# taz.de -- CDU und die Homo-Ehe: Schwule Schwaben | |
> Stefan Kaufmann ist CDU-Abgeordneter, katholisch – und schwul. Er will | |
> seine Partei für die rechtliche Gleichstellung öffnen. Die Zeit dafür | |
> scheint gekommen. | |
Bild: Gar nicht schrille Minderheit: Stefan Kaufmann (rechts) und sein Partner … | |
STUTTGART taz | Der Wandel der CDU kommt auf Socken. Rolf Pfander sucht | |
noch seine Schuhe, als der Besuch am Samstagmorgen die Wohnung betritt. | |
„Bin gleich so weit!“, ruft er und verschwindet im Schlafzimmer. Kein | |
Problem. Der Besuch ist ja vor allem wegen Pfanders Partner hier, Stefan | |
Kaufmann, und der hat Schuhe an. Der Bundestagsabgeordnete hat viel zu tun | |
in diesen Wochen. Kaufmann verändert gerade das Selbstverständnis der | |
Union. | |
Von hier oben, einer hellen Dachgeschosswohnung in Stuttgart-Mitte, hat der | |
43-Jährige einen herrlichen Blick. Unten im Tal liegt die Landeshauptstadt, | |
die nach jahrzehntelanger CDU-Herrschaft seit Kurzem von dem Grünen Fritz | |
Kuhn regiert wird. Weiter oben am Hang weht die schwarz-goldene | |
Landesflagge auf der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des | |
Ministerpräsidenten. Der ist bekanntlich auch ein Grüner. | |
Auf der einen Seite liegt das sich wandelnde Ländle, auf der anderen die | |
politische Macht, und dazwischen steht ein Mann, der sichergehen will, dass | |
die CDU beides im Blick behält. | |
„Die CDU konnte es sich lange erlauben, nicht jede gesellschaftliche | |
Entwicklung mitzumachen“, sagt Kaufmann am hölzernen Wohnzimmertisch. „Sie | |
wurde ja trotzdem gewählt.“ Der Jurist sitzt seit 2009 für die Union im | |
Bundestag, ist Katholik – und offen schwul. Neben ihm sitzt sein Partner, | |
beide tragen den gleichen schwarzen Siegelring am Finger. Pfander trägt ein | |
Hemd mit großem grau-weißem Karomuster, Kaufmann eines mit kleinem. | |
Kennengelernt haben sie sich in der CDU. | |
## Heimat CDU | |
Die Union ist für viele im Südwesten wie eine Familie. Sie ist die bei | |
Weitem mitgliederstärkste Partei, hat Baden-Württemberg über Jahrzehnte | |
geprägt. Doch während die Gesellschaft sich wandelte, SPD und Grüne für die | |
Gleichrangigkeit hetero- und homosexueller Beziehungen stritten, bewegte | |
sich die CDU in dieser Frage kaum. Weder hier noch im Bund. | |
Stattdessen haben sich die Bundesverfassungsrichter im nahen Karlsruhe | |
bewegt. In bislang sechs Urteilen haben sie die Rechte von Menschen in | |
Lebenspartnerschaften gestärkt, zuletzt beim Adoptionsrecht. | |
Voraussichtlich wird das Gericht im Sommer die Ungleichbehandlung von | |
Lebenspartnern und Eheleuten im Steuerrecht monieren. | |
„Warum“, fragt Rolf Pfander mit Blick auf seinen Partner, „warum sollen w… | |
immer nur reagieren, statt zu agieren?“ Wir, das ist die CDU. Die beiden | |
begreifen sich als Konservative, die halt schwul sind. Im Bücherregal | |
hinter ihnen steht eine Gipsbüste Ludwig van Beethovens, das Sofa ist | |
unbenutzbar vor lauter Dekokissen. Die beiden sind seit mehr als einem | |
Jahrzehnt ein Paar. | |
Im Sommer 2012 wagte sich Kaufmann mit zwölf weiteren Unions-Abgeordneten | |
vor. Gemeinsam forderten sie für Gleichgeschlechtliche die gleichen | |
Steuerprivilegien wie für Eheleute. Das klassische Familienmodell der Union | |
steht seither infrage. Aus Kaufmanns Sicht ist das für die Christdemokraten | |
kein Problem, sondern die Lösung: „Es ist schließlich nicht | |
christdemokratischer Markenkern, gegen die rechtliche Gleichstellung zu | |
sein.“ | |
## Was ist konservativ? | |
Was aber zählt noch zum Kern der Marke CDU? Was bleibt ihr nach dem eiligen | |
