# taz.de -- Politologe Grottian über Armentafeln: „Eine Form von Demütigung… | |
> Peter Grottian sieht in Armenspeisungen ein Versagen des Sozialstaats. | |
> Nun macht er in Berlin gegen „20 Jahre Tafel“ mobil. | |
Bild: Armut in der Hauptstadt: Die Tafeln blühen, aber der Sozialstaat stellt … | |
taz: Herr Grottian, das „Kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ macht | |
gegen die Armenspeisungen mobil. Was genau ist falsch daran, hungrigen | |
Menschen Essen anzubieten? | |
Peter Grottian: Daran ist nichts falsch. Unsere Kritik ist eine | |
Gesellschaftskritik. Wir fragen, warum die Tafeln blühen, aber der | |
Sozialstaat sich tot stellt. | |
Sie wollen die Tafeln für gescheiterte Sozialpolitik verantwortlich machen? | |
Das Scheitern ist bei der Politik zu suchen, die die Menschen, die Hartz IV | |
brauchen, nicht ausreichend versorgt – das ist ja der Grund, warum die | |
Tafeln zugenommen haben. Gleichzeitig werden diejenigen, die sich | |
engagieren, von der Politik instrumentalisiert. | |
Und jetzt kritisieren Sie diejenigen, die auf einen Missstand reagieren? | |
Wir kritisieren nicht die 500.000 Menschen, die sich engagieren, sondern | |
eine Gesellschaft, die es zulässt, dass es überhaupt zu dieser Form der | |
Armenspeisung kommt. | |
Auf der Homepage heißt es aber, dass Tafeln die Spaltung der Gesellschaft | |
vorantreiben. | |
Die Entlastung des Sozialstaats führt dazu, dass diese Form der | |
Armenspeisung zum gesellschaftlichen Prinzip wird. Das kann man am Beispiel | |
von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen gut erklären: Einerseits ist sie | |
lächelnde Vollstreckerin von schäbiger Hartz-IV-Disziplinierung und | |
gleichzeitig schwingt sie die Suppenkelle in den Tafeln, um sich zu | |
inszenieren. | |
Sie wollen also die Tafeln abschaffen, damit die Politik wieder | |
verantwortlich handelt? | |
Es geht darum, eine Grundsicherung zu institutionalisieren, die Tafeln | |
weitgehend überflüssig macht. Wie können die politisch Verantwortlichen | |
angesichts von 1,5 Millionen Menschen, die auf Tafeln angewiesen sind, | |
ernsthaft sagen, dass sich am Sozialstaat nichts ändern muss? Das | |
Verhältnis von Sozialstaat zu Armut ist völlig verdreht. Die Vertafelung | |
der Gesellschaft ist eine weitere Form von Demütigung. | |
Glauben Sie, dass Menschen, die auf die Tafeln angewiesen sind, diese | |
Ansicht teilen? | |
Fragen Sie die Menschen, ob sie weiter zur Tafeln gehen wollen oder ob sie | |
lieber bessere Eckregelsätze hätten, mit denen sie selbst entscheiden | |
können, was sie essen wollen. | |
Was muss sich konkret ändern? | |
Es müsste zunächst eine menschenrechtsgemäße Grundsicherung geben, eine | |
Summe von 1.000 Euro wäre da angemessen und auch finanzierbar. Anderseits | |
geht es auch um selbstermächtigende Arbeitsplätze. | |
Was bedeutet das? | |
Es geht um die Frage, was kann und will eine Mensch in einer Gesellschaft | |
leisten. Es ist ja Arbeit zu Hauf da, die getan werden muss, aber für die | |
es angeblich keine Gelder gibt. | |
Zum Beispiel … | |
… im ganzen Non-Profit-Sektor. | |
Wie soll das finanziert werden? | |
Ein gesellschaftlich sinnvoller Arbeitsplatz, der vielleicht 10.000 bis | |
15.000 Euro im Jahr kostet, ist möglicherweise sinnvoller als Hartz IV. | |
Wenn man sich dieser Debatte ernsthaft stellt, dann kommt man zu dem | |
Schluss, dass eine geringere Zahl an Tafeln angesagt ist. | |
26 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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