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# taz.de -- Regionalismus in Europa – Südtirol: Sehnsucht nach dem Freistaat
> „Der Italiener ist ganz a feiner Mensch“, lobt der Südtiroler Peter
> Oberhofer. Aber mit ihm zusammen leben? Nein, die Parole lautet: Weg von
> Rom.
Bild: Südtirol: Freie Berge, freie Heimat, freier Staat?
BOZEN/MÜHLBACH taz | Dutzende kleine Prinzessinnen, Bat- und Spider-Men
haben ihren Spaß. Kalt ist es, aber der Himmel über dem Waltherplatz in
Bozen ist gestochen blau, und die Stadt bietet Faschingsunterhaltung. An
einer Ecke des Platzes ist ein Puppentheater aufgebaut und das Kasperle
gibt den Bösewichten Saures, schimpft lautstark auf Deutsch.
Doch immer wieder drehen sich die Kleinen um, weil auch von der anderen
Ecke des Platzes Boxen-verstärktes Gebrüll ertönt. Auch da steht ein
Puppentheater, der Holzverschlag ist im gleichen leuchtenden Rot
gestrichen, und Kasperle Nummer zwei gleicht der Nummer eins von gegenüber
aufs Haar. Bloß spricht er eine andere Sprache: Er wettert auf Italienisch,
während er die Halunken verdrischt.
Willkommen in der Doppelwelt. „Grüß Gott, buon giorno!“, ruft der Kellner,
auf dem Schild draußen steht „Wirtschaft - Trattoria“. Den Südtirolern ist
die Zweisprachigkeit zur friedlichen Selbstverständlichkeit geworden. Ein
Grüppchen Schülerinnen schwätzt auf Deutsch, dann springt eine von ihnen
zum Italienischen, weil sie eine von Liebeskummer geplagte Freundin aus der
anderen Sprachgruppe im Originalton zitieren will.
Lange her scheinen die Zeiten, als Südtiroler Freiheitskämpfer in den
sechziger Jahren Strommasten in die Luft sprengten, weil sie „los von Rom!“
wollten, zurück zu Österreich, zu dem der Landstrich bis 1918 gehörte. Und
noch länger zurück liegen die Jahre, als Mussolini die „Deutschen“ hier
zwangs-italianisieren wollte. Aus dem Gegeneinander ist friedliches
Nebeneinander geworden auf einer Insel der Seligen, Italiens reichster
Provinz, in der selbst nach Jahren der Krise nur vier Prozent arbeitslos
sind.
## Es brodelt im Tal
Doch es brodelt. Mühlbach, keine 50 Kilometer nordostwärts von Bozen,
gleich hinter dem beschaulichen Brixen - unten im Tal der alte Ortskern,
mittelalterliche Häuser mit Erkern und wuchtigen Mauern, zwei Kapellen, das
Hotel Seppi, und an den Hängen Villen, Einfamilienhäuser, proper und
aufgeräumt. Hier, am Eingang des Pustertals, heißt es nur noch „Grüß Gott…
in der Bäckerei, hier rechnen sich 95 Prozent zur deutschen Sprachgruppe.
Und Plakate am Straßenrand zu den nationalen Parlamentswahlen am 24. und
25. Februar fordern: „Freistaat Südtirol - Unsere Heimat!“
Tamara Oberhofer will die Unabhängigkeit von Italien, genauso wie ihre
Eltern und wie ihr Mann. „Eingefleischte Mühlbacherin“ nennt sich die junge
Frau, und nein, nie könnte sie sich vorstellen, aus dem Alpennest
wegzugehen. „Ich bin mit Südtirol einfach zu eng verbunden.“ Dabei wirkt
die Sprachstudentin alles andere als hinterwäldlerisch. Sie zählt auf:
neben Deutsch und Italienisch spricht sie Englisch, Russisch, Französisch,
ein bisschen Polnisch.
Ihr Geld verdient sie als Texterin einer Brixener Werbeagentur. Und einmal
war sie schon weg, zum Studium in Innsbruck. „Eine wunderschöne Stadt, aber
leben könnte ich da nicht.“ Klar, dort gibt es die große Community der
Südtiroler Studenten. „Aber kaum ist ein Tag an der Uni frei, dann fahren
wir immer gleich heim, dann sind wir Südtiroler alle am Bahnhof“, lacht
sie.
Seit zwei Jahren ist Tamara bei den „Freiheitlichen“ aktiv, bei der Partei,
die den „Freistaat“ will, weg von Rom, ein unabhängiges Alpen-Luxemburg.
Eine Partei im Aufwind: 24 Prozent der Stimmen könnte sie nach den letzten
Umfragen in Südtirol gewinnen, das hieße, dass jeder dritte
Deutschsprachige die „Freiheitlichen“ wählt, dass das seit Jahrzehnten
herrschende Monopol der Südtiroler Volkspartei (SVP) gebrochen wäre.
„Total begeistert“ seien vor allem die jungen Menschen von der Forderung
nach einem Freistaat, meint Tamara. Zurück zu Österreich? Das ist kein
Thema mehr. „Die kulturellen Unterschiede zwischen Südtirolern und Tirolern
sind heute einfach zu groß. Den Tirolern bedeutet Heimat kaum noch etwas,
die sind Österreicher, und fertig.“
## Hauptmann der Mühlbacher Kompanie
Tamara dagegen ist Südtirolerin - und fertig. Genauso wie ihr Vater, Maler
und Lackierer in einer Fensterfabrik, der druckreif über die Geschichte
seiner Heimat doziert. Als Hauptmann kommandiert er die Mühlbacher Kompanie
der Schützen, die jedes Jahr am Andreas-Hofer-Tag ihrer Helden gedenken und
die weiter offiziell für den Anschluss an Österreich eintreten. Peter
Oberhofer aber ereifert sich: „Da würden die Italiener von hier doch nie
mitmachen!“
Claudia, seine Frau, hat selbst einen italienischen Vater. Die Italiener
„von hier“, meint sie, „von denen wären am Ende auch viele für den
Freistaat, die sehen doch, wo geht's gut, und wo nicht“, und da fällt ihr
Günther, Tamaras Mann, ins Wort, „eigentlich sind die auch zuerst
Südtiroler“.