Abschied von Wehrpflicht, Atomenergie und dem Nein zum Mindestlohn? | |
In den vergangenen Wochen äußerten sich Vertraute Angela Merkels, | |
Fraktionschef Volker Kauder und Finanzminister Wolfgang Schäuble, | |
vorsichtig zugunsten einer rechtlichen Gleichstellung. Zwei Konservative, | |
noch dazu aus dem CDU-Stammland Baden-Württemberg. Die Frankfurter | |
Allgemeine Sonntagszeitung titelte schon auf Seite 1: „CDU will Homo-Ehe | |
einführen“. Kaufmann schien am Ziel, ganz ohne Revolte von rechts. | |
Dann, vor zwei Wochen, ruderte das CDU-Präsidium zurück: Alles bleibe beim | |
Parteitagsbeschluss vom Dezember, also dem Nein zur Ausweitung des | |
Ehegattensplittings auf Schwule und Lesben. Was war geschehen? | |
Wollte die Kanzlerin lieber das absehbare Urteil der Verfassungsrichter | |
abwarten, um sich nicht für ihre Haltung rechtfertigen zu müssen? Tatsache | |
ist: Die CSU macht Druck, fürchtet vor der Landtagswahl im September um | |
Stimmen von Stammwählern. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt erklärte | |
zu Wochenbeginn, die Union möge einer „schrillen Minderheit“ nicht die | |
Stimme geben. Kaufmann hält dagegen: „Da könnte man die CSU mal auf den | |
Koalitionsvertrag hinweisen.“ | |
## Das Versprechen der Regierung | |
In dem versprach Schwarz-Gelb 2009: „Wir werden insbesondere […] | |
gleichheitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen und | |
insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur | |
Gleichstellung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen.“ | |
Bei einer repräsentativen Umfrage von TNS Emnid im Sommer 2012 sprachen | |
sich 80 Prozent der Befragten dafür aus, das Ehegattensplitting auf | |
eingetragene Lebenspartnerschaften von Schwulen und Lesben auszuweiten. Im | |
Lager der Unionsparteien hielten immerhin 71 Prozent die Gleichstellung für | |
richtig. | |
Der Eindruck entstand, als hätten sich Wähler und Mitglieder der Union | |
schleichend auseinanderentwickelt. Die CSU verspricht sich von einer | |
Anti-Homo-Ehen-Kampagne noch immer Wählerstimmen. Wo aber sind in der CDU | |
die Gegner der Gleichstellung? | |
Hier irgendwo müssen sie sein. Dunkle SUVs parken vor dem Flachbau des | |
SSB-Veranstaltungszentrums in Stuttgart. In der Halle, die so gesichtslos | |
ist, dass sie in jeder deutschen Stadt stehen könnte, feiert die hiesige | |
CDU ihre graue Eminenz: Gerhard Mayer-Vorfelder. Wenige Tage zuvor ist „MV“ | |
80 Jahre alt geworden. | |
## Hass-Figur Mayer-Vorfelder | |
Mayer-Vorfelder war einst mehr als ein Landesminister. Und mehr als der | |
umstrittene Präsident des DFB und des VfB Stuttgart. Er war der Mann, der | |
1987 erklärte: „Die Chaoten in Berlin, in der Hafenstraße in Hamburg und in | |
Wackersdorf springen schlimmer rum als die SA jemals.“ Und noch 2001 | |
urteilte er: „Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den | |
Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen.“ Der rechte | |
Stammtisch liebte ihn. Wer links von ihm stand, und das waren viele, hasste | |
ihn. | |
Wie viel Mayer-Vorfelder steckt heute noch in der CDU? | |
Als der Jubilar und seine Frau den Saal betreten, warten etwa 50 Leute an | |
Stehtischen. Überwiegend Männer über 60, wenige Frauen. Es gibt Weißwein, | |
Brezeln und leichten Applaus. Jemand sagt laut: „Ganz, ganz herzlich | |
willkommen heute!“ Es ist Stefan Kaufmann. Der schwule | |
Homo-Ehen-Befürworter ist seit 2011 CDU-Kreisvorsitzender in | |
Mayer-Vorfelders politischer Heimat. | |
„Ja, Gerhard Mayer-Vorfelder ist eine Politikerpersönlichkeit mit Ecken und | |
