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# taz.de -- Parlament in Ungarn: Die pervertierte Verfassung
> Die Regierungsfraktion beschließt hoch umstrittene Änderungen. Unter
> anderem wird die Unabhängigkeit der Justiz stark eingeschränkt.
Bild: Auch am Tag der Abstimmung gingen die Proteste gegen die Verfassungsände…
WIEN taz | Obdachlosigkeit wird in Ungarn zum strafrechtlichen Delikt. Das
beschloss das Parlament in Budapest Montag nachmittag mit der
Zweidrittelmehrheit der Regierungsfraktion Fidesz-KNP.
In einer Abstimmung, die von der Opposition als Putsch gegen das
Verfassungsgericht qualifiziert wird, schrieben die Abgeordneten eine
Anzahl von Bestimmungen in die Verfassung, die in den vergangenen Monaten
vom Verfassungsgericht gekippt worden waren. Premier Viktor Orbán und seine
Leute setzten sich damit über Proteste der Bevölkerung, wie warnende
Stimmen aus Brüssel und Washington hinweg.
Am Samstag waren in Budapest mehrere tausend Menschen auf die Strasse
gegangen, um mit dem Slogan „Die Verfassung ist kein Spielzeug!“ gegen die
bereits vierte Novelle des erst seit Anfang 2012 geltenden Grundgesetzes zu
protestieren. Der linke Philosoph Tamás Miklós Gáspár warf als Hauptredner
der Regierung vor, das Grundgesetz für Parteipolitik und Zementierung der
Macht von Fidesz zu missbrauchen: „Eine Verfassung muss das einigende
Grundelement für das ganze Land und seine Menschen sein, nicht das
Bestrafungswerkzeug einer vorübergehenden Mehrheit“.
Die Gesetzespassagen, die von den Verfassungsrrichtern beanstandet und
jetzt vom Parlament in Verfassungsrang gehoben wurden, betreffen neben den
Obdachlosen auch die Studenten, die Familie, die Wählerregistrierung und
das Verfassungsgericht (VfG) selbst. Den Höchstrichtern ist es künftig
verboten, die eigene Spruchpraxis aus mehr als 22 Jahren nach der
politischen Wende in ihre Urteile einzubeziehen, selbst wenn diese nicht in
unmittelbarem Widerspruch zur neuen Verfassung steht. De facto wird das VfG
als Korrektiv der Gesetzgebung damit entmachtet.
## Homoehe? Im Leben nicht.
Anderswo wird über die Gleichberechtigung von Homoehen diskutiert. In
Ungarn schreibt man Viktor Orbáns Familienbegriff in die Verfassung. Die
Familie, so heißt es, bestehe aus Vater, Mutter, Kindern oder allenfalls
einem Elternteil plus Kind(ern). Damit werden selbst kinderlose Paare von
gewissen Leistungen des Staates ausgeschlossen. Die Verfassungsrichter
hatten in dieser engen Definition einen Verstoß gegen den verfassungsmäßig
verankerten Gleichheitsgrundsatz gesehen.
Die verpflichtende Wählerregistrierung zwei Wochen vor einem Urnengang
sahen sie als Einschränkung des Wahlrechts, der Meinungs- und
Pressefreiheit. Sie nützt eindeutig der Regierungspartei, deren
Mobilisierungsfähigkeit der aller Mitbewerber überlegen ist. Protestwähler,
die sich erst in letzter Minute zur Stimmabgabe entschließen, werden
ausgeschlossen.
Mit dem Einwand, der Umstand der Obdachlosigkeit an sich könne noch keine
Straftat sein, hatte das VfG zu Jahresbeginn das Gesetz aufgehoben, das die
Städte von Pennern säubern soll. Die Regierung will jetzt „obdachlosenfreie
Zonen“ schaffen, innerhalb derer die Kommunen die Unterstandslosen
verfolgen können.
## Alles Missverständnisse
Studienabsolventinnen und -absolventen werden verpflichtet, das Doppelte
ihrer Studienzeit in Ungarn zu arbeiten, bevor sie eine Arbeit im Ausland
suchen. Ein grober Verstoß gegen die von der EU garantierten Freizügigkeit.
Auf besorgte Stimmen, wie sie von EU-Kommissionspräsident José Manoel
Barroso, vom Europarat und auch vom US-State Department geäußert wurden,
reagiert Viktor Orbán routinemäßig mit der kalten Schulter. Außenminister
János Martonyi mußte ausrücken, um das Vorhaben zu verteidigen. Die Kritik
beruhe großteils auf „mangelnden Informationen und Missverständnissen“,
erklärte er in einem offenen Brief an einige EU-Amtskollegen.
Nur Staatspräsident János Áder hätte es noch in der Hand, den
Verfassungsreformen die Unterschrift zu verweigern. Genau das fordert von
ihm sein Vorvorgänger László Sólyom in einem offenen Brief. Er weist darauf
hin, dass das VfG in seiner Spruchpraxis Grundrechte wie die Menschenwürde
und die Unverletzbarkeit des Lebens allen anderen Bestimmungen übergeordnet
habe. Durch den jetzigen Umgang mit der Verfassung werde diese Hirarchie
umgangen. Sólyom sieht die „verfassungsmäßige Ordnung“ insgesamt bedroht.
11 Mar 2013
## AUTOREN
Ralf Leonhard
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