Gewiss, eigentlich geht es doch auch heute schon wunderbar, räumt Tamara
ein. Wieso also weg von Italien? Sie verheddert sich erst in einer
umständlichen Erklärung, dann bricht es aus ihr heraus: „Für Italien sind
wir doch immer nur die Melkkuh! Wir sind ein sehr fleißiges Volk, Faulsein
gibt's bei uns nicht.“ Der Tourismus, die Landwirtschaft, die Industrie -
die Südtiroler Wirtschaft brummt.
Der große Rest Italiens dagegen plagt sich mit der schwersten Krise seit
1945. „Die Politiker in Rom fangen jetzt schon an, unsere
Autonomieregelungen in Frage zu stellen, die uns erlauben, das Gros des
Steueraufkommens in Südtirol zu behalten. Am Ende zahlen wir dann die
Zeche!“ wettert Peter Oberhofer.
Er liegt damit voll auf der Linie der „Freiheitlichen“. Im Gespräch in
Bozen hatte deren 26 Jahre junger Generalsekretär Michael Demanega - ein
smarter Funktionär, der im italienischen Trient studiert hatte - es so auf
den Punkt gebracht: Südtirol gehöre ökonomisch klar zu Kerneuropa, zu
Deutschland, Österreich und den anderen Starken. Italien dagegen?
Peripherie. „Und wenn der Euro auseinander bricht, wenn zum Beispiel ein
Nord-Euro entsteht, wieso sollen wir dann beim Süd-Euro oder gar wieder bei
der Lira dabei sein?“ Nein, Südtirol wolle sich von Italien nicht mit in
den Abgrund ziehen lassen.
Auch Familie Oberhofer sieht den Freistaat als eine Art
Vorwärtsverteidigung. Klar, „der Italiener ist ganz a feiner Mensch“,
findet Peter, aber der habe „nun mal die Gesinnung, heute leb' ich, morgen
schau ich“.
## „Die wollen uns ihre Kultur aufdrängen“
Vorwärtsverteidigung – das ist auch die Marschroute auf dem zweiten Feld,
auf dem die „Freiheitlichen“ punkten, der Immigration. „Wie in der
Großstadt“ wähnt sich Peter Oberhofer manchmal, wenn er am Samstag durch
die Sträßchen des 3000-Seelen-Dorfs spaziert, all' die Frauen mit
Kopftüchern, all' die Männer aus Pakistan oder Bangladesch. Insgesamt 400
Immigranten zählt die Gemeinde offizielle. Die kommen, glaubt er, weil
Südtirol viel stärker als der große Rest Italiens seine Bürger mit
Sozialleistungen segnet, mit Kinder- oder Wohngeld, ja mit
Gratis-Zahnbehandlung für Bedürftige. „Und dann bringen die ihren Vater
mit, der lässt sich mal eben ein neues Gebiss machen.“
Der Islam ist das Problem, meint Tamara, „die wollen uns ihre Kultur
aufdrängen“, anders als die Tausenden Osteuropäer, die in Hotels und
Restaurants unverzichtbar geworden sind. „Einheimische zuerst!“, das sei
deshalb der passende Slogan. Vor zwanzig Jahren, nach ihrer Gründung,
hatten die „Freiheitlichen“ mit rüder fremdenfeindlicher Rhetorik auf sich
aufmerksam gemacht. Mittlerweile sind die Töne vorsichtiger –
Generalsekretär Michael Demanega aber hat auch Probleme mit Osteuropäern.
Die Immigranten kommen nämlich nicht einfach nach Südtirol. „Sie wandern in
die italienische Sprachgruppe ein“, beschwert er sich. Die meisten lernten
Italienisch statt Deutsch und schwächten so die deutsche Sprachgruppe.
Aber mit dem Freistaat soll sich das alles ändern, mit einer deutschen
Mehrheit und einer wohlwollend geduldeten italienischen Minderheit. Tamara
legt Wert darauf, dass die Plakate der „Freiheitlichen“ in diesem Wahlkampf
erstmals dreisprachig sind, dass auch in Italienisch („Libero Stato
Sudtirolo“) und der dritten, von einer kleinen Minderheit gesprochenen
Sprache, Ladinisch („Stat liede Südtirol“) die Losung verbreitet wird.
Klar, im Freistaat wären die etwa 25 Prozent Italienisch-Sprachigen unter
500.000 Südtirolern die Minderheit, „aber warum soll das nicht klappen, in
der Schweiz funktioniert es doch auch!“
Und zweisprachig, mit klarem Proporz für die Posten im Öffentlichen Dienst,
soll die Region bleiben. „Leute, die sich bloß in ihrer Sprache einigeln,
verstehe ich einfach nicht“, echauffiert sich Claudia, Tamaras Mutter. „Wir
haben doch den Riesenvorteil, dass wir in einer Grenzregion leben, dass
unsere jungen Leute in Mailand genauso zurechtkommen wie in München.“ Dann
als Bürger nicht mehr mit einem italienischen, sondern mit einem Südtiroler
Pass, schon bald. In zwei Jahren - mehr gibt Peter Oberhofer der nächsten
italienischen Regierung nicht - wird sich die Krise verschärft haben. „Und
dann steht ganz Südtirol auf wie ein Mann.“
18 Feb 2013
## AUTOREN
Michael Braun
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