# taz.de -- Ex-Verfassungsschützer über Behörde: „Keinen Anschlag verhinde… | |
> Falsche V-Leute und Wagenburg-Mentalität: Warum Ex-Verfassungsschützer | |
> Winfried Ridder den Geheimdienst entmachten will. | |
Bild: „Es war ein Irrtum zu glauben, dass man sich auf V-Leute als Quellen ve… | |
taz: Herr Ridder, Sie waren mehr als zwanzig Jahre Terrorbekämpfer im | |
Bundesamt für Verfassungsschutz. Heute sind Sie einer der schärfsten | |
Kritiker der Behörde. Wieso? | |
Winfried Ridder: Der Verfassungsschutz hat in seiner über 60-jährigen | |
Geschichte immer wieder gravierende Fehler begangen. Vor allem im Bereich | |
der Terrorbekämpfung fällt die Bilanz negativ aus. Bei allen schweren | |
terroristischen Anschlägen hat der Verfassungsschutz weder zur Verhinderung | |
noch zur Aufklärung beigetragen. | |
Warum hat der Verfassungsschutz derart versagt? | |
Jahrzehntelang hat er sich darauf konzentriert, mit V-Leuten in | |
terroristische Gruppierungen einzudringen und deren Pläne | |
auszukundschaften. Heute muss man sagen: Das war eine Illusion. Weder bei | |
der RAF noch bei den Hamburger Attentätern vom 11. September oder der | |
Zwickauer Zelle ist dies gelungen. | |
Was ist das Problem mit solchen vom Staat bezahlten Spitzeln aus | |
extremistischen Milieus? | |
Es war ein Irrtum zu glauben, dass man sich auf V-Leute als Quellen | |
verlassen kann. Man weiß nie, ob sie wirklich auf der Seite des Staates | |
stehen und die entscheidenden Informationen ehrlich übermitteln oder ihr | |
Honorar in den Ausbau extremistischer Strukturen stecken. Im Fall der | |
Zwickauer Zelle stellten sie wohl eher ein Sicherheitsrisiko dar als eine | |
Hilfe für den Staat. | |
Wie sollen die Sicherheitsbehörden stattdessen an die entscheidenden | |
Informationen zur Terrorabwehr kommen? | |
Meine Alternative lautet: mit verdeckten Ermittlern, also eigens geschulten | |
Polizeibeamten, die undercover in die Szene eingeschleust werden. Im | |
Bereich der organisierten Kriminalität macht die Polizei dies bereits seit | |
langem erfolgreich. Dies hätte auch den Vorteil, dass Verfassungsschutz und | |
Polizei nicht wie in der Vergangenheit häufig parallel aneinander vorbei | |
ermitteln würden. | |
In Deutschland hatten wir schon einmal die Gestapo. Gruselt es Sie nicht | |
beim Gedanken an eine weit im Vorfeld von Straftaten agierende | |
Geheimpolizei? | |
Natürlich ist dieser historisch begründete Einwand berechtigt. Aber es geht | |
nicht darum, dass die Polizei zum Geheimdienst wird. Ich würde hier | |
natürlich Schranken einbauen. Es geht mir nur um die Terrorbekämpfung, und | |
die gehört in eine Hand – in die der Polizei. | |
Ihre Forderung geht deutlich über die im Moment diskutierten Reformkonzepte | |
für den Verfassungsschutz hinaus. Wie bewerten Sie die Debatte um den | |
Inlandsgeheimdienst? | |
Natürlich hat das Kölner Bundesamt erkannt, in welche existenzbedrohende | |
Situation es sich gebracht hat. Aber alles, was jetzt unter dem Schlagwort | |
Modernisierung läuft, ändert nichts an den grundlegenden Problemen. Es | |
bleibt beim Nebeneinander von Polizei und Geheimdiensten. Fast alle | |
Innenminister halten V-Leute weiter für unverzichtbar. Nur der | |
Innenminister von Sachsen-Anhalt hat unlängst signalisiert, dass ein | |
Strategiewechsel nötig sei. Dabei sind die Risiken des V-Leute-Systems | |
nicht mehr kalkulierbar. | |
Sie sind inzwischen schon seit 18 Jahren außer Dienst. Warum kommen Sie | |
erst jetzt mit Ihrer Abrechnung? Hätten Sie die Behörde nicht viel früher | |
von innen heraus kritisieren müssen? | |
Die Möglichkeiten einer Reform von innen sind ausgesprochen begrenzt. Sie | |
sind sofort ein Außenseiter, wenn Sie sich auf einen solchen Weg machen. | |
Ich habe als Mitarbeiter versucht, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen, bin | |
aber schnell an Grenzen gestoßen und sogar disziplinarisch an meine | |
Dienstvorschriften erinnert worden. Erst mit einigen Jahren Abstand konnte | |
ich die Arbeit des Verfassungsschutzes wirklich kritisch bewerten. | |
Das Auffliegen der NSU-Terrorzelle müsste doch eigentlich für alle | |
Verfassungsschützer Anlass zur Selbstkritik sein. Warum dringt von diesen | |
Debatten so wenig an die Öffentlichkeit? | |
Leider beobachte ich eher eine Wagenburg-Mentalität. Meiner Ansicht nach | |
besteht die Gefahr, dass sich der Behördenapparat nach einer Phase der | |
Verunsicherung erst recht abschottet und keine Kritik mehr an sich | |
heranlässt. Das wäre fatal. | |
12 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
A. Geisler | |
W. Schmidt | |
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