| # taz.de -- Nato-Raketenabwehr in der Türkei: Patrioten ohne Front | |
| > Deutsche Patriots sind in der Türkei stationiert. Doch die Einheimischen | |
| > fühlen sich nicht sicherer. Sie befürchten in den Krieg hineingezogen zu | |
| > werden. | |
| Bild: Deutscher Raketenwerfer in Kahramanmaras, 120 Kilometer von der syrischen… | |
| KAHRAMANMARAS taz | Aus der Nähe sehen sie aus wie überdimensionierte Lkws, | |
| die hier auf einer großen Wiese oberhalb der türkischen Stadt Kahramanmaras | |
| zwischen Büschen und Bäumen versehentlich gestrandet sind. Wären da nur | |
| nicht die Kästen, die vom Deck der Lkws in den Himmel ragen. Darin stecken | |
| Raketen. Sie dienen dazu, Raketen in der Luft abzufangen. | |
| Im Militärjargon heißen sie Launcher, Abschussbatterien der neuesten | |
| Systeme „PAC-3 Patriot“. Wenn sie betriebsbereit sind, werden Menschen | |
| nicht mehr gebraucht. Die Abschussbatterien sind mit einem eigenen Radar | |
| verbunden, dass anfliegende Feindobjekte bis in 150 Kilometer Entfernung | |
| ausmacht. Der Abschuss erfolgt automatisch per Computerbefehl. | |
| „Das muss ja im Ernstfall alles ganz schnell gehen“, erklärt Oberst Marcus | |
| Ellermann. Er ist der Chef der neuen deutschen Militärmission in der | |
| Türkei. Der rund 40 Jahre alte Oberst befehligt den deutschen | |
| „Patriot“-Verband, der jetzt seit knapp einer Woche auf dem weitläufigen | |
| Gelände der Gazi-Kaserne im türkischen Südosten aufgebaut und gefechtsklar | |
| gemacht wird. „Wir brauchen noch ein paar Tage, bis die Elektronik für das | |
| Radar und die automatische Abschussvorrichtung richtig eingestellt sind, | |
| aber bis Ende des Monats sind wir einsatzbereit“, sagt er. | |
| Für die ungefähr 350 Soldaten, die mit den „Patriots“ in die Türkei | |
| gekommen sind, wird die Eingewöhnung womöglich etwas länger dauern als für | |
| ihr Waffensystem. Sie sind alle noch dabei, sich in der türkischen Kaserne | |
| einzurichten, die sie sich nun mit einer Panzereinheit aus Kahramanmaras | |
| teilen. Manche haben bereits eine Bleibe in der Kaserne, andere sind noch | |
| auf verschiedene Hotels in der Stadt verteilt. | |
| Der Weg vom Hotel zur Kaserne führt durch die Altstadt von Kahramanmaras, | |
| immer den Berg hinauf, bis man schließlich von weit oben auf die | |
| 400.000-Einwohner-Stadt herabblickt. „Ein optimaler Standort“, findet | |
| Oberst Ellermann, „ein unverstellter Blick für das Radar in Richtung Süden, | |
| da, wo in gut 120 Kilometer Entfernung die syrische Grenze liegt und ein | |
| freies Schussfeld für unsere Raketen“. | |
| ## Nicht da, um Krieg zu führen | |
| Auch Marcus Ellermann pendelt in diesen Tagen noch zwischen einem Hotel und | |
| der Gazi-Kaserne. Zum Gespräch im Hotel kommt er gerade von einer | |
| Videokonferenz mit dem deutschen Einsatzstab in Potsdam. Von hier aus | |
| werden alle Auslandseinsätze der Bundeswehr geleitet. Trotz der Hektik der | |
| Anfangstage ist er bestens gelaunt. „Die Zusammenarbeit mit den türkischen | |
| Kollegen ist sehr gut“, sagt er, „die sind für jeden unserer Wünsche | |
| offen.“ | |
| Auch der Zwischenfall in Iskenderun, wo Mitglieder einer | |
| linksnationalistischen Splittergruppe in der letzten Woche einige deutsche | |
| Soldaten angegriffen hatten, macht Ellermann keine große Sorge. „Das waren | |
| einzelne Fanatiker, wir sind hier sehr herzlich aufgenommen worden.“ | |
| Trotzdem dürfen die deutschen Soldaten sich vorerst nur in Gruppen in der | |
| Stadt bewegen. „Bis sich alles eingespielt hat.“ | |
| Wegen der Bedenken gegen den Einsatz in der deutschen Öffentlichkeit nimmt | |
| er sich Zeit für Pressegespräche. „Was wir hier machen, ist rein defensiv. | |
| Ich fühle mich mit unserem Auftrag hier sehr wohl.“ Er betont: „Wir sind ja | |
| technisch gar nicht dazu in der Lage, nach Syrien hineinzuschießen.“ Ihm | |
| liegt viel daran, klarzumachen, dass seine „Patriots“ nicht dazu da sind, | |
| Krieg mit Syrien zu führen. „Unsere Reichweite sind 70 Kilometer. Wir | |
| schützen nicht die türkisch-syrische Grenze, und schon gar nicht den | |
| Luftraum auf syrischer Seite, wir schützen die Stadt Kahramanmaras.“ | |
| In Kahramanmaras sind am Freitag die Moscheen rappelvoll. Auf der Straße | |
| sieht man fast nur Männer, die schnellen Schrittes zur Ulu Cami, der | |
| historischen Moschee im Zentrum, eilen. Doch auch im konservativen | |
| Kahramanmaras gibt es Leute, die sich das Freitagsgebet schenken. | |
| Mitten im alten überdachten Basar der Stadt, wo man von Bergen von | |
| Schafswolle über handgetriebene Kupferkesseln bis zu duftenden Kräutern | |
| alles für den Hausgebrauch findet, sitzen in einem Teehaus eine Runde | |
| gestandener Männer, die lieber debattieren, als dem Imam zuzuhören. | |
| ## „Tayyip hat Unrecht“ | |
| Auf die allgemeine Frage, wie sie denn den Einsatz der Deutschen in ihrer | |
| Stadt finden, ist sich die Runde sofort einig. „Wir wollen diese ’Patriots�… | |
| hier nicht haben. Wir wollen nicht in einen Krieg hineingezogen werden. Die | |
| Nato soll sich woanders breitmachen.“ Da hilft auch der Hinweis nicht | |
| weiter, die „Patriot“-Batterien seien von Ministerpräsident Tayyip Erdogan | |
| bei der Nato erbeten worden. „Wir wissen das“, bestätigt der | |
| Teehausbesitzer, „aber in dem Fall hat Tayyip Unrecht.“ | |
| Dazu muss man wissen, dass die große Mehrheit von Kahramanmaras in der | |
| Regel gut findet, was Erdogan tut. Landesweit hat die AKP und ihr | |
| Ministerpräsident bei den letzten Wahlen 2011 hier die drittmeisten Stimmen | |
| geholt, rund 70 Prozent haben für die AKP gestimmt. Die Stadt ist durch und | |
| durch konservativ und sie wird von mittelständischen Geschäftsleuten | |
| dominiert, was genau dem Milieu der AKP entspricht. | |
| Trotzdem sind die Leute skeptisch. Dabei heißen sie den Übergriff auf | |
| deutsche Soldaten in Iskenderun nicht gut. „Mit diesen Politrabauken haben | |
| wir nichts zu tun. Das würde hier nicht passieren.“ Dennoch: „Was wollen | |
| die mit ihren ’Patriots‘ hier in Maras?“, fragen die Menschen in den | |
| Teehäusern der Stadt. | |
| Die Lokalzeitung von Kahramanmaras, Bugün, ist schwer zu finden, für | |
| Reklame hat Bugün offenbar kein Geld. Obwohl sie ihren Sitz an der | |
| Hauptpromeniermeile der Stadt hat, gibt es weder eine Leuchtschrift noch | |
| sonst einen Hinweis auf das Stadtorgan. Erst nach längerem Suchen finden | |
| sich die Redaktionsräume dann im vierten Stock eines heruntergekommenen | |
| Bürogebäudes. | |
| Mehr als eine kleine Dreizimmerwohnung ist für die Redaktion der Zeitung | |
| nicht nötig, doch Chefredakteur Akif Aslan lässt durch seinen herzlichen | |
| Empfang das dürftige Ambiente schnell vergessen. Er ist ein kluger, gut | |
| informierter Beobachter, der sich sichtlich freut, über die „Patriots“ | |
| diskutieren zu können. Wie die meisten Bewohner hält er die offizielle | |
| Version – Schutz der Bevölkerung der Stadt – für wenig glaubwürdig. | |
| ## „’Goeben‘ und ’Breslau‘ von heute“ | |
| Am Tag, als die deutsche Kolonne von Iskenderum kommend in Kahramanmaras | |
| einrückte, ließ er einen befreundeten Professor in einer Kolumne darüber | |
| sinnieren, dass die Deutschen die Türkei schon einmal in einen Krieg | |
| hineingezogen hätten. Die „Patriots“, befand der Professor, sind die | |
| „’Goeben‘ und ’Breslau‘ von heute“. „Goeben“ und „Breslau“ … | |
| beiden deutschen Kriegsschiffe, die im August 1914 zur Unterstützung der | |
| Türkei in die Dardanellen eingelaufen waren und im Oktober 1914 unter | |
| türkischer Flagge mit einem Angriff auf Sewastopol die Türkei in den Krieg | |
| mit Russland führten. | |
| Die gängige Meinung unter den Intellektuellen in der Stadt sei, führt Akif | |
| Aslan aus, dass die „Patriots“ gekommen sind, um nach einem Angriff Israels | |
| auf den Iran iranische Vergeltungsschläge abzuwehren. „Alles andere“, davon | |
| ist er auch selbst überzeugt, „ist doch kompletter Unsinn.“ Oberst Marcus | |
| Ellermann kennt diese Theorien. „Als aufgeklärter Staatsbürger kann man | |
| über alles mögliche diskutieren“, meint er, „als Militär habe ich aber | |
| einen klaren Auftrag: Wir schützen die Stadt.“ | |
| Aber warum ausgerechnet Kahramanmaras? Die Stadt liegt rund 120 Kilometer | |
| von der syrischen Grenze entfernt und unter ihren 400.000 Bewohnern ist so | |
| gut wie niemand zu finden, der sich wegen eines möglichen Raketenangriffs | |
| aus Syrien Sorgen macht. Die beiden türkischen Großstädte, die bislang am | |
| meisten vom Bürgerkrieg in Syrien betroffen sind, sind Antakya, ganz im | |
| Westen, und Urfa weiter im Osten. | |
| In der Nähe dieser Städte haben sich die Grenzzwischenfälle bislang | |
| abgespielt, in diesen Provinzen sind auch die meisten der mittlerweile über | |
| 150.000 syrischen Flüchtlinge untergebracht. Doch diese beiden Städte waren | |
| offenbar nicht nur den Deutschen, sondern auch den Holländern und den | |
| Amerikanern, den anderen beiden Nato-Ländern, die „Patriot“-Batterien in | |
| die Türkei geschickt haben, als Stationierungsorte zu heiß. | |
| Zu nah an der Grenze und deshalb zu sehr in Gefahr, wirklich in den | |
| Konflikt hineingezogen zu werden. Der Entscheidung für die drei jetzt | |
| gefundenen Stationierungsorte – neben Kahramanmaras für die Deutschen sind | |
| das Gaziantep für die USA und Adana für die Holländer – ging deshalb eine | |
| längere Suchaktion voraus. Dabei mussten nicht nur militärische, sondern | |
| vor allem auch politische Gründe berücksichtigt werden. | |
| ## An den Syrischen Rebellen vorbei | |
| Mit Adana, Gaziantep und Kahramanmaras präsentiert die Nato nun ein | |
| Dreieck, das ein Gebiet umfasst, das weit genug vom Kriegsschauplatz | |
| entfernt ist, theoretisch aber dennoch innerhalb der Reichweite der | |
| syrischen Scud-Raketen von 500 Kilometer liegt, ein Gebiet, in dem knapp 4 | |
| Millionen Menschen leben. | |
| „Auch wenn die Gefahr eines Raketenangriffs auf Kahramanmaras derzeit | |
| vielleicht nicht sehr groß ist“, sagt Oberst Ellermann, „die türkische | |
| Regierung hat uns um den Schutz dieser Menschen gebeten, und ich finde es | |
| sehr richtig, dass die Nato und die Bundesregierung in diesem Fall ihrer | |
| Bündnisverpflichtung gegenüber der Türkei nachkommt.“ | |
| Nur an einer Gruppe geht die gesamte Debatte nahezu völlig vorbei, und das | |
| sind die Syrer in Kahramanmaras. In einer Zeltlager, das direkt an ein | |
| ziemlich heruntergekommenes Industriegebiet am Rande der Stadt angrenzt, | |
| leben rund 17.000 Flüchtlinge. Überwiegend Frauen und Kinder. Die meisten | |
| Männer pendeln zwischen der Türkei und Syrien, um dort zu kämpfen. Einer | |
| von ihnen ist Hussam Aly Idris. Er ist 25 Jahre alt und besucht gerade | |
| seine Frau im Flüchtlingslager. | |
| Er steht am Tor des Lagers und möchte gerade zum Freitagsgebet in die Stadt | |
| gehen. Ob er wenigstens die „Patriot“-Raketen in Maras gut findet? Doch der | |
| Mann schaut nur erstaunt. „Was für ’Patriots‘? Wovon redest du?“ | |
| 30 Jan 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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