# taz.de -- Unabhängigkeitsbestrebungen in Spanien: Kataloniens gespaltene See… | |
> In Arenys de Munt wohnen die meisten Katalanen, die sich vom spanischen | |
> Zentralstaat lösen wollen. Andere Meinungen haben es schwer im Ort. | |
Bild: Josep Manel Ximenis ist Bürgermeister von Arenys de Munt. Der Ort gilt a… | |
ARENYS DE MUNT taz | „Schau hier“, sagt Josep Manel Ximenis und legt seinen | |
Finger in eine kleine, kaum wahrnehmbare Kerbe in dem großen Granitblock. | |
„Es ist ein X. Das hat mir der Künstler als kleines Detail gewidmet“, sagt | |
der 50-Jährige. Der Felsbrocken ist Teil eines Denkmals für die | |
Unabhängigkeit Kataloniens. Es steht am Ortseingang in Arenys de Munt. | |
Ximenis ist der Bürgermeister des 8.500-Seelen-Orts, 50 Kilometer nördlich | |
von Barcelona, das sich nach einer Befragung 2009 zur „unabhängigen | |
katalanischen Gemeinde“ erklärt hat. | |
„Ich stand dem Volksbefragungskomitee vor“, sagt Ximenis, Linksnationalist | |
aus den Reihen der Kandidatur der Volkseinheit (CUP). Für Arenys de Munt | |
interessierte sich die Presse bisher nur, wenn sich die ungeteerte | |
Hauptstraße in ein Flussbett verwandelte. Durch die Befragung aber wurde | |
der Ort zum Symbol der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Es folgten | |
weitere 554 der 947 katalanischen Gemeinden. „Insgesamt stimmten über eine | |
Million Katalanen für die Unabhängigkeit“, sagt Ximenis, der morgens in | |
einer Bank arbeitet und mittags im mit katalanischen Fahnen geschmückten | |
Rathaus residiert. | |
Zwei Millionen Menschen versammelten sich am 11. September 2012, dem | |
katalanischen Nationalfeiertag, in Barcelona und forderten die Loslösung | |
von Spanien. Selbst die regierenden konservativen Nationalisten von Artur | |
Mas und seiner CiU unterstützen das Anliegen. Auch sie versuchen ein in der | |
spanischen Verfassung nicht vorgesehenes Referendum über die Zukunft | |
Kataloniens einzuleiten. | |
## Selbst die Namen werden vereinheitlicht | |
Spätestens 2014 soll es so weit sein. Das Datum ist kein Zufall, denn am | |
11. September 2014 jährt sich zum 300. Mal die Niederlage der Regionen an | |
Spaniens Mittelmeerküste im Erbfolgekrieg. Seither ist die Dynastie der | |
Bourbonen von König Juan Carlos auf dem spanischen Thron. Das Land wurde | |
mit kurzen Unterbrechungen bis zum Ende der Franco-Diktatur 1975 zum | |
Zentralstaat nach französischem Vorbild. Katalonien verlor seine | |
Selbstständigkeit. | |
„Selbst unsere Namen haben sie vereinheitlicht“, beschwert sich Ximenis. In | |
seinem Pass steht Jiménez. Zwar bedeuten die beiden Namen das Gleiche, doch | |
sei Ximenis die Version, die sich aus dem französischen Okzetanien kommend | |
in Katalonien verbreitet habe, während Jiménez der südspanischen Variante | |
entspreche. Mehrmals hat der Bürgermeister versucht, seinen Nachnamen im | |
Register zu ändern – vergeblich. So steht auf der Website der | |
Gemeindeverwaltung Jiménez, während der Gemeindechef sich mit Ximenis | |
anreden lässt und unterschreibt. | |
Arenys de Munt ist eine Insel in Katalonien. Hier gewinnen seit der | |
Rückkehr Spaniens zur Demokratie in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren | |
immer die Befürworter der Unabhängigkeitsbewegung. Zuerst war es die | |
Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und seit 2007 die CUP. 41 Prozent | |
gingen 2009 zur Abstimmung über die Unabhängigkeit. 96 Prozent stimmten mit | |
Ja. Bei Umfragen im gesamten Katalonien fallen die Zahlen nicht so deutlich | |
aus. Hier ist die Bevölkerung in zwei fast gleich große Lager gespalten. | |
Wenn der Linksnationalist Ximenis den Wunsch nach Unabhängigkeit begründet, | |
ist nicht nur von eigener Kultur und eigener Sprache und deren | |
Unterdrückung die Rede. Immer wieder kommt er auf „die Ausplünderung | |
Kataloniens durch Madrid“ zu sprechen. | |
## Unabhängigkeit als Mittel gegen die Krise? | |
Katalonien führt wie andere reiche Regionen mehr Steuern an die | |
Zentralverwaltung ab als zurückkommen. Teils wird das Geld auf ärmere | |
Regionen umverteilt. Ximenis stört das. „Wegen der Krise wird in Katalonien | |
überall gekürzt.“ Er verlangt, „dass jeder arbeitet, um seine eigenen | |
Probleme zu lösen“. | |
Ein neues Autonomiestatut sollte die Steuerumverteilung weitgehend beenden. | |
Das Verfassungsgericht akzeptierte das 2010 nicht. Im vergangenen Jahr | |
machte die hochverschuldete Autonomieregierung einen erneuten Vorstoß, um | |
alle Steuern selbst einzutreiben. Die konservative Regierung von Mariano | |
Rajoy in Madrid lehnte ab. | |
Der katalanische Regierungschef Mas rief zu Neuwahlen und versprach, sein | |
Katalonien in die Unabhängigkeit zu führen. | |
Das Argument, die Unabhängigkeit sei der Ausweg aus der Finanzkrise, wie es | |
