Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jugendliche und Wagner-Oper: Affen sind besser als Siegfried
> Die Deutsche Oper will unbedingt 200 Jahre Wagner feiern. Zu diesem
> Behufe schickt sie Jugendliche auf die ganz große Bühne.
Bild: Die Jugend muss fürs Programmheft hüpfen.
BERLIN taz | Marketing ist Lüge, und Jugendliche haben ein Recht auf
Wahrheit. Daran ist gescheitert, was die Deutsche Oper in Berlin unter dem
Titel „Der Ring: Next Generation“ auf ihren Spielplan gesetzt hat. Nicht
irgendwo, sondern auf die Liste der großen Premieren der Saison, zwischen
„Peter Grimes“ von Britten und „Rigoletto“ von Verdi.
Das eben ist die Lüge des Marketings. Richard Wagner würde heuer 200 Jahre
alt, wenn er noch lebte. Pech für die Deutsche Oper, dass Philipp Stölzls
„Parsifal“ ein grauenhaft langweiliger Oberammergauer Flop war. So hat sie
nichts Neues vorzuweisen im Jubiläumsjahr. Wenn es das Marketing nicht
gäbe, wäre das nicht weiter schlimm. Sie hat „Tristan“ und „Lohengrin�…
politisch und ästhetisch hoch aktuellen Inszenierungen im Repertoire, einen
kindlich naiven „Tannhäuser“ dazu, und ein wahres Juwel im Museum: Götz
Friedrichs „Ring des Nibelungen“ aus den 80er Jahren des letzten
Jahrhunderts.
All das wird fleißig wieder aufgeführt. Am „Ring“ vor allem, der bei
Friedrich nach dem dritten, atomaren Weltkrieg spielt, wäre
jubiläumstechnisch vorbildlich zu zeigen, was Wagner heute sein kann: Ein
absurdes Endspiel von Überlebenden, die in ihrem Bunker an
Wiederholungszwang leiden. Aber für das Marketing ist das viel zu
pessimistisch. Also bekam Alexandra Holtsch einen Auftrag.
An sich keine schlechte Idee. Holtsch, besser bekannt als „DJ Spinn-O“, hat
bemerkenswert kreative Beiträge zur Club-Kultur geliefert. Sie mixt auch
mal klassische Musik in ihre Samples, und ist mit Bandprojekten und
Theatermusiken von Berlin aus durch die ganze deutschsprachige Provinz
gezogen. Von Wagner allerdings hat sie bisher die Finger gelassen. Auch der
Regisseur Robert Lehniger und der Choreograph Emmanuel Obeya haben davon
keine Ahnung. Aber ein Herz für die Jugend, beschloss die Intendanz der
Deutschen Oper, setzte eine Casting-Anzeige in die Presse und nach zwei
Monaten Proben war der Event zum Wagnerjahr fertig. Germans Next Opera,
like it!
## Brave Softwareloops
Alles gelogen, die Jugend muss fürs Programmheft hüpfen, mehr war nicht
erlaubt. Auf der Bühne zu sehen sind Sträucher im Topf, Kletter-Käfige und
Stellwände. Auf einer Leinwand darüber Talking Heads, davor etwa 60 Jungs
und Mädchen aus einem Leistungskurs für Ausdruckstanz. Zu hören sind vier
Jungs an elektrischen Gitarren, einer am E-Bass, ein DJ am Laptop, sechs
professionelle Sänger und ein mittleres Symphonieorchester. Sie spielen und
singen uralten Wagner, Leitmotive vor allem, wenn sie es können.
Die Profis können es, die von der Deutschen Oper dafür abgestellt worden
sind, die anderen nicht. Auch Alexandra Holtsch nicht, der es in den gut
100 Minuten dieser Aufführung höchstens ein paar Sekunden lang gelingt,
Nibelungensound in ihre braven Software-Loops zu mischen. Noch schlimmer
dran sind die Jungs an den Gitarren, die sich vor lauter Angst kaum trauen,
in die Saiten zu greifen.
Am schlimmsten aber hat es die erwischt, die vor der Videokamera Sätze
sagen mussten wie diesen: „Bekannte Phänomene in neue Zusammenhänge
stellen“. Besser wird es, wenn sie den „Ring“ erzählen, weil sie die
verbalen Blasen des literarisch völlig unbegabten Richard Wagner auf das
reduzieren, was sie davon verstanden haben. Nur liegen sie manchmal
daneben, was ihr gutes Recht ist. Kein vernünftiger Mensch versteht diese
Texte.
## Unterrichtseinheit auf der Bühne
Ein Mädchen hat für das Video auf der Leinwand gesagt, Siegfried und
Brünnhilde seien das ideale Liebespaar. Schön wärs, aber die beiden kennen
sich gar nicht. Er bekommt Angst, weil sie Brüste hat, und schaut am
anderen Morgen, dass er möglichst schnell wegkommt. In der nächsten Kneipe
(bei den „Gibichungen“) kippt er sich einen hinter die Binde, um sie zu
vergessen.
Trotzdem hat sich in den Proben offenbar die Meinung festgesetzt, Wagner
habe mit seinem Siegfried den perfekten Menschen der Zukunft entworfen. Auf
der Bühne findet deshalb live eine Unterrichtseinheit statt, in der über
die Frage diskutiert werden muss, ob auch wir so etwas haben wollen.
Nein, lieber nicht. Ein anderes Mädchen überlegt im Video, ob wir nicht
besser wieder Affen werden sollten, oder sogar Bakterien. Die Evolution sei
womöglich gar kein Fortschritt. Niemand muss sich Sorgen machen um die
Jugend von heute, wenn sie so radikal diskutiert. Sorgen machen muss man
sich um die Deutsche Oper. Denn ausgerechnet diese klare und vernünftige
Rede, sehr ernst und engagiert vorgetragen, löste hysterisches Gelächter im
Premieren-Publikum aus. Und am Ende hat der ganze Saal begeistert
geklatscht. Aber wofür? Beifall dieser Sorte ist das letzte, was diese
tapferen Jungs und Mädchen heute gebrauchen können.
## Noch zwei Aufführungen: 15. und 20. März 2013
11 Mar 2013
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Wagner
Deutsche Oper
Bayreuther Festspiele
Richard Wagner
Richard Wagner
Antisemitismus
Richard Wagner
Brasilien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Castorf bei den Bayreuther Festspielen: Das Trauma der DDR
Für ihren „Siegfried“ müssen die Freunde Richard Wagners zurück nach
Ostberlin. Frank Castorf zeigt ihnen, wie es dort einmal wirklich war.
200. Geburtstag des Komponisten: Hör ich Wagner, denk ich Blutwurst
Am Mittwoch jährt sich der Geburtstag Richard Wagners zum 200. Mal. Eine
Betrachtung zwischen Nazi-Kult und Bügeleisen.
Opernskandal in Düsseldorf: Nackedeis in Plastik-Kuben
Burkhard C. Kosminski hat an der Rheinoper Wagners Tannhäuser inszeniert -
als NS-Kriegsverbrecherdrama. Der kalkulierte Aufreger ist gründlich
daneben gegangen.
Streit der Woche: „Wagner ist ein Verführer“
Kein anderer Komponist sorgte für so hitzige Diskussionen: Richard Wagner,
das Genie, der Narzisst. Darf man ihn lieben?
Streit der Woche: Darf man Wagner lieben?
Er war Antisemit, sagen manche Forscher. Das habe nichts mit seiner Musik
zu tun, entgegnen andere. Sicher ist: Richard Wagner wäre im Mai 200
geworden.
Wagner-Oper in Leipzig: Nicht nur Meistersinger
Fast vergessen: Wagners Frühwerk „Die Feen“. Zur Eröffnung des
Richard-Wagner-Jahres 2013 wurde die Oper in Leipzig entstaubt.
Wagners „Ring“ in Buenos Aires: Fricka im Evita-Look
Starkes Musiktheater: In Buenos Aires wird Wagners „Ring“ an einem Stück
aufgeführt und umgedeutet auf die Geschichte Argentiniens.
„Lohengrin“ an der Deutschen Oper: Wenn Jungens träumen
Ohne Schwan, aber mit Flügeln: Kasper Holten hat für die Deutsche Oper
Berlin Richard Wagners „Lohengrin“ neu inszeniert. Er wird sogar mit dem
gröbsten Unfug fertig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.