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# taz.de -- „Lohengrin“ an der Deutschen Oper: Wenn Jungens träumen
> Ohne Schwan, aber mit Flügeln: Kasper Holten hat für die Deutsche Oper
> Berlin Richard Wagners „Lohengrin“ neu inszeniert. Er wird sogar mit dem
> gröbsten Unfug fertig.
Bild: Neuinszenierung von „Lohengrien“ an der Deutschen Oper.
Es ist Nacht, ein Komet fällt vom Himmel, die Erde ist übersät mit toten
Soldaten. Dazu spielen vier Soloviolinen im Flageolett eine armselige
kleine Melodie, die so wenig Kraft hat, dass sie sofort in die
Moll-Parallele fällt. Mühsam krabbelt sie dann wieder in das reine Dur
zurück, das ihr eigentlich gehört. Flöten helfen ihr dabei, dann auch
tiefer, mit vollerem Ton spielende Streicher.
Sehr langsam schweben sie alle zusammen herab, goldene Hörner und weich
gefederte Bässe nehmen sie in Empfang. Wir sind gelandet, und ein schwarzer
Vorhang fällt. Mit einem breiten Pinsel voll weißer Farbe hat jemand das
Wort „Lohengrin“ darauf geschrieben und ein bisschen gekleckert dabei.
Kein Video nirgends. Die Dänen Kasper Holten für die Regie und Steffen
Aarfing für Bühne und Kostüme haben sich dieses gemalte Bild ausgedacht,
das von Anfang an fast alles sagt, was es hier zu sagen gibt. Allein schon
der Name „Lohengrin“ und noch mehr dieses ziellose, narkotische Klingen der
Gralsmusik sind ein Inbegriff all dessen, was man an Wagner lieben und
hassen muss: Mythische Krieger und Helden, verklärt in einer Musik ohne
Form und Gestalt, deren suggestiver Kraft man sich kaum entziehen kann.
Holten und Aarfing stellen sie in den Kontext, in den sie gehören. Der Gral
schwebt über dem Schlachtfeld wie ein böser Traum von Männern, die so
furchtbar gerne allmächtige Götter wären.
Aber das sind sie nicht. Der schwarze Vorhang mit dem mystischen Namen
fährt wieder hoch, auf der Bühne steht Albrecht Dohmen und ruft als König
Heinrich mit mächtigem Bass nach neuen Truppen für einen neuen Krieg gegen
die Ungarn und möglicherweise auch gegen die Dänen. Holten gesteht im
Programmheft, dass ihn der Blick von der Deutschen Oper zur Berliner
Siegesäule irritiert. Sie ist für den Sieg der Preußen im Deutsch-Dänischen
Krieg von 1864 errichtet worden.
Das weiß heute wahrscheinlich kaum noch ein Berliner, aber gerade deswegen
ist es gut, bei Lohengrin auch daran zu erinnern. Die Oper ist 1850 in
Weimar uraufgeführt worden. Liszt hat dirigiert, Wagner war nach Paris
geflohen, die März-Revolution geschlagen, die politische Idee des deutschen
Nationalstaates aber umso lebendiger.
All das gehört zur Aktualität des Lohengrin, die Holten und Aarfing mühelos
in die Gegenwart übersetzen. Der Chor trägt Militäruniformen jeder Zeit und
jedes Staates. Soldaten werden gebraucht, aber es gibt ein Problem mit der
Führung. In Brabant möchte die letzte Überlebende eines alten Clans die
Macht zurückerobern, und wirft Elsa, der designierten Erbfolgerin der
gegenwärtig herrschenden Clique einen Brudermord vor. Beweise gibt es
nicht, allein die pure Gewalt muss entscheiden. Der König ordnet ein so
genanntes Gottesurteil an, und mit geradezu cineastischer Genialität hat
Wagner damit den Auftritt seines Helden vorbereitet: Lohengrin erscheint,
in einem Boot übers Wasser kommt er an Land, gezogen von einem Schwan.
Unter dem vielen groben Unfug, den Wagner in seine Textbücher schrieb, ist
das vermutlich der gröbste. Aber Holten wird selbst damit fertig, was
allein schon seine Regie zu einem Meisterstück macht. Natürlich zeigt er
nicht den Schwan. Nur der Chor schaut gebannt in den Zuschauerraum, als ob
dort das Wunder geschähe, während in seinem Rücken tatsächlich Klaus
Florian Vogt die Bühne betritt, eingehüllt in leuchtenden Theaternebel,
schulterlanges Haar, auf dem Rücken zwei glänzend weiße Schwanenflügel.
## Traum der Allmacht
Vogt hat nicht nur eine wundervolle Tenorstimme, sondern auch eine Figur,
die diesen Auftritt zum Ereignis macht: Ein Bild von einem Mann,
überirdisch und makellos. Der Führer ist gekommen, alle liegen ihm zu
Füssen. Man muss nicht an Hitler denken, der diese Oper natürlich liebte,
aber man muss ihn auch nicht verdrängen. Was Holt großartig inszeniert, ist
das universal gültige Modell eines im Kern unpolitischen, pubertären
Traumes der Allmacht. Wo so einer nur auftaucht, versinkt alles irdische zu
Staub. Nur unreife Jungs können wahrscheinlich so träumen.
Elsa, die mit ihm an ihrer Seite hoffen zwar darf, doch noch an der Macht
zu bleiben, durchschaut ihn deshalb schon in der Hochzeitsnacht. Niemand
darf nämlich wissen, wer der Strahlemann eigentlich ist. Sie aber will es
wissen, und Wagners Oper erreicht damit ihren dramatischen Höhepunkt. Nach
den sehr viel größeren Mühen der Ebene in den zwei langen Akten davor,
haben Holten und Aarfing ein leichtes Spiel. Wieder ist das Schlachtfeld zu
sehen, aber jetzt liegen die Toten in Särgen. Danach darf Vogt seine
Gralserzählung singen.
Es war Wagners letzter Versuch, eine richtige Opernarie zu schreiben. Er
ist kläglich misslungen. Es fehlte ihm schlicht an melodischer Phantasie.
Vogt singt dieses lange Stück Musik hinreißend schön. Es kommt trotzdem
kaum von der Stelle, hört ohne Höhepunkt und Dramatik auf, um dem
allgemeinen Schlusslärm Platz zu machen, den Wagner besser konnte und auch
Donald Runnicles und sein Orchester prächtig hinkriegen - luxuriöserweise
sogar mit live spielenden, im ganzen Raum verteilten Blech- und
Schlagzeuggruppen aufgerüstet. Wagner war ein Genie des Effekts, aber was
nun Lohengrin, den Helden, angeht: „Nie sollst du mich befragen“.
Holten hat es getan. Das ist vermutlich die einzig mögliche Art, dieses
Werk auf die Bühne zu bringen. Es nützt nichts, es bloß lächerlich zu
machen, man muss es ernst nehmen. Dann wird es symptomatisch. Und falls es
jemand noch nicht weiß: Lohengrin selbst ist niemand, sagt er selber, denn
er ist nur der Sohn eines sehr mächtigen Vaters. Der heißt Parsifal. Mehr
darüber in der nächsten Oper.
Deutsche Oper Berlin, nächste Vorstellungen: 15., 19., 22., 25., 28. 4.
2012
16 Apr 2012
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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