| # taz.de -- Debatte Schavan-Rücktritt: In Schweden geht es strikter zu | |
| > Die Fälle Schavan und Guttenberg zeigen, was in den deutschen | |
| > Geisteswissenschaften falsch läuft: Plagiate werden leicht gemacht. | |
| Bild: Wie zu erwarten: Schavan wird zum Motiv beim Rosenmontagszug – etwa aus… | |
| Mit Annette Schavan ist nun das zweite Kabinettsmitglied der | |
| Bundesregierung wegen Abschreiben in der eigenen Doktorarbeit | |
| zurückgetreten. Offenbar besteht das Problem aus weitaus mehr als | |
| individuellem Fehlverhalten: Etwas ist faul im Wissenschaftsstandort | |
| Deutschland. | |
| Wie sieht die Situation von Doktoranden an deutschen Universitäten aus? | |
| Ihre fachliche Betreuung lässt allzu oft zu wünschen übrig. Viele | |
| Doktoranden sprechen mit ihrem Betreuer bis zur Abgabe ihrer Arbeit kaum | |
| oder gar nicht. Schlimmer noch: In manchen Fällen würde dies fachlich auch | |
| nur wenig bringen. Der Betreuer ist nicht notwendigerweise auch ein Experte | |
| des jeweiligen Themas. | |
| Ein gegenseitiges Interesse an dem gewählten Doktorandenthema ist aber für | |
| die Qualität einer Dissertation entscheidend. Es liefert die Grundlage für | |
| eine kontinuierliche Diskussion, in der die Betreuer den Text ihrer | |
| Doktoranden wachsen sehen. | |
| Und es führt sowohl zu weniger Plagiatsfällen (denn wer konsequent um- und | |
| neuschreibt, streicht oder den Blickwinkel ändert, kann nur schwer im | |
| großen Stil schummeln) als auch zur Verbesserung der wissenschaftlichen | |
| Qualität. | |
| ## Das Handwerkszeug fehlt | |
| Das Schreiben einer Doktorarbeit setzt viele Fähigkeiten voraus: Neben | |
| Neugier und einer großen Portion Motivation und Ausdauer muss der Promovend | |
| sowohl thematisch etwas aufweisen können als auch methodisch angelernt | |
| sein. Aber selbst bei der Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten sehen | |
| die Voraussetzungen äußerst unterschiedlich aus. | |
| Nicht jeder hat sich im Grund- und Hauptstudium das methodische | |
| Handwerkzeug aneignen können, das nun vorausgesetzt wird. Nur selten gibt | |
| es dazu Seminare. Selbst wenn vorher im Rahmen des Studiums Hausarbeiten | |
| und Abschlussarbeiten geschrieben worden sind, ist es nicht sicher, dass | |
| jeder Promovend weiß, in welchem Zusammenhang welche Methodik angewendet | |
| werden kann. Kenntnisse über Wissenschaftstheorie und -ethik können nicht | |
| immer vorausgesetzt werden. | |
| Letztlich fehlt offenbar manchmal auch das Wissen darüber, wie man sich auf | |
| frühere Forschungsarbeiten beziehen kann, ohne diese zu plagiieren. Das | |
| alles ist aber für das wissenschaftliche Arbeiten von grundlegender | |
| Bedeutung. | |
| Promovenden an deutschen Universitäten werden von Doktorvätern (und | |
| -müttern) betreut, die nach Abschluss der Arbeit zusammen mit einem | |
| Gutachter die Note festsetzen. Warum bleibt eine öffentliche Diskussion | |
| über eine mögliche Befangenheit aus? | |
| Der Betreuer benotet ja sozusagen auch seine eigene Arbeit: Nach Jahren der | |
| Betreuung wäre das Durchfallen des Doktoranden zugleich ein Misserfolg für | |
| den Professor. Wir können die Situation in einem Gedankenspiel auf die | |
| demokratische Gewaltenteilung übertragen. Man stelle sich vor, die | |
| Exekutive wäre gleichzeitig auch die Judikative, der Polizist gleichzeitig | |
| der Richter. Vorstellbar? Kaum. Für Doktoranden aber die Realität. | |
| ## Kaum Statuspromotionen | |
| Im europäischen Ausland sehen die Bedingungen der Doktoranden anders aus. | |
| Hier in Schweden ist die Doktorandenzeit sehr viel strikter aufgezogen. Die | |
| Promovenden durchlaufen eine sogenannte Forscherausbildung, die sowohl das | |
| Schreiben der eigentlichen Dissertation als auch das Teilnehmen an | |
| zahlreichen Doktoranden-Seminaren beinhaltet. Währenddessen sind sie zu 100 | |
| Prozent an der Universität angestellt, was auch bedeutet, dass sie sozial | |
| abgesichert sind, sollten sie zum Beispiel ernsthaft krank oder auch Eltern | |
| werden. | |
| Der Begriff Forscherausbildung deutet auf einen wichtigen Unterschied zu | |
| Deutschland hin. Viele Doktoranden gehen nach der Promotion tatsächlich in | |
| die Forschung und Lehre; Statuspromotionen sind im eher egalitären Schweden | |
| nicht weit verbreitet. Weil deshalb die Zahl der Promotionen geringer ist, | |
| erleichtert dies natürlich eine intensive Betreuung. | |
| Natürlich ist auch in Schweden nicht alles Gold. Natürlich gibt es auch | |
| hier Doktoranden, die frühzeitig ihr Projekt abbrechen, die unzufrieden und | |
| frustriert sind. Aber grundsätzlich arbeiten sie innerhalb einer | |
| Universitätsstruktur, die es ihnen erlaubt, sich auf ihre Arbeit zu | |
| konzentrieren (und nicht nebenbei, neben der Unterstützung des Professors | |
| im Rahmen einer Qualifikationsstelle), das notwendige Handwerkszeug zu | |
| erlernen und kontinuierlich betreut zu werden. Nicht umsonst wird die | |
| wissenschaftliche Arbeit der angehenden Forscher ernst genommen. | |
| ## Betrug schwer gemacht | |
| Jeder Doktorand hat zwei bis drei Betreuer, die auf fachlicher Basis | |
| ausgewählt werden. Es gibt regelmäßige Diskussionen, die dazu führen, dass | |
| die Betreuer nach und nach die Doktorarbeit entstehen sehen. Das erhöht | |
| meist nicht nur die Qualität der Arbeit, sondern macht auch eventuelles | |
| Schummeln schwerer. Zudem hat jeder Doktorand die Möglichkeit, wenn auch im | |
| begrenzten Umfang, seine Ideen und Resultate auf Konferenzen mit anderen | |
| Wissenschaftlern auszutauschen – eine wichtige Fähigkeit in Zeiten des | |
| globalen Netzwerkens. | |
| Nach Fertigstellen der Arbeit wird das gesamte Projekt in einer | |
| öffentlichen Disputation diskutiert. In Deutschland nimmt der Doktorand | |
| teilweise an einem Rigorosum teil, in dem der Doktorvater fachliche Fragen | |
| stellt. In der schwedischen Version der öffentlichen Diskussion ist der | |
| „Prüfer“ ein habilitierter Wissenschaftler, der zu ähnlichen Fragen | |
| geforscht hat wie der Doktorand. Die Note wird von einem externen Gremium | |
| festgesetzt, das aus drei habilitierten Doktoren besteht. Die Betreuer des | |
| Doktoranden haben auf den Ausgang der Promotion keinen Einfluss. | |
| Und in Deutschland? Nach dem Rücktritt zweier Minister und der Aberkennung | |
| ihrer Doktortitel stellt sich mir die Frage: Wie viel ist ein Doktortitel | |
| in Deutschland noch wert? Hat die Wissenschaft an sich Prestige verloren? | |
| Ich hoffe, nicht. Und weil in jeder Krise auch eine Chance steckt, fordere | |
| ich die deutschen Universitäten mitsamt dem Hochschulverband und dem | |
| Bildungsministerium auf, die Situation der Doktoranden zu diskutieren – und | |
| zu verbessern. Für die Doktoranden und für das Ansehen der deutschen | |
| Hochschulen. | |
| 12 Feb 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Malin Zillinger | |
| ## TAGS | |
| Annette Schavan | |
| Plagiatsaffäre | |
| Promotion | |
| Promotion | |
| Doktortitel | |
| Bundeskanzlerin | |
| Johanna Wanka | |
| Bildung | |
| Annette Schavan | |
| Schavan | |
| Doktortitel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neue Regeln für Doktorarbeit: Gleiche Standards für alle | |
| Bundesbildungsministerin Wanka will die Promotionsverfahren reformieren. | |
| Auch die Standards für die Überprüfung sollen vereinheitlicht werden. | |
| Schlagloch Akademischer Betrieb: Schafft den Doktortitel ab! | |
| Der Doktortitel ist einfach nur ein nerdiger Schwanzvergleich. Einen | |
| wissenschaftlich-fachlichen Aussagewert hat er nicht. | |
| Nach dem Rücktritt von Schavan: Angela Merkel, die Unverwüstliche | |
| Schavan weg, Niedersachsen auch, die FDP zerrüttet: Schlimmer hätte Merkels | |
| Jahr nicht beginnen können. Doch die Kanzlerin steht. | |
| Neue Bundesbildungsministerin: Geradlinig und manchmal stur | |
| Johanna Wanka (CDU) hat einen Professoren- und auch einen Doktortitel. Und: | |
| Die neue Bundesbildungsministerin will Studiengebühren. | |
| Grüne Löhrmann über Bildungspolitik: „Es geht nicht nur um Exzellenz“ | |
| Die neue Bundesbildungsministerin sollte nicht nur die Wissenschaft im | |
| Blick haben. Das meint zumindest die grüne Bildungspolitikerin Sylvia | |
| Löhrmann. | |
| Reaktionen auf Rücktritt von Schavan: Was zu erwarten war | |
| Konsequent und notwendig. Die Reaktionen auf den Rücktritt der | |
| Bildungsministerin sind nahezu einhellig. Doch die Opposition spart nicht | |
| mit Spott. | |
| Plagiate in Doktorarbeiten: Unter Beobachtung | |
| Ein unleserlicher Text, ein gefälliger Prof – fertig ist die Dissertation. | |
| Was die Gesellschaft davon hat? Nichts. Das könnte sich ändern. | |
| Schavan will klagen: Die Titelverteidigerin | |
| Ministerin Schavan will gegen die Aberkennung ihres Doktortitels klagen. | |
| Das Verfahren könnte dauern – und vor dem Bundesverwaltungsgericht enden. |