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# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Noch schneller soll es sein
> Nichtregierungsorganisationen waren einmal Avantgarde. Sie versprachen
> effizientes, sinnvolles Tun und „gute“ Politik. Das ist längst vorbei.
Bild: Politisch? Symbolisch? Stylisch? NGO-Aktion in Indien.
Wenn es etwas gibt, das wirklich österreichisch ist, dann das: Vor genau 20
Jahren fand in Wien das „Lichtmeer“ statt – eine Großkundgebung gegen
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Aus der damaligen Bewegung ging eine
bis heute aktive NGO hervor: „SOS Mitmensch“. Wirklich wienerisch ist, dass
ihr 20-jähriges Jubiläum mit einer Matinee in einem der größten Theater der
Stadt begangen wird.
Mir geht es weder um Fragen der Musealisierung noch um das „Ankommen“ einer
Bewegung in der Gesellschaft. Was bei dieser Veranstaltung vielmehr
deutlich wurde, ist etwas anderes: NGOs waren einmal die avancierteste Form
der politischen Organisation. Eine befreiende Artikulation von politischem
Engagement neben und gegen Parteien als schwerfällige, hierarchische
Disziplinarinstitutionen, als korrupte Teile des Machtsystems.
Dagegen waren NGOs das neue Medium, es versprach unmittelbare Beteiligung,
direkte Partizipation, Wissensakkumulation, effizientes, sinnvolles Tun und
vor allem aber saubere Hände. NGOs bedeuteten Glaubwürdigkeit und
moralische Kraft – eine politische Beteiligungsform, die im Unterschied zu
Parteien eine in jeder Hinsicht „gute“ Politik garantierte. Heute aber
haben NGOs diesen Status – teilweise – verloren. Denn aus der Perspektive
der neuen Engagementformen sehen NGOs alt aus.
Nicht sosehr, weil sie Teil des Establishments geworden sind, sondern eher,
weil sie Teil des traditionellen Politikverständnisses sind. Widerständiges
politisches Handeln hat längst eine neue Definition erfahren. Dieses soll
noch spontaner, noch dynamischer, noch unhierarchischer, noch schneller
sein. „Kundgebung heißt jetzt Flashmob“, schreibt der Menschenrechtler
Philip Sonderegger (der zehn Jahre Sprecher von SOS-Mitmensch war). Beim
Flashmob führt eine direkte Linie von der Emotion zum politischen Handeln.
Das bedeutet aber: Politisches Handeln verlagert sich zunehmend von
jeglicher Institution und Repräsentation hin zum Einzelnen.
Und das ist keineswegs nur bei dezentralen Schwarmkampagnen so. Auch im
viel alltäglicheren politischen Engagement gibt es einen Verdacht gegen
jedes vereinheitlichende Label. Diesen Wandel in der politischen
Überzeugungskultur nannte Ijoma Mangold in der Zeit einmal einen
„Überzeugungsindividualismus“, der allerorten nur noch „individuelle
Partizipationscocktails“ mischt. Es ist klar, dass solch differenziertes,
kleinteiliges politisches Engagement nur punktuell gemeinschaftlich ist.
## Macht der Institutionen
Dabei entsteht höchstens eine „Multitude“, Singularitäten also, die – l…
Toni Negri und Michael Hardt – gemeinsam handeln, aber Singularitäten
bleiben. Solche wollen keinen institutionellen Mittler zwischen Person und
Politik. Denn politische Institutionen sind verbindlich, hierarchisch,
disziplinierend und verallgemeinernd. Sie sind alle – in unterschiedlicher
Intensität zwar, aber dennoch: Disziplinarinstitutionen.
Die heutige Organisationsform hingegen ist das Netzwerk: lose,
unverbindlich, dezentral, unhierarchisch. Eine NGO ist aber nun mal kein
Netzwerk, sondern eine Institution. Eine niedriggradige, aber dennoch eine
Institution. Und damit ist sie in einem gewissen Maße eben schwerfällig,
disziplinierend und verbindlich.
Dieselben Argumente also, die vor 20 Jahren NGOs gegen die etablierten
Parteien dienten, werden nun gegen sie selbst in Anschlag gebracht. Als am
Ende der Matinee einem Polizisten wegen seines unbeirrten Eintretens gegen
Neonazis ein Toleranzpreis verliehen wurde und sich das Publikum zu
spontanen Standing Ovations erhob – die Wiener wissen eben ihr Theater zu
bespielen – und als auch ich zum ersten Mal in meinem Leben einem
Polizisten applaudierte, da ahnte man, dass Agieren in den Institutionen
durchaus auch politische Relevanz und Effizienz haben kann.
29 Jan 2013
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
NGO
Engagement
Netzwerk
Soziale Bewegungen
Straßenverkehrsordnung
Wien
Sido
Wien
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