# taz.de -- Plagiate in Doktorarbeiten: Unter Beobachtung | |
> Ein unleserlicher Text, ein gefälliger Prof – fertig ist die | |
> Dissertation. Was die Gesellschaft davon hat? Nichts. Das könnte sich | |
> ändern. | |
Bild: Eine Diss schreiben, für die sich eh keiner interessiert? Vorbei. | |
Dissertationen werden wieder gelesen. Selbst wenn sie 30 Jahre alt sind. | |
Das ist keine gute Nachricht für die deutsche Prominenz, aber sehr wohl für | |
die hiesigen Geisteswissenschaften. | |
Der von vielen KommentatorInnen jetzt als schnöde empfundene Elan, die | |
Qualifikationsarbeiten der Promis auf Copy-Paste-Machenschaften hin zu | |
überprüfen, könnte nämlich dazu führen, dass die doch arg zurückgezogenen | |
Geisteswissenschaften sich in die Öffentlichkeit reintegrieren. Auch wenn | |
sie das gar nicht vorhatten. | |
Bislang lief das mit der Dissertation ja ungefähr so: Promovend schlägt | |
ProfessorIn seiner Wahl ein privat gefundenes Thema vor und hofft, dass | |
dieseR es annimmt. Oder ProfessorIn schlägt Promovendin ein Thema vor, weil | |
er oder sie eine AssistentIn braucht, die Stelle als Promotionsstelle | |
ausgeschrieben ist und es Grund zur Annahme gibt, dass der Auszubildende | |
gut darin ist, Symposien und Sammelbände zu organisieren. Oder der Vater | |
des angehenden Doktors ist ein befreundeter Prof. Das funktioniert so gut | |
wie immer. | |
Für den entstehenden Text interessiert sich beim Dissertationshandel eher | |
niemand. Früher nicht, bis heute nicht. Kleine Einschränkung: Schon wichtig | |
ist, dass die Professorenschaft sich vor dem Zweitgutacher nicht blamiert. | |
Das ist eine gewisse qualitätssichernde Hürde. Aber auch da wäscht eine | |
Hand gern die andere: Ich begutachte deine Doktoranden wohlwollend, du | |
meine. Also wird der Bewertung des Erstprofs gefolgt. Und jetzt? Jetzt | |
wird’s ungemütlich. | |
## Das Bollwerk überwinden | |
Denn jetzt drängt sich die [1][interessierte Öffentlichkeit] ins Spiel, | |
lässt Computerprogramme über Texte laufen und findet relativ mühelos | |
Plagiate. Und das alles, ohne dafür über erkleckliches Fachwissen verfügen | |
zu müssen. Damit überwindet sie das Bollwerk, das bislang gegen | |
Universitätsfremde gut funktionierte und letztlich auch gut geschriebene | |
Texte prima verhindert hat. Der Liebling unter den Entlastungsbehauptungen | |
bei Unileuten lautet ja noch immer: Wenn du, lieber Leser, nichts | |
verstehst, ist das dein Problem. Verständlichkeit ist ihnen ein niederes | |
Anliegen, ein Anliegen der Ungebildeten. | |
Die Gebildeten, also wir, streuen unser Wissen beim Lesen quasi automatisch | |
wie Goldstaub über die Bandwurmsätze, und schon glänzt der Text und | |
leuchtet der Gedanke. Struktur, Dramaturgie, Spannungsbogen? | |
Schnickschnack. Dass nur sehr wenige GeisteswissenschaftlerInnen über | |
Thomas-Mann-Qualitäten verfügen und also die Kunst des verschachtelten | |
Satzes beherrschen, hat dabei selten irritiert. | |
Die schwierig zu beantwortende Frage der Relevanz der vorgelegten | |
Erörterung wurde vorsichtshalber flächendeckend tabuisiert. Zu sehr liebt | |
man die Idee, einer Elite anzugehören, einer unverstandenen und | |
ernüchterten, einer, die von der Gesellschaft nichts will (außer | |
Steuergelder) und ihr nichts schuldet (trotz Steuergeldern). | |
## Entsteht eine neue In-Group? | |
Dank des digitalen Wandels dürfte dieses unbehelligte Parallelleben nun | |
störanfällig werden. Jeder Promotionsschreiberling muss damit rechnen, dass | |
sein Text eines Tages auch außerhalb der Uni gelesen wird, von Menschen | |
oder von Computern. Jede Uni muss damit rechnen, dass sie die von ihr | |
vergebenen Titel rechtfertigen können muss. Wahrscheinlich wird das die | |
Zahl der angenommen Promovierenden reduzieren. Was nicht schlimm ist. | |
Jeder angehende Doktor sollte sich ohnehin fragen, ob die Promotion | |
tatsächlich die gewünschte Qualifikation bringt oder nur das | |
Erwachsenwerden, also die aktive Berufswahl, hinausschieben soll. Man kann | |
ja auch Bücher schreiben, die freiwillig und um ihrer selbst willen von | |
Menschen gelesen werden. Und Karriereristen überlassen die Titel denen, die | |
tatsächlich etwas erforschen wollen. Es wird eine neue In-Group entstehen. | |
Das kann interessant werden. | |
Ich jedenfalls sollte mich schleunigst um meine Prominenz kümmern. Dann | |
wird meine Dissertation „Die Krise des Mannes. Oder: Kapitalismuskritik im | |
Mainstream“, die ich in jahrelanger Schreibarbeit eindeutig selbst verfasst | |
habe, vielleicht auch wieder gelesen und diesmal bitte gleich massenhaft. | |
Das wäre ein großer Spaß. | |
7 Feb 2013 | |
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## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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