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# taz.de -- „Unsere Mütter, unsere Väter“: Wieder nur ein deutscher Film
> Am Mittwoch strahlt das ZDF die letzte Folge von „Unsere Mütter, unsere
> Väter“ aus. Das angebliche Meisterwerk zeigt: Wir können es einfach
> nicht.
Bild: Tarantino wüsste, wie's geht: Soldat Wilhelm (Volker Bruch).
Ach, so fickten Nazis? Rammelig? Nähmaschinenartig, der Mann, ein
Sturmbannführer, die aggressive Nadel. Die Frau, eine Sängerin mit
Karriereambitionen und dem Wunsch, ihrem jüdischen Freund mithilfe des
NS-Kaders zu Ausreisepapieren zu verhelfen, hingegen leidend, duldend, der
Stoff, in dem die Nadel sich dauerzuckend versenkt.
Ach, wär’s doch bei solchen Klischees geblieben, bei diesem Phantasma vom
nationalsozialistischen Deutschen, der Sex nur als Entsamung und
Unterwerfung leben kann; die Frau als Opfer. Doch leider ist der Umstand,
dass „Unsere Mütter, unsere Väter“ festes Einbildungswissen nur
reproduziert, nicht einmal der gewichtigste. Sondern dass der Film nicht
wirklich berührt.
Gelegentlich lugt in der Rezeption dieses 270-Minuten-Epos durch, um was es
wahrhaft geht: dass das deutsche Publikum sich nach der Ausstrahlung
ähnlich erfasst zeigt wie vor 34 Jahren. Damals lief im deutschen Fernsehen
eine US-amerikanische Serie in Schwarz-Weiß – „Holocaust“.
Das Wort war bis zur Ausstrahlung der Geschichte einer deutschen jüdischen
Familie in jedwedem Sprachgebrauch ungeläufig. Mit der Serie war das Thema
des Mordes an den Juden keines der gelehrten Nischen mehr. Sie machte das
Leid der Opfer der NS-Zeit zum Maßstab öffentlichen Denkens und Sprechens
in der Bundesrepublik.
## Deponie Made in Germany
Das soll nun auch „Unsere Mütter, unsere Väter“ gelingen: Dass man drüber
spricht, dass man sich gewärtig wird, wie unsere Vorfahren, Mitläufer oder
Mittäter des Nationalsozialismus, lebten und überlebten. Wie sie, normale
Bürger und Bürgerinnen, in dem Film Heranwachsende zumeist, im Laufe der
Kriegshandlungen roh und fühllos werden. Ja, das war und ist das
volkspädagogische Ziel – und es scheitert auf der ganzen Linie. Dass über
diesen Dreiteiler auch am Arbeitsplatz, in Freundeskreisen verhandelt wird,
liegt nicht an der Geschichte von fünf jungen Deutschen selbst, sondern
gelingt trotz des Films.
Denn an der Story selbst kann es nicht liegen. Sie verhält sich zu
„Holocaust“ des Jahres 1979 wie die hohe Kunst der Werkhallen Hollywoods
zur filmästhetischen Sondermülldeponie Made in Germany. Deutsche Filme, sie
können es nicht (mit der Ausnahme der Uwe-Tellkamp-Verfilmung von „Der
Turm“, zugegeben).
Sie können nicht Gefühle plausibel machen, sie legen keine Handlung
zwingend – was auch damit zu tun hat, dass die Helden von „Deutsche Väter,
deutsche Mütter“ selbst im schlimmsten Kriegshagel in russischen
Hinterhöfