# taz.de -- Südtirols Landeshauptmann Durnwalder: Der Nächste bitte! | |
> 24 Jahre lang regierte Luis Durnwalder. Sein Volk liebt ihn, weil er | |
> frühmorgens spendabel war. Mit Demokratie hatte der „Fürst“ jeodch wenig | |
> am Hut. | |
Bild: Der Landesluis: Ende des Jahres übergibt er Südtirol an seinen Nachfolg… | |
BOZEN taz | Winnebach hat ein Problem. Das Kleinlöschfahrzeug des Ortes im | |
hintersten Winkel Südtirols, kurz vor der Grenze zum österreichischen | |
Osttirol, ist 24 Jahre alt. „Der Fiat Daily ist schon viel zu lange im | |
Einsatz“, klagt Feurwehrkommandant Jürgen Bergmann, 39. So lange wie Luis | |
Durnwalder, der Regierungschef Südtirols, im Amt ist. Der Landeshauptmann, | |
wie er hier genannt wird. | |
Bei dem Fünfsitzer sind die Bremsen kaputt, für Einsätze taugt er nicht | |
mehr. 130.000 Euro kostet der neue Wagen, ein Drittel ist durch die | |
Gemeinde finanziert. „Beim Rest hilft uns hoffentlich der Luis“, sagt | |
Bergmann, Beamter mit Brille, als er gegen drei Uhr in das alte | |
Feuerwehrauto steigt, um in die 112 Kilometer entfernte Landeshauptstadt | |
Bozen zu fahren. Sein 61-jähriger Vizekommandant Franz Wallnöfer, rothaarig | |
und schmächtig, nickt und fährt wortlos durch die Nacht. | |
Freitag, 24. Oktober 2013. Die beiden haben sich den letzten Tag | |
ausgesucht, an dem es noch möglich ist, in weniger als einer Minute einen | |
öffentlichen Beitrag von 50.000 Euro zu erbitten. Den letzten offiziellen | |
Tag im System Durnwalder, in dem man sich frühmorgens vor den Toren des | |
Palais Widmann, Landhausplatz 1 in die Schlange der Wartenden einreiht und | |
darauf hofft, dass „der Luis“ es richtet. | |
Dienstags bis freitags von sechs bis acht Uhr empfängt der Landeshauptmann | |
von Südtirol kleine Leute und ihre großen Sorgen. Für die Audienz ist keine | |
Anmeldung nötig, ein Anruf am Vortag genügt, um sich zu vergewissern, dass | |
er auch wirklich im Land ist. | |
## Keine Kritik an der Egopolitik | |
Der Großteil der Südtiroler hat die Egopolitik des Landeshauptmanns nie | |
kritisiert, sondern demütig bewundert. Mit dem Satz: „Dann geh ich zum | |
Luis“, setzten sich viele Bürger jahrelang über demokratisch getroffene | |
Entscheidungen von Gemeinden oder Bezirken hinweg. Wie Kinder, die den Papa | |
fragen, wenn die Mama zuvor Nein gesagt hat. | |
In Rom wurden während der letzten 50 Jahre 21 Ministerpräsidenten | |
vereidigt. In Südtirol wurde die Landesspitze im selben Zeitraum nur einmal | |
ausgewechselt. 24 Jahre dauerte die Ära Durnwalder, die viele als „gelebte | |
Monarchie“ bezeichnen. Sie endete mit den Landtagswahlen am 27. Oktober, | |
denen sich der 72-jährige Patriarch nicht mehr stellte. | |
Bis dahin war die Landeskassa ein Geldbeutel, dessen Inhalt er nach eigenem | |
Ermessen verteilte. Sein Herrschaftsgebiet waren die Täler und Höhen | |
zwischen Brenner und Salurner Klause, zwischen Winnebach und Reschenpass. | |
Aus diesen Ecken sind die Bürger heute Morgen angereist. Studenten, deren | |
Stipendiumsantrag nicht genehmigt wurde, Bauern, die eine neue | |
Wasserleitung brauchen, Hausfrauen, die ihre Gartenmauer verlegen möchten. | |
Halb fünf, acht Bittsteller stehen bereits dort mit Thermoskannen voll | |
heißem Früchtetee, als Bergmann und Wallnöfer ankommen. 16 Leute werden es | |
an diesem Morgen sein, oft sind es mehr, am Tag zuvor kamen 50 Menschen. | |
„Mir ist viel lieber, wenn die Bürger in der Früh kommen und mir das Herz | |
ausschütten, als dass sie einen ganzen Vormittag im Vorraum beim Psychiater | |
sitzen“, sagt der Landeshauptmann über seine frühmorgendlichen | |
Sprechstunden. | |
„Ein halb legales System“, nennen es Oppositionspolitiker. In jedem Fall | |
ist es so erstaunlich, dass es eine Satireserie darüber gibt. Sie heißt | |
„Ban Luis“ (Beim Luis). In einer Folge kriegt der Landeshauptmann Besuch | |
von einem Skilehrer, der ihn für den Weihnachtsmann hält. In einer anderen | |
möchte ein Bauer wissen, wohin er seinen Hausschlüssel verlegt hat. Das | |
Anliegen der Feuerwehrmänner Bergmann und Wallnöfer könnte aus der | |
Satireserie stammen. | |
## „Wie soll es nur werden ohne ihn?" | |
„Ich bin hier, um mich zu bedanken“, sagt eine Bergbäuerin aus dem | |
Ultental. Für dieses Treffen hat sie sich zurechtgemacht, anthrazitfarbene | |
Strickjacke, die Haare hochgesteckt. Seit 1995 kommt sie zweimal jährlich | |
zum Luis, dem promovierten Bauernsohn. Sie verdankt ihm die auf 1.200 | |
Metern geteerte Straße zu ihrem Hof, einer Erdbeerplantage. „Wie soll es | |
nur werden ohne ihn?“, fragt sie, die herumstehenden Männer zucken die | |
Schultern. | |
5.45 Uhr, ein Pförtner bittet die Bürger, in den Vorraum des Palais Widmann | |
einzutreten. Eine Viertelstunde später öffnet sich das Tor. Der Luis. | |
„Morgen“, grüßt er, den Blick abgewandt. „Morgen, Herr Landeshauptmann�… | |
schallt ihm der Chor der Wartenden entgegen. Seine große, barocke Statur | |
schleppt er die Marmortreppen hinauf, sein Hals kaum sichtbar, die Lider | |
schwer. Als Erste geht die Bergbäuerin hinterher, in zehn Meter Abstand. | |
Aus der Höhe schielt Durnwalder auf das Volk hinab und zählt die Leute. Ist | |
er enttäuscht, dass nicht mehr erschienen sind? Mit kurzen Schritten folgt | |
ihm die Menge vor sein Büro im zweiten Stock. Auf einer schwarzen, harten | |
Ledercouch, im Vorhof der Entscheidung, nehmen die Bürger Platz. | |
Ein Teil seines Erfolgsrezepts war über Jahre Präsenz. Wenn die Leute nicht | |
an seine Tür klopften, kam Durnwalder zu ihnen. In seiner Amtszeit hat er | |
kaum eine Schuleinweihung, selten ein Fest ausgelassen. Durnwalder hielt | |
auch gerne zu Hause hof. Die Presse lud er jährlich zum Sommerfest in seine | |
Villa und diktierte, was sie schreiben sollte, bevor er sie mit | |
Schweinshaxen füttern ließ. Wie ein guter feudaler Herrscher jagte er in | |
der wenigen Freizeit Hirsche und Gamsböcke. 2012 schenkte er Gönnern und | |
Freunden 84 Wildtiere. | |
## Gutgewählter Rückzugszeitpunkt | |
Um 6.30 Uhr sind die beiden Feuerwehrmänner aus Winnebach an der Reihe. | |
Zweimal klopfen sie an die Tür, dann treten sie ein. „Was gibt es, | |
Männer?“, fragt der Landeshauptmann. Sie bringen ihr Anliegen vor, nach | |
einer halben Minute fragt der Chef, die linke Hand auf den schweren Sessel | |
abgestützt: „Habt ihr mit 50.000 genug?“ Die Männer nicken und bedanken | |
sich. Mit seinen dicken Fingern, die den Bleistift dazwischen verschlucken, | |
schreibt er die Summe auf ein kariertes Papier, das die Männer mitgebracht | |
haben, und legt es auf den Stapel vor sich. Nachher wird er sich um die | |
Überweisung kümmern. | |
110.108 Stimmen erhielt Luis Durnwalder im Jahr 2003 – in einer damals | |
471.637 Einwohner großen Provinz. Zehn Jahre später hätte er dieses | |
Ergebnis wohl nicht wiedererreichen können. Der Zeitpunkt des Rückzugs ist | |
gut gewählt. Selbst in Südtirol, der reichsten Provinz Italiens, stieg die | |
Arbeitslosenquote im September 2013 auf 4,7 Prozent, es mangelt an | |
akademischem Nachwuchs, Gewerbegrundstücke um Bozen sind nahezu | |
unbezahlbar. Und obendrein nagt mehr als ein Skandal am Image des | |
scheidenden Politikers. | |
Wenn der Landesluis Ende des Jahres Südtirol seinem Nachfolger übergibt, | |
hinterlässt er ein in vielen Bereichen gelähmtes Land. Seine | |
Alleinherrschaft hat einen überdimensionalen Beamtenapparat erzeugt. Weil | |
er den Landesräten – den Ministern seiner Regierung – keine Kompetenzen und | |
Entscheidungskraft zugestand, brauchte er viele kleine Beamte, die sich nur | |
ihm wirklich verpflichtet fühlen. Die Machtkonzentration hat seine | |
Südtiroler Volkspartei, die SVP, geschwächt, politische Abläufe in Südtirol | |
ähneln denen eines Entwicklungslandes. Jemand wie Durnwalder mag es eben | |
nicht, wenn alle mitreden. | |
„Alles Gute“ wünschen Bergmann und Wallnöfer, als sie sein Büro verlasse… | |
und „Vergelts Gott für die letzten 24 Jahre“. | |
Das neue Feuerwehrauto werden sie im Sommer erhalten. Dann wird längst der | |
neue Landeshauptmann im Amt sein. Stur wie ein Bergbauer, tat sich | |
Durnwalder lange schwer, sein Erbe abzugeben. Der 30 Jahre jüngere Arno | |
Kompatscher, der, anders als sein Vorgänger, als kollegial und transparent | |
gilt, fand schließlich Gnade. Erstmals verlor die Partei aber die absolute | |
Mehrheit. | |
Mit Arno Kompatscher soll Südtirol demokratischer werden. Er will die | |
Bürokratie abbauen, in die Forschung investieren. Und die | |
Einzelsprechstunden abschaffen. Um diese Zeit möchte der neue | |
Landeshauptmann lieber mit seiner Familie frühstücken. | |
3 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Bachmann | |
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