Kanten.“ Kaufmann liest seine kurze Ansprache vom Blatt, er wringt die | |
Hände, sein Siegelring ist zu sehen. Er erinnere sich noch gut an ihr | |
erstes Aufeinandertreffen, 1988. „MV“ war damals Kultusminister, er selbst | |
Schülersprecher. Der Minister hatte gerade erlassen, dass | |
Baden-Württembergs Schüler die Nationalhymne singen sollten, alle drei | |
Strophen. Leichtes Kichern im Saal. | |
## Der „wahre Konservative“ | |
Mayer-Vorfelder zeigt sein Markenzeichen, eine hochgezogene Oberlippe, die | |
ein Lächeln sein soll. Kaufmann überreicht ihm ein Geschenk: eine Biografie | |
des Stuttgarter Historikers Wolfram Pyta über Paul von Hindenburg. In Pytas | |
Widmung steht, das Buch über einen „Scheinkonservativen“ sei ein Geschenk | |
für den „wahren Konservativen“ Mayer-Vorfelder. | |
Aber ist es nun konservativ, gegen die Homo-Ehe zu sein? | |
„I persönlich han do koi Problem“, sagt Petra Höbich-Wagner. „Der Herr | |
Kaufmann, des isch mei Mann.“ Das meint die 58-Jährige mit den grauen, | |
halblangen Haaren natürlich nicht wörtlich. Ihr lächelnder Gatte steht | |
neben ihr, Kaufmanns Partner Pfander plaudert ein paar Meter weiter. Sie | |
sei für die rechtliche Gleichstellung. „Und i glaub scho, dass mei Meinung | |
die Mehrheit in der Partei isch.“ | |
Das Problem sei ein anderes, sagt Höbich-Wagner. „De Leut wählet die Grüne, | |
do kammer Wahlkampf mache, wie mer will.“ Die Grünen treffen den Zeitgeist, | |
die Union wirkt altbacken. | |
## Die grünen CDU-Rivalen | |
Heute sind Kaufmanns stärkste Konkurrenten nicht mehr die Konservativen in | |
den eigenen Reihen, sondern die betont wertkonservativ auftretenden Grünen. | |
Bei der Bundestagswahl 2009 erkämpfte der CDU-Mann sich das Direktmandat im | |
Wahlkreis Stuttgart 1 – 4,5 Prozentpunkte vor Grünen-Parteichef Cem | |
Özdemir. Die Union hatte erkannt: Ein schwuler Kandidat hat hier gute | |
Wahlchancen. | |
Der Wandel gefällt Karl Dürr gar nicht. „Des isch a Minderheit“, sagt der | |
grauhaarige Mann seiner Parteifreundin Höbich-Wagner. „Warum rennet mir | |
dene hinterher? Das bringt den Wahlerfolg nicht im September.“ Nein, nein, | |
sagt das einfache Parteimitglied, „ich will das Konservative pflegen. Da | |
müssen wir nicht den Linken, der SPD und den Grünen hinterherlaufen.“ | |
Dürr und Höbich-Wagner blicken einander an, zucken ratlos mit den Achseln. | |
Dann gehen sie wortlos auseinander, zu ihren jeweiligen Parteifreunden, in | |
ihre getrennten Welten. | |
Einer aber muss die Antwort kennen. Nach dem Sektempfang beginnt die | |
Kreismitgliederversammlung der CDU, der Jubilar setzt sich in die erste | |
Reihe. Herr Mayer-Vorfelder, was halten Sie von der rechtlichen | |
Gleichstellung homosexueller Paare? Hochgezogene Oberlippe, skeptischer | |
Blick. „Da hat die CDU natürlich eine Bandbreite“, sagt er. Und wie stehen | |
Sie dazu, so als Konservativer? „Für alle, die bisher in Unsicherheit | |
gelebt haben, ist das sicher gut.“ Wie bitte? | |
## „MV“ sagt Ja | |
Der Jubilar lächelt wieder, diesmal mehr in sich hinein: „Dass die CDU sich | |
dazu bekennt“, sagt er und tätschelt dem Frager den Arm, „das finde ich in | |
Ordnung.“ Vielleicht ist letztlich dies konservativ: die Neuerungen, die | |
man nicht verhindern kann, hinzunehmen, ohne zu verbittern. | |
Oben am Rednerpult eröffnet Kaufmann die Sitzung. Unten sitzt der Jubilar | |
allein im Publikum. „Ach, Herr Mayer-Vorfelder“, sagt Kaufmann überrascht | |
ins Mikro, „Sie sind noch da. Schön, dass Sie da sind.“ | |
14 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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