# taz.de -- Streit der Woche: Darf man Wagner lieben? | |
> Er war Antisemit, sagen manche Forscher. Das habe nichts mit seiner Musik | |
> zu tun, entgegnen andere. Sicher ist: Richard Wagner wäre im Mai 200 | |
> geworden. | |
Bild: Deutsch, wuchtig, holografisch: Richard Wagner | |
Er selbst hielt sich schon früh für einen Messias der Musik, einen | |
Revolutionär und Ästheten des Zukünftigen. | |
Richard Wagner, der etwas schmächtig geratene Sohn eines | |
Polizeiprotokollanten und einer Bäckerstochter beschloss schon in jungen | |
Jahren Komponist zu werden und mit seinem Werk einmal alle anderen | |
Komponisten in den Schatten zu stellen. Fantasien von Ruhm und Reichtum, | |
die protegierende Hand des Komponisten Carl Maria Weber und ein | |
unerschütterliches Selbstvertrauen taten ihr Übriges. Mit achzehn Jahren | |
begann der junge Wagner, an der Universität Leipzig Musik zu studieren und | |
nahm Kompositionsunterricht. Schon mit seinen ersten Kompositionen und | |
Aufführungen konnte er erste Erfolge verzeichnen. Der Rest ist | |
Musikhistorie. | |
Während der Genius Wagners heute unbestritten ist, brachte ihn sein | |
glühender Antisemitismus bei der internationalen Rezeption in Misskredit. | |
Dieser schlägt sich insbesondere in seinen Schriften nieder, zeigt sich | |
jedoch auch bei der Figurencharakterisierung von Mime und Alberich aus dem | |
„Ring der Nibelungen“, denen insbesondere Theodor W. Adorno und Saul | |
Friedländer jüdische Stereotype zuschreiben. | |
## „Das Judenthum in der Musik“ | |
Dabei drehen sich die meisten Diskussionen seit Jahrzehnten insbesondere um | |
Wagners 1850 erschienene Schrift „Das Judenthum in der Musik“. Darin stellt | |
Wagner die These auf, dass „der Jude“ an sich unfähig sei, „weder durch | |
seine äußere Erscheinung, seine Sprache, am allerwenigsten aber durch | |
seinen Gesang, sich uns künstlerisch kundzugeben“. 1868 veröffentlichte | |
Wagner den Aufsatz noch einmal, diesmal sind Judenhass und Demagogie noch | |
schärfer formuliert. | |
Während die Wagner-Forschung rund um den Präsidenten der Bayerischen | |
Akademie der Schönen Künste Dieter Borchmeyer keine antisemitischen | |
Stereotype in Wagners Werken zu finden glaubt und seinen journalistischen | |
Antisemitismus als Modephänomen der damaligen Zeit verortet, halten | |
Wagner-Spezialisten wie Hartmut Zelinsky oder Paul Lawrence Rose eine | |
Trennung von Werk und Autor für unmöglich. | |
Für die Einen ist der Antisemitismus in Wagners Werk ein Faktum und | |
diskreditiere sein Werk, Genie hin oder her. Andere wiederum relativieren | |
diese Zuschreibungen frei nach Goethe: Man sieht nur, was man weiß. | |
## Kein Wagner in Tel Aviv | |
Besonders in Israel sorgt Wagners Œuvre regelmäßig für Kontroversen und aus | |
Rücksicht auf Holocaust-Überlebende wird per ungeschriebenem Gesetz kein | |
Wagner gespielt. Die israelische Wagner-Gesellschaft ist indes bemüht, | |
Inszenierungen von Wagners Werken auch in Israel stattfinden zu lassen. | |
Zuletzt scheiterte ihr Vorsitzender Jonathan Livny jedoch mit seinem | |
Versuch, im Juni 2012 ein groß angelegtes erstes Wagner-Konzert in Tel Aviv | |
zu organisieren. Und auch der Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den | |
Linden, Daniel Barenboim, sah sich 2001 scharfer Kritik ausgesetzt, als er | |
bei einem Konzert in Jerusalem als Zugabe einen Auszug aus Wagners „Tristan | |
und Isolde“ spielen ließ. | |
Wagner könnte heute als einer der wichtigsten Komponisten gelten, hätte | |
sein glühender Verehrer Adolf Hitler keinen Weltkrieg angezettelt und | |
seinen perfiden Plan zur Lösung der „Judenfrage“ ersonnen, während er zu | |
Wagners Götterdämmerung in seinem Büro auf- und ab-marschierte. Und so kann | |
die Frage nach Wagner schon fast als Gretchenfrage der Musik gelten. | |
Für Thomas Mann war Wagner „das Pumpgenie, der luxusbedürftige | |
Revolutionär, der namenlos unbescheidene, ewig monologisierende, die Welt | |
über alles belehrende Propagandist und Schauspieler seiner selbst“. | |
Trotzdem fühlte Mann sich vom Klangrausch des Komponisten magisch | |
angezogen. Richard Wagner ist polarisierend, ambivalent und kann wohl als | |
der am meisten rezensierte Komponist überhaupt gelten. | |
Die sonntaz fragt sich nun: Darf man ihn lieben? | |
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten | |
Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom | |
13./14. April. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem | |
Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors | |
versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 10. April, eine Mail an: | |
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9 Apr 2013 | |
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## AUTOREN | |
Anne-Sophie Balzer | |
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