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# taz.de -- Crowdfunding in Deutschland: Das digitale Dominospiel
> Online Spenden für ein Projekt sammeln, das galt früher als
> Almosenklauberei. Ist Crowdfunding ein Zukunftsmodell oder bloß ein Hype?
Bild: Wolkenkuckucksheim? In Deutschland scheitert jeder zweite Versuch, sich e…
Ingo Müller hat an den Erfolg geglaubt. An die Fans von Borussia
Mönchengladbach. Und an die Macht der Masse. Und das, obwohl sie ihn schon
einmal enttäuscht hat: Im Oktober versuchte er, über die
[1][Crowdfunding-Plattform pling*] 3.000 Euro für den Fußballkurzfilm
„Matchday“ zu sammeln. Und scheiterte damit erst einmal gründlich.
Im Sommer 2012 wollte Müller endlich ein Projekt verwirklichen, das ihm
eine Herzensangelegenheit ist: einen Kurzfilm, in dem ein paar Gladbachfans
stoisch dissonant Cole Porters „I’ve got you under my skin“ zum Besten
geben – auf dem Weg zu ihrer Berliner Fankneipe. Es ist ein Film über die
Leidenschaft für den Sport, der ganz unterschiedliche Menschen verbindet.
Innerhalb von zehn Tagen hatte Müller alle Szenen für den Film im Kasten.
Dann wandte er sich per Crowdfunding-Plattform an den Schwarm im Internet,
um Geld zu sammeln – für Postproduktion, Musikrechte und „um dem Kameramann
noch den ein oder anderen Euro zuzustecken“. Auf pling* veröffentlichte er
einen ersten kurzen Trailer, erklärte die Idee des Films. Doch das Geld
blieb aus: Gerade mal 250 Euro war das Projekt seinen Unterstützern wert.
Das half nichts – denn beim Crowdfunding wird nur ausgezahlt, wenn der
Zielbetrag erreicht wird. Und daran fehlten bei Müller eben 2.750 Euro.
Müller war frustriert. „Wir haben uns zu wenige Gedanken gemacht, bevor wir
die Sache angegangen sind“, sagt er heute.
## Nur die Hälfte hat Erfolg
Der Berliner Filmemacher ist nicht der Einzige, dessen Wunsch nach
schnellem Geld im Internet enttäuscht wird. In Deutschland scheitert jeder
zweite Versuch, sich ein Projekt über Crowdfunding finanzieren zu lassen,
in den USA ist die Erfolgsquote mit rund 56 Prozent nur ein wenig besser.
Das sind Zahlen, die gar nicht so richtig zu den vielen positiven
Medienberichten über Crowdfunding passen wollen: Ob Musik, Filmförderung
oder Computerspiele, immer wieder wurde über bahnbrechende Erfolgsprojekte
berichtet, über Summen im Millionenbereich, mit denen einzelne Projekte
bedacht wurden.
Das Geld der vielen ermöglichte Projekte, die Banken oder Unternehmen nie
finanziert oder gewagt hätten. Die Sängerin [2][Amanda Palmer] sammelte für
die Produktion ihres neuen Albums 1,1 Millionen Dollar. Der Entwickler Tim
Schafer erhielt für die Fortsetzung eines Computerspielklassikers 3,3
Millionen. Auch in Deutschland funktioniert das Prinzip der digitalen
Kollekte – so sammelte eine Ausstellung über iranische Kultur in einer
Kirche in Bayern jüngst 51.000 Euro.
Im Gegenzug für derartige Unterstützung verschicken die Projektmacher
handgeschriebene Dankeskarten und Vorabversionen von Songs oder vergeben
Statistenrollen.
Die vielen kleinen finanziellen Beiträge, die über das Netz eintrudeln,
gelten als Beweis dafür, dass Menschen bereit sind, im Internet für Inhalte
zu zahlen. Sie zeigen, dass sich Unterstützung im Internet nicht nur in
Kommentaren und Likes ausdrücken lässt – sondern eben auch in Euros und
Dollars. Und sind so die Gegenthese zum Klischee von der digitalen
Umsonstkultur.
Bernd Müller hat seinen zweiten Anlauf bei der Crowdfunding-Plattform
[3][Startnext] gestartet. Dort läuft es besser für ihn: fast 4.000 Euro
haben Unterstützer bereits gespendet – mehr, als Müller eigentlich
benötigt. Und es wird noch über einen Monat lang weitergesammelt. Zweiter
Anlauf, Finanzierung geglückt.
## 2 Millionen an über 500 Künstler
Dieser Erfolg mag auch damit zu tun haben, dass Startnext populärer ist als
die erste Plattform, auf der Müller es probierte. Startnext ist das größte
deutsche Crowdfunding-Portal. Seit der Gründung 2010 flossen gut 2
Millionen Euro in die Taschen von über 500 Künstlern und Unternehmern.
Viele andere deutsche Crowdfunding-Plattformen haben deutlich mehr zu
kämpfen – besonders wenn sie sich über Provisionen auf erfolgreiche
Projekte zu finanzieren versuchen. Denn dafür glücken zu wenige Vorhaben,
ist das Investitionsvolumen zu klein.
Zu schaffen macht ihnen außerdem, dass die Crowdfunding-Riesen aus den USA
gerade den europäischen Markt für sich entdecken: [4][Kickstarter], über
das allein im letzten Jahr über 145 Millionen Dollar an Schaffende gingen,
eröffnete jüngst einen Ableger in Großbritannien; das ähnlich erfolgreiche
[5][Indiegogo] startete seine erste internationale Website in Deutschland.
Doch nicht alle Crowdfunding-Projekte, die genügend Geld gesammelt haben,
werden auch tatsächlich umgesetzt. Das OpenViszla-Projekt zum Beispiel: Für
17.500 Dollar wollten zwei Hacker 2010 eine Software entwickeln, die es
ermöglichte, Geräte von Apple mit anderen Betriebssystemen zu
synchronisieren. Im November 2010 waren sie via Kickstarter mit mehr als
80.000 Dollar Vorschuss für die Realisierung ausgestattet. Zwei Jahre
später, im Dezember 2012, hat sich noch immer nichts getan: Die [6][Website
des Projekts ist eine Baustelle], der Twitter-Kanal verwaist. Ein Fake? Das
Geld ist echt.
Kickstarter entzieht sich in solchen Fällen der Verantwortung. „Allein die
Initiatoren sind dafür verantwortlich, ihr Projekt zu realisieren.
Kickstarter hat damit nichts zu tun“, schreiben sie. Auch wenn es selten
vorkommt, ein Einzelfall ist OpenVizsla nicht: Eine US-Studie fand heraus,
dass nur rund 4 Prozent aller erfolgreichen Projekte niemals auf den Markt
kommen, aber fast drei Viertel verspätet erscheinen.
Für die Unterstützer von Open Viszla ist das enttäuschend. „Meine
Unterstützung ist wohl in Luft aufgelöst“, kommentiert einer von ihnen auf
der Kickstarter-Seite. „Ihr könntet große Probleme mit uns bekommen“, dro…
ein anderer.
## Warum zahlen die Leute?
Trotz solcher Fälle glaubt Jörg Eisfeld-Reschke vom Institut für
Kommunikation in sozialen Medien ([7][ikosom]) fest an das Potenzial von
Crowdfunding-Projekten. Er hat eine Studie über die digitale
Finanzierungsmethode verfasst. „Die Erfolgsrate ist in den letzten Jahren
konstant geblieben, auch wenn die Anzahl der Projekte rapide gestiegen
ist.“ Und mehr erfolgreiche Projekte bedeuten, dass mehr Menschen bereit
sind, Geld für Kulturförderung im Internet auszugeben.
Aber warum entscheiden sich Menschen überhaupt, Projekte, auf die sie im
Netz stoßen, mit Geld zu unterstützen? Nach welchem Muster handeln sie?
Martin Kocher von der Ludwig-Maximilians-Universität München vergleicht den
Prozess des Crowdfunding mit der Finanzierung von öffentlichen Gütern, etwa
der Straßenbeleuchtung. Diese werden von der Masse finanziert und später
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – auch Trittbrettfahrern, die die
Zahlung verweigert haben.
Trotzdem, sagt Kocher, Professor für experimentelle Wirtschaftsforschung,
entscheiden sich rund die Hälfte der Leute fürs Bezahlen, wenn sie sehen,
dass andere auch Geld gegeben haben.
Der Schwarm entwickelt also eine Dominodynamik: Erfolgreiche Projekte
ziehen plötzlich immer mehr Spender an. Nur so lässt sich erklären dass
Künstler wie Amanda Palmer 6- oder gar 7-stellige Summen erhielten. Das
wirkt sich nur positiv aus: Denn bleibt die Anschubwelle für ein Projekt
erst einmal aus, entsteht auch kein Dominoeffekt.
2 Feb 2013
## LINKS
[1] http://www.pling.de/
[2] http://www.amandapalmer.net/
[3] http://www.startnext.de/
[4] http://www.kickstarter.com/
[5] http://www.indiegogo.com/
[6] http://openvizsla.org/
[7] http://www.ikosom.de/
## AUTOREN
Katalina Präkelt
## TAGS
Crowdfunding
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