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# taz.de -- Digitale Tauschbörse für Lebensmittel: Die Mitess-Zentrale
> Auf foodsharing.de kann man Lebensmittel abgeben, bevor sie im
> Kühlschrank vergammeln. Und mealsharing.org versammelt Fremde zum Dinner.
Bild: Zwei Eier übrig? Ab ins Internet damit!
Es ist wie immer, wenn der Urlaub ansteht: Im Kühlschrank stapeln sich
Joghurt, Käse, Wurst, von der Milch ist auch viel zu viel da. Alles hält
noch Tage, ist aber sicher verdorben, wenn man wieder aus den Ferien
zurückkommt. Für abgetragene Winterkleider gibt es Altkleider-Schlucker,
für Bücher das Antiquariat, [1][momox] und Ebay. Aber was tun mit Essen,
das man nicht mehr braucht?
Über 12.000 Mitglieder hat [2][foodsharing.de] inzwischen, die digitale
Tauschbörse für Lebensmittel. Da werden in Prenzlauer Berg zwei Gläser
Babybrei „Karotte-Kartoffel“ angeboten, in Augsburg kann man sich kostenlos
zehn Eier und eine Packung Schupfnudeln abholen und in Hannover wartet eine
angebrochene Packung Toastbrot auf einen neuen Besitzer.
Weil hier jemand Sachen verschenkt, die im Supermarkt um die Ecke nur ein
paar Cent kosten, mögen solche Angebote putzig klingen. Die Sache hat aber
doch einen ernsten Hintergrund. Jeder Bundesbürger wirft im Jahr
durchschnittlich etwa 80 Kilogramm Lebensmittel einfach weg, obwohl diese
originalverpackt und noch einwandfrei genießbar sind. Würde nicht so viel
verschwendet, käme man dem Ziel, das auf der Welt alle zu essen haben,
einen großen Schritt näher. Es bräuchte sicher auch weniger Turbomast und
Hightech-Pflanzen.
Im vorigen Jahr hat sich deswegen der Verein Foodsharing gegründet.
Lebensmittel zu teilen anstatt sie wegzuwerfen, das ist die Idee. Man
könnte auch sagen, Foodsharing ist die Verlängerung des „Containerns“ ins
Netz. Beim Containern holen Aktivisten weggeworfene, noch haltbare
Lebensmittel aus dem Müll.
## Nachbarhaus statt Edeka
Es reicht, sich mit einer E-Mail-Adresse auf der Website von Foodsharing
anzumelden, anschließend kann man seine Nachbarschaft nach Angeboten
durchforsten, alle Einträge werden in einer Karte verzeichnet. „Ich male
mir gerne aus, wozu das führen könnte“, sagt Antonia Scheffler, die sich
sofort registriert hat, als die Plattform Mitte Dezember online ging:
„Würden nur genug mitmachen, wäre es vielleicht leichter, im Nachbarhaus zu
klingeln, wenn einem zwei Eier fehlen, als noch zu Edeka zu laufen.“
Damit aus dieser Vision Realität wird, nimmt die VWL-Studentin heute noch
längere Wege auf sich als nur bis zum Nachbarn. Vor ein paar Tagen ist sie
mit dem Fahrrad eine Viertelstunde für ein Netz Klementinen unterwegs
gewesen. Eine schnelle Besorgung sei das nicht gewesen, sagt sie.
„Ich bin gleich noch zu einem Glas Tee und einem kleinen Plausch eingeladen
worden. Und wenn ich mir heute eine Mandarine nehme, dann muss ich immer
wieder an diesen netten Besuch denken.“ Besser kann man vielleicht nicht
auf den Punkt bringen, was Valentin von Thurn, Mitinitiator des Projekts,
bei der Vorstellung der Plattform meinte: „Wir wollen zeigen, das
Lebensmittel einen ideellen Wert haben.“ Von Thurn ist Filmemacher. In
seiner Dokumentation [3][„Taste the Waste“] hat er vor zwei Jahren
aufgezeigt, welche Folgen für Umwelt, Klima und die sozialen Zustände in
der Welt unsere Wegwerfgesellschaft hat.
## Die Verpackungsgrößen schrumpfen
Sich Nahrung mit anderen Menschen zu teilen, ist ein uraltes Ritual und ein
so allgemeingültiges Bild für Gesellschaft, es sollte eigentlich kaum der
Rede wert sein. Doch eben dieses Teilen ist nicht mehr selbstverständlich.
Blickt man in die Supermärkte, dann wollen wir von unserem Essen immer
weniger abgeben. Die Verpackungsgrößen schrumpfen, und längst werden nicht
nur in Single-Haushalten Einmann-Pakete gegessen, sondern auch in Familien
oder WGs.
Sich seine eigenen Ernährungsgewohnheiten zu leisten, das ist möglich, und
die Freiheit nehmen sich viele. Das Bild von der gesellschaftlichen Tafel
hält sich nur noch medial. Der amerikanische Essayist und
Kulturwissenschaftler Geoff Nicholson hat jüngst herausgefunden, dass
amerikanische TV-Serien umso stärker das Bild der Familie am Küchentisch
transportieren, je weniger das noch der Realität entspricht. Wenn
US-Familien heute zusammensitzen, dann eher, um sich ein Football-Spiel zu
teilen als den Topf Spaghetti.
Deshalb hat sich die Plattform [4][mealsharing.org] zur Aufgabe gemacht,
nicht Lebensmittel, sondern Mahlzeiten zu teilen. Wer spontan Lust hat, mit
anderen zu essen, was er gekocht hat, lädt via Plattform dazu ein. Ainara
del Vallez-Perez hat mealsharing.org sogar dazu animiert, überhaupt erst
mit dem Kochen zu beginnen.
## Kuchen für alle
„Es gibt bei mir keine richtigen Dinner“, sagt sie, „aber wenn ich einen
Kuchen gebacken habe und das Rezept für zwölf Personen ausgelegt ist, dann
freu ich mich, wenn jemand mitisst. Allein könnte ich den Kuchen gar nicht
essen.“ Die Spanierin arbeitet erst seit ein paar Monaten in Berlin,
spricht noch wenig Deutsch und hat in der Hauptstadt vor allem über die
Plattform viele neue Freunde gefunden.
„Es geht uns nicht so sehr um ein delikates Essen“, sagt del Vallez-Perez,
wichtiger sei, mit Menschen zusammenzukommen. Die Idee hatte Jay Savsani,
der Initiator, im Urlaub in Kambodscha. Er fragte an der Rezeption seines
Hotels nach hausgemachter einheimischer Küche – und bekam eine Einladung in
einer Familie arrangiert.
Er wurde warm und gastfreundlich empfangen, der Abend wurde zum
bestimmenden Erlebnis seines Urlaubs. Savsani wollte das unbedingt vielen
anderen Menschen erzählen: „Wir wollen uns wieder in hausgemachte Küche
verlieben“, ist deshalb einer der Slogans auf der Website. Weil das
Miteinander vorrangig ist, sollen Gäste zum „Mealsharen“ auch nur ein
kleines Geschenk mitbringen, alles ist unentgeltlich. Die Plattform hat
inzwischen 600 Mitglieder, vor allem in Chicago und Berlin finden viele der
Einladungen statt.
## Kostenlos-Regal vorm Supermarkt
Dass mit den geteilten Lebensmitteln auch noch gemeinsam gekocht wird, ist
auch für die Initiatoren von foodsharing.de eine schöne Idee. Florian Kliem
betreut in einer Markthalle in Berlin-Kreuzberg ein Regal des Vereins, auf
dem Obst, Gemüse und andere Produkte kostenlos zum Mitnehmen liegen.
Gespendet werden die Lebensmittel von einem Bio-Supermarkt oder sie werden
von der Berliner Tafel weitergegeben, wenn die Organisation die Produkte
selbst nicht weiterverwerten darf, etwa weil das Mindesthaltbarkeitsdatum
abgelaufen ist.
Doch es dürfte schwer sein, sich daraus zu bedienen, um ein ganzes Gericht
zu kochen, meint er. Dafür sei das Regal viel zu schnell leer. Es steht nur
ein paar Meter vom Eingang eines Discounters entfernt, „und wenn wir gleich
ein paar Paletten eines Trinkjoghurts gespendet bekommen, dann glauben
viele Leute sogar, hier finde eine Werbeaktion statt.“
Hauptsache sei eben, die Produkte landen nicht im Müll. Kliem versteht sich
da ganz als „Lebensmittelretter“, weniger als Wiederbegründer neuer
Gastlichkeit.
Wenn es ums Essen geht, gibt es tatsächlich oft ganz Verschiedenes zu
teilen.
8 Mar 2013
## LINKS
[1] /Der-Internet-Grosshaendler/!86707/
[2] http://foodsharing.de
[3] http://www.tastethewaste.com/
[4] http://www.mealsharing.org/
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Containern
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Foodsharing
Lebensmittel
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