum | |
Selbstzweck wird. Und nichts anderes zelebriert Rosin, die in der | |
durcharbeitenden, anpassungswilligen Frau die Speerspitze der Emanzipation | |
sieht. | |
## Angst vor der Genießer-Frau | |
Die Frage: Wozu jeden Tag so hart arbeiten?, beantworten Rosins | |
Gesprächspartnerinnen denn auch durchweg mit: Weil es Spaß macht. Es macht | |
Spaß, jeden (!) Abend bis in die Nacht zu arbeiten? Es macht Spaß, als | |
einzige Unterbrechung den Gang zur Kita oder zum Kinderzimmer zu haben, um | |
die Kleinen abzuholen oder ins Bett zu bringen? Wie viel Angst die | |
westlichen Gesellschaften vor der genießenden Frau haben, vor der Frau, die | |
arbeitet, um gut zu leben: erstaunlich. | |
Es sei nun dahingestellt, ob die in „Das Ende der Männer“ porträtierten | |
Frauen tatsächlich so roboterhaft leben, wie sie sagen, und tatsächlich nie | |
nutzlos in der Sauna herumsitzen. Entscheidend ist ihre Selbstdarstellung – | |
und dass Rosin jenes Diktum von „Leistung macht frei“ fraglos gutheißt und | |
damit einen internationalen Bestseller landet. | |
Die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie beschreibt diesen mit | |
dem Stereotyp der starken Frau bebilderten Leistungswahn als „Abwicklung | |
des Feminismus“. In ihrem klugen, wenn auch durch und durch pessimistischen | |
Buch „Top Girls“ schreibt sie: „Sie sind die Expertinnen, die genau wisse… | |
wie eine unattraktive, erfolglose Frau dem Versprechen des Erfolgs ein | |
Stückchen näher gebracht werden kann.“ | |
Gehirnwäsche mithilfe der Chefin, die sich vom patriarchalen Regime, nur | |
Mutter zu sein, emanzipiert hat – zugunsten der freiwilligen und diesmal | |
lückenlosen Unterwerfung unter die Ansprüche ihres Arbeitgebers. | |
Nicht mal die Vorzeige-Konsumtrottel aus „Sex and the City“ waren solche | |
Ideologieleichen. Nie wären die vier Freundinnen auf die Idee gekommen, auf | |
Freizeit zu verzichten oder ihr Geld nicht zu genießen. | |
## Boshaft gegen Jungen | |
Die Frage nach dem Recht auf Faulheit, auf Zögerlichkeit als emanzipative | |
Handlungsoption, weil Noch-nicht-Wissen, weil der Zeitraum vor der Tat die | |
Freiheit bieten kann, über Alternativen nachzudenken – all das wird | |
verdrängt durch den dieser Tage so leichtgängigen Fetisch „fleißige, starke | |
Frau“. Als ob Fleiß notwendig zum Erfolg führe, als ob der Alltag nicht | |
täglich vorführe, dass Machtpositionen keineswegs verlässlich an | |
Leistungsträger verteilt werden, als ob Erfolglosigkeit ein Verbrechen | |
wäre. Was für eine Naivität. Sie feuchtet einem die Augen an. | |
Doch Rosin ist nicht nur naiv, sie ist auch boshaft. Ihre Häme gegen ihre | |
Söhne, die sich anders als die Tochter keine To-do-Listen machen, bevor sie | |
ins Bett gehen, ist beachtlich. „Als wir über die Schule sprachen, | |
schweiften die Jungen schnell ab. Sie kamen auf Actionhelden zu sprechen | |
und begannen, ’Jäger des verlorenen Schatzes‘ nachzuspielen (…) Man sagt | |
einem Jungen, was er tun soll, und er beginnt bereits, Fluchtpläne zu | |
schmieden.“ Zum Glück: Bei ihnen sind die Fluchtreflexe noch intakt. | |
Leistungsfestischismus als Lebenssinnersatz, das alles ist keine | |
Frauenangelegenheit. Das ist der kollektive Wahnsinn der Mittelschichten, | |
er hat nur ein weibliches Gesicht bekommen. Aber dafür haben wir uns doch | |
nicht emanzipiert, oder? | |
1 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
Ines Kappert | |
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