Ximenis und andere Linksnationalisten vertreten, kommt an. Überall in | |
Arenys de Munt hängt die katalanische gelb-rot-gestreifte Fahne mit | |
zusätzlichem weißen Stern auf blauem Grund, das Symbol der | |
Unabhängigkeitsbewegung. Die Menschen im Ort lebten einst von | |
Landwirtschaft und Textil. Heute verdienen sie ihr Geld in den Unternehmen | |
im Großraum Barcelona. Eine Autobahn verbindet Arenys de Munt mit der | |
katalanischen Hauptstadt. Und auch sie gibt Anlass zum Schimpfen. Denn sie | |
ist gebührenpflichtig, während in Südspanien kostenlose Schnellstraßen | |
gebaut wurden. | |
„Es ist immer das Gleiche. Wir Katalanen sollen zahlen und den Mund | |
halten“, sagt sich Jaume Misse. Der 68-Jährige ist stellvertretender | |
Vorsitzende des örtlichen Fanclubs des FC Barcelona. Jetzt, da der | |
Zentralstaat die Regionen zur Senkung des Defizits zwingt, sei es | |
„schlimmer als unter Diktator Franco“. | |
## FC Barcelona: Die Avandgarde | |
Er und sein Freund und Vereinsbruder Julio Arnán empfangen im Lokal des 260 | |
Mitglieder zählenden Fanclubs, dem auch Bürgermeister Ximenis angehört. | |
„Der Barça ist zusammen mit unserer Fahne das Symbol für Katalonien!“, sa… | |
Misse. Die beiden Rentner sehen sich und den FC Barcelona als so etwas wie | |
die Avantgarde der katalanischen Bewegung. „Zu Zeiten der Franco-Diktatur | |
konnten wir unsere eigene Kultur und Sprache nicht offen leben. Der FC | |
Barcelona war der einzige Ort, wo wir Katalanen sein konnten“, erklärt | |
Arnán. Das Motto „Barça ist mehr als ein Club“ stammt aus jenen Jahren. | |
„Sie mögen uns nicht. Sie respektieren uns nicht“, lautet der Satz, den die | |
beiden ständig wiederholen. Sie sind sich einig, dass die Unabhängigkeit | |
bald kommen wird. „Die Krise beschleunigt den Prozess“, sagt Misse. | |
Katalonien sei allein reich genug, um alle Probleme zu lösen. „Wir wollen | |
keine Sparpolitik, die von Ausländern gemacht wird“, fügt Arnán hinzu und | |
meint damit nicht etwa Kanzlerin Merkel, die EU oder den Internationalen | |
Währungsfonds, sondern die Politiker in Madrid. „Spanien wird ohne | |
Katalonien zu einem Drittweltland. Die haben dann ja nicht einmal einen | |
ordentlichen Zugang zum Mittelmeer.“ Sicher, da seien die Häfen im Süden, | |
„aber dort geht es nach Afrika“. | |
Sie reden viel von mangelnder Demokratie, von der Korruption in Spanien und | |
von der Sparpolitik, die im Auftrag der Banken gemacht wird. Dass all dies | |
auch die Autonomieregierung in Katalonien betrifft und dass auch sie die | |
neoliberale Politik, die Madrid im Auftrag von Brüssel und Berlin umsetzt, | |
mitträgt, ist ihnen bewusst; es stört sie weniger: „Es sind Leute von hier, | |
aus unserem Land“, erklärt Arnán den Widerspruch. Sollte es ein Referendum | |
geben, wäre wohl nur eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit. „Wem es | |
nicht passt, der kann ja gehen“, sagt Arnán, Misse stimmt zu. | |
## Gegner der Unabhängigkeit haben es schwer | |
Natürlich gibt es auch in Arenys de Munt diejenigen, die nichts von der | |
Unabhängigkeit wissen wollen. Doch das ist nicht leicht, wie die | |
sozialistische Gemeinderätin Angels Castillo findet. Die 55-jährige Beamtin | |
lebt seit mehr als 40 Jahren in Katalonien, sie versteht sich als | |
Katalanin, ihr Mann ist von hier, ihre Kinder sind hier geboren. „Mit ihnen | |
habe ich Katalonien das Beste gegeben, was ich habe“, sagt sie. | |
Es sei nicht leicht, in einem Dorf wie Arenys de Munt Politik zu machen, | |
sagt Castillo dann. „Meine Wähler und Wählerinnen trauen sich nicht, offen | |
aufzutreten“, sagt sie. Vor allem wer ein Geschäft hat oder sonst im | |
öffentlichen Leben steht, würde sich mit seiner Meinung zurückhalten. Die | |
Stimmung im Dorf radikalisiere sich seit der Abstimmung 2009. „Es ist doch | |
nicht normal, dass selbst beim Festumzug Reden über die Unabhängigkeit | |
gehalten werden“, beschwert sie sich über die Politik von Bürgermeister | |
Ximenis. Nach einer kurzen Pause wird sie dann wütend. „Wie können die sich | |
anmaßen, so etwas wie Zeugnisse der guten Katalanität auszustellen?“ | |
Angels Castillo kann die Ablehnung, die selbst ihren Kindern in der Schule | |
entgegenschlägt, nicht verstehen. Denn ihre Partei tritt – obwohl sie nicht | |
für die Unabhängigkeit ist – für das Recht der Katalanen auf ein Referendum | |
ein und legt sich mit der spanischen PSOE an, die ebenso wie die regierende | |
PP darauf verweisen, dass das laut Verfassung nicht legal sei. „Wer sagt | |
denn, dass die Mehrheit für die Loslösung von Spanien stimmen wird. Selbst | |
hier haben doch nur 40 Prozent teilgenommen“, erklärt sie. | |
17 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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