# taz.de -- Wagners „Ring“ in Buenos Aires: Fricka im Evita-Look | |
> Starkes Musiktheater: In Buenos Aires wird Wagners „Ring“ an einem Stück | |
> aufgeführt und umgedeutet auf die Geschichte Argentiniens. | |
Bild: Lecker Schrumpfköpfe, aufgespießt: Szene aus der „Walküre“. | |
Richard Wagner ist ein deutsches Phänomen und eine Weltmarke. Im 19. | |
Jahrhundert war er der egomanische Großkomponist schlechthin. Bis heute | |
wird der Meister verehrt, gefürchtet, gepflegt und manchmal gefleddert. | |
Auch in Südamerika. | |
Seit 1908 gilt das Teatro Colón in Buenos Aires als eines der Opernhäuser | |
mit der besten Wagnerakustik der Welt. Diesem Haus flechten alle Künstler, | |
die dort gesungen, gespielt oder dirigiert haben, Kränze. Und sie haben | |
recht. Dem Prachtbau mit den weit über 2.500 Plätzen wollte man zu seinem | |
100. Geburtstag ein Lifting verpassen und hatte schon Daniel Barenboim mit | |
seiner Staatskapelle gebucht, um das Schmuckstück mit Wagners „Tristan“ | |
wieder zu eröffnen. Doch für Barenboim, seine Musiker und die eingeladenen | |
Journalisten blieb es damals bei einer Baustellenbesichtigung im Colón und | |
einem Ausweichkonzert im Luna-Park. Dafür las Barenboim seinen Landsleuten | |
die Leviten. | |
Im jetzt beginnenden argentinischen Sommer, kurz vorm Wagnerjahr und zum | |
Spielzeitende, ist es anders. Das in altem Glanz zwei Jahre verspätet | |
wieder eröffnete Teatro Colón hatte sich einen besonderen Coup ausgedacht | |
und für einen bislang noch nirgendwo zu sehenden Spezial-„Ring“ Katharina | |
Wagner verpflichtet. Als Regisseurin und natürlich als Urenkelin des | |
Komponisten. Name und Konterfei der Cochefin der Bayreuther Festspiele | |
sollte das Label für das riskante Experiment sein, für das gut 16 Stunden | |
Opernmusik auf sechseinhalb eingekürzt wurde. | |
Das ist Hochleistungssport, nicht nur für die Künstler auf der Bühne und im | |
Graben, sondern auch für die Fans im Saal. Dass bei der Premiere etliche | |
Plätze frei blieben, kann dennoch vor allem an den stattlichen | |
Kartenpreisen von umgerechnet bis zu 500 Euro gelegen haben. | |
## In altem Glanz | |
Cord Garben hat in seiner Strichfassung alle eingebauten Rückblenden | |
gestrichen, wie die Wissenswette, die Wotan mit Mime in der „Walküre“ | |
veranstaltet oder das große Nornen-Vorspiel in der „Götterdämmerung“. | |
Garben greift aber auch im Detail zum Rotstift und streicht, was das Zeug | |
hält. Oder eben auch nicht hält, denn meistens sind die Striche ärgerlich: | |
wegen der „schönen Stellen“, die fehlen, und wegen der Sinnverflachung, die | |
damit verbunden sind. | |
Für die szenische Umsetzung hatte Katharina Wagner ein Bühnenbild mit Frank | |
Schlößmann entworfen, vor Probenbeginn ein detailliertes Regiekonzept | |
entwickelt und ein Sängerteam gecastet. Sponsoren waren gefunden, eine | |
Journalistencrew eingeladen. Doch als die Regisseurin zur Probe anreiste | |
und nicht vorfand, was sie erwartete – weder Kostüme noch Assistenten – | |
flog sie mit der gleichen Maschine am Abend wieder zurück. Gab ein paar | |
Interviews, flog binnen einer Woche noch mal hin und löste (einvernehmlich) | |
ihren Vertrag. | |
Damit hatte man ein „Vorspiel auf dem Theater“, das für die Betroffenen | |
alles andere als lustig war. Katharina Wagner ist damit zwar das Risiko | |
los, eine fragwürdige Strichfassung faktisch zu legitimieren, hat aber alle | |
Beteiligten in Schock versetzt. Mag sein, dass ein allzu südamerikanischer | |
Pragmatismus den Probenplan zur Makulatur gemacht hatte. | |
Der gleiche Pragmatismus rettete aber auch das Unternehmen und | |
wahrscheinlich sogar das Haus. Die Argentinier haben ohnehin andere Sorgen | |
als die Probenbedingungen im Teatro Colón. Sakrosankt ist auch dieses Haus | |
trotz seines Stellenwertes nicht. Eine Woche vor der Premiere gab es in | |
Argentinien den ersten Generalstreik seit Jahren und am Rio de la Plata | |
geht die Krise längst an die gesellschaftliche Substanz. Wenn etwa den | |
Krankenhäusern ein Drittel ihrer Mittel gestrichen wird, steht jeder Peso | |
für die Hochkultur unter besonderem Legitimationszwang. | |
## Wotan in Generalsuniform | |
Retterin in der Not war die Argentinierin Valentina Carrasco. Für sie war | |
dieses Himmelfahrtskommando wohl nicht nur eine Chance, sondern es war eine | |
Frage der Ehre, das erste Opernhaus ihres Landes nicht an den Baum fahren | |
zu lassen. Zurückgreifen konnte sie auf ihre „Ring“-Erfahrungen mit der | |
katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus in Valencia. Im vorgefundenen | |
Bühnenbild entwickelten sie mit dem ebenfalls neu verpflichteten | |
österreichischen Dirigenten Roberto Paternostro ein eigenes Konzept. | |
Dass dabei vieles unausgegoren und bei der Personenregie nur angedeutet | |
blieb, auch keine musikalische Sternstunde herauskam, ist das eine. Doch | |
was vor allem Linda Watson als überragende Brünnhilde bot, nötigt Respekt | |
ab! Mehr war unter den gegebenen Bedingungen nicht drin, wobei die | |
Steigerung zwischen Generalprobe und Premiere imponierend war. | |
Wenn Wotan in Generalsuniform und Fricka im Evita-Look an argentinische | |
Herrscherlegenden erinnern, ist das nicht so plakativ, wie es klingt. Denn | |
die eigentliche zentrale Idee hat es in sich: Bei Carrasco raubt Alberich | |
nicht das Gold, sondern einen Säugling. Nibelheim ist das finstere Innere | |
einer Welt, in der schwangere Frauen misshandelt und ermordet werden, in | |
der man ihnen aber vor allem, wie zu Zeiten der Militärdiktatur in | |
Argentinien, die Kinder raubte. In einem Land, in dem die hartnäckig | |
protestierenden Mütter Legende und immer noch aktive Realität sind, ist das | |
ein ziemlich starkes und mutiges Stück Musiktheater. | |
Wenn am Ende unter den Menschenmassen, die auf die Bühne strömen, auch | |
diese befreiten Kinder sind, dann ist das wenigstens ein Funken Hoffnung. | |
Valentina Carrasco musste dafür deutliche Buhs einstecken, hat sich aber in | |
der Welt der Oper damit einen Namen gemacht! Leider gibt’s diesen Ring nur | |
zweimal, wenigstens hat die Deutsche Welle (auch für eine DVD) gefilmt. | |
4 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
## TAGS | |
Brasilien | |
Wagner | |
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