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# taz.de -- Homo-Ehe: Nicht gesellschaftsfähig
> Was passiert, wenn Schwule und Lesben heiraten dürfen? Wird dann endlich
> alles gut? Ein queerer Blick auf die homonormativ geführte Debatte.
Bild: Brave Homos bleiben eine Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft. Und das…
Eine „schrille Minderheit“. Das sind wir für den CSU-General Dobrindt.
Schrill. Minderheit. So einfach. Eine Sicht, die auch viele
nichtkonservative Menschen durchaus teilen.
Alexander Dobrint hat also genau ins Schwarze getroffen – und wird nun von
den so toleranten Medien dafür geohrfeigt. Hier beginnt das Problem. Scheiß
auf die Toleranz. Wir sind keine Opfer. Dobrindt hat nur ausgesprochen, wie
die Gesellschaft nach wie vor über uns denkt.
Uns? Das sind die Marginalisierten. Das sind die, die am Rande der
Gesellschaftsnormen stehen. Das sind (wenn es ein Label geben soll) die
Queeren. Menschen die Machtverhältnisse, Gesellschaftsstrukturen und
Geschlechteridentitäten hinterfragen. Nicht nur theoretisch.
Eine Minderheit also. Oder halt die Schrillen. Die Hysterischen. Oder
drastischer: die, deren einziges Ziel nicht die Durchsetzung der Homo-Ehe
ist. Denn die Homo-Ehe ist nicht die letzte Bastion im Kampf um die
Gleichstellung. Wer das glaubt, ignoriert die tieferen Fragen von
Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Die Homo-Ehe bietet den eh schon
Privilegierten nur noch mehr Privilegien.
Was bei der ganzen Debatte verpasst wurde, ist, zu hinterfragen, wie
eigentlich Familie in unserer Gesellschaft definiert wird – nämlich mit
einem heteronormativen Blick oder, um mit der Kulturwissenschaftlerin Lisa
Duggan zu sprechen, inzwischen eben auch mit einem „homonormativen“.
## Gute Homos, böse Queers
Denn was passiert eigentlich, wenn Schwule und Lesben heiraten dürfen?
Ändert sich unsere Gesellschaft? Steigt die Akzeptanz? Seit Jahrzehnten
sehen sich die angepassten, assimilierten Homosexuellen mit einer queeren
Community konfrontiert.
Über diese zwei Fronten schrieb bereits 1999 Michael Warner in seinem Buch
„The Trouble with Normal“. Der Amerikanistik-Professor sieht eine
Hierarchie zwischen den beiden Parteien, in welcher sich die
Mehrheitsgesellschaft wenn überhaupt für die respektierten Homosexuellen –
also die, die nach Normalität streben – entscheidet. Nach Warner entsteht
eine „Hierarchie der Respektabilität“. Also gute Homos gegen böse Queers.
„Der Kampf“ für die gleichen Rechte drängt auch die innerhalb der
LGBTIQ-Community (Lesben, Gay, Bi-, Trans-, Intersex und Questioning/Queer)
bereits Marginalisierten noch mehr an den Rand der Gesellschaft. Für
Dobrindt mögen also alle Homos unreife Partyclowns sein, innerhalb der
LGBTIQ-Community verläuft aber im Zweifelsfalls die gleiche Trennlinie.
Hier die reifen, heiratswilligen Karrieremacher, da die chaotischen,
polygamen Hartz-IV-Empfänger.
Gleiche Rechte für alle – eine Utopie. Geht das Recht nach Gleichheit nur
über den Umweg der Homo-Ehe mit einer Assimilation Richtung heterosexuellen
Lifestyle einher? Was passiert mit den Homo-, Bi-, Inter-, Hetero und
Transsexuellen, die sich nicht anpassen möchten? Die auch gar nicht das
Verlangen nach Normalität haben?
Das Streben nach „Normalität“ ist per se unmöglich. Wenn es nach
statistischen Kriterien geht, fallen die Homosexuellen eh durch das Raster.
Sie können sich adaptieren, anpassen, assimilieren – doch auch die braven
Homos bleiben eine Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft. Das wollen sie
vielleicht nicht sein, aber eventuell ist diese Position ja erst mal gar
nichts Schlechtes. Denn es ist eine Möglichkeit, sich dem Mainstream zu
widersetzen.
Ein Weg, um zu zeigen, wie Gesellschaft auch gerade über Differenzen und
Heterogenität funktionieren kann – ohne einen Gleichheitsgedanken zu
verteidigen. Die Minderheitenposition kann also als Machtposition
verstanden werden.
## Reaktionär
Stattdessen wird die Homo-Ehe zum Politikum, zu einem Instrument, an dem
Toleranz gemessen wird. In beiden Modellen, der Hetero- und der neuen
Homo-Familie, besteht Familie aus zwei Menschen mit Kindern. Die
Möglichkeit, Familie weiter zu greifen, breiter zu fassen, bleibt verwehrt.
Und das auch in der Politik. Die Grünen werfen der CDU/CSU vor, reaktionär
zu sein, merken aber nicht, wie sehr sie es selbst sind. Denn die Ehe
bleibt das dominierende Familienmodell in Deutschland. Daran wagt sich
keine Partei heran, trotz der Rede von Patchwork, Wohngemeinschaften und so
weiter. Unsere Gesellschaft basiert auf dieser Hypokrisie. Wenn Sie ihre_n
Partner_in in im Krankenhaus besuchen möchten, darf Ihnen das verwehrt
werden, wenn Sie nicht verheiratet sind. Da macht es erst mal keinen
Unterschied, ob sie hetero-, homo-, inter-, bi- oder transsexuell sind.
Interessanterweise begreift sie der Staat aber plötzlich an dem Punkt als
Familie, wenn er zahlen muss – wie zum Beispiel, wenn Ihr_e unverheirateter
Partner_in Sozialleistungen beantragt. Denn dann reicht schon ein
Zusammenleben, um in die finanzielle Verantwortung gezogen zu werden. Diese
Scheinheiligkeit wird von der Gesellschaft toleriert, weil sie eben bequem
ist.
Wer heiraten will, soll das gefälligst tun. Sich dann auch scheiden lassen,
wie die Heteros es eben auch machen – wenn es schon darum geht, statistisch
„normal“ zu sein. Wer sich anpassen will und nicht auffallen möchte, soll
sein Leben so leben. Warum auch nicht?
Trotzdem sollten andere Lebensentwürfe toleriert, akzeptiert und eben auch
rechtlich gleichgestellt werden – genau darüber wird aber nicht gesprochen.
Offene Beziehung, Dreiecksbeziehungen, Beziehungen zwischen einer älteren
und jüngeren Person und alle anderen Modelle, die in unserer Gesellschaft
inhärent sind, bleiben stigmatisiert.
„Schrill“ meint also anders. Nicht heterosexuell. Nicht gesellschaftsfähig.
Unnormal. An diesen Gedanken ändert auch die Homo-Ehe erst einmal nichts,
sosehr es das Versprechen der Gleichstellung auch suggeriert. Die
Minderheit bleibt eine Minderheit, und das ist kein schlechter
Ausgangspunkt, um darüber nachzudenken, wie wir gleiche Rechte für alle
Beziehungs- und Familienformen schaffen könnten.
Unser demokratischer Staat würde dadurch nicht zusammenbrechen. Vielmehr
ist es eine Chance, wirklich demokratische Werte zu verteidigen. Toleranz?
Danke, wollen wir nicht.
15 Mar 2013
## AUTOREN
Enrico Ippolito
Enrico Ippolito
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