# taz.de -- Urteil in Aachen: Geringfügige „Containerer“ | |
> Das Aachener Landgericht stellt ein Verfahren gegen zwei junge Leute ein. | |
> Sie hatten Lebensmittel aus Supermarktcontainern mitgenommen. | |
Bild: Nicht alles im Container ist unbrauchbar. | |
AACHEN taz | Vor dem Justizzentrum in Aachen steht ein Tapeziertisch. | |
Äpfel, Paprikaschoten und Bananen, aber auch eine Packung mit | |
Schokostreuseln mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum liegen darauf. | |
„Container-Picknick“ steht auf einem großen Zettel. Daneben lehnt ein | |
Transparent: „Kapitalismus schafft Hunger trotz Überproduktion“. Vor dem | |
Aachener Landgericht wird an diesem Dienstag der Fall von zwei jungen | |
Leuten verhandelt, die beim Containern erwischt wurden. | |
Es ist bereits die Berufungsverhandlung in dem Verfahren gegen die | |
21-jährige Rowena F. und den 28-jährigen Raoul M., die im Januar 2013 von | |
der Polizei vor einem Rewe-Markt in Düren geschnappt wurden. Das Corpus | |
Delicti: ein Karton voller Lebensmittel aus dem Abfallcontainer. | |
Noch im selben Monat wurden die beiden von einem Dürener Gericht wegen | |
Hausfriedensbruch und Diebstahl zu Geldstrafen von 30 und 70 Tagessätzen à | |
zehn Euro verurteilt. Dagegen legten sowohl die Angeklagten als auch die | |
Staatsanwaltschaft Widerspruch ein. | |
Gut ein Dutzend UnterstützerInnen begleiten Rowena F. und Raoul M. auf | |
ihrem Weg vor die 2. kleine Jugendkammer des Aachener Landgerichts. Das hat | |
sich für alle Eventualitäten gewappnet. Die Sicherheitskontrollen sind | |
streng. Wer den Sitzungssaal A. 0.021 betreten will, muss zuvor gleich zwei | |
Sicherheitsschleusen passieren. Beide Male kontrollieren Justizangestellte | |
akribisch Taschen oder Rücksäcke, tasten Jacken ab. Das dauert. Erst mit | |
zwanzigminütiger Verspätung kann die Verhandlung starten. | |
Doch dann geht alles ganz schnell. Am frühen Morgen habe Rewe dem Gericht | |
schriftlich mitgeteilt, dass die Supermarktkette ihren Strafantrag | |
zurückziehe, teilt der Vorsitzende Richter Matthias Quarch mit. „Das war | |
eine überraschende Entscheidung“, sagt er. Damit entfalle der Vorwurf des | |
Hausfriedensbruchs. | |
## Kein Verfolgungsinteresse | |
Bliebe nur noch der vermeintliche Diebstahl. Allerdings bestehe offenkundig | |
nicht einmal bei Rewe mehr ein Verfolgungsinteresse. Falls die | |
Staatsanwaltschaft und die Angeklagten zustimmten, würde er deswegen das | |
Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen. | |
Nach fünf Minuten ist alles vorbei. Rowena F. und Raoul M. strahlen. Unter | |
den ZuschauerInnen brandet Applaus auf. Richter Quarch schaut kurz zu ihnen | |
hinüber. Zu Beginn hatte er noch ernst auf die Ordnungsstrafen hingewiesen, | |
die bei ungebührlichem Verhalten verhängt werden können. Doch davon will er | |
keinen Gebrauch machen. „Nehmen wir mal an, dass der Beifall uns gilt“, | |
sagt er schmunzelnd. „Damit schließen wir die Verhandlung, schöne Heimfahrt | |
und guten Tag.“ | |
Im Anschluss treffen sich Raoul M. und Rowena F. wieder mit ihren | |
FreundInnen beim „Container-Picknick“ vor dem Justizzentrum. „Wirklich | |
überrascht bin ich nicht“, sagt Raoul M.. Der Ausgang des Prozesses sei | |
eigentlich „logisch, weil damit alle ihr Gesicht wahren können“. | |
Rowena F. stimmt ihm zu. Sie hätte zwar einen Freispruch schöner gefunden, | |
also wenn das Containern ganz offiziell per Gerichtsbeschluss für straffrei | |
erklärt worden wäre. „Aber dass der Richter hier einen Präzedenzfall | |
schafft, habe ich nicht erwartet“, sagt sie. Trotzdem sind beide zufrieden: | |
„Wir hatten unheimlich viel Unterstützung“, freut sich Raoul M. | |
Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels war das Gerichtsurteil | |
im Titel und Teaser falsch dargestellt. Wir bitten um Entschuldigung. | |
25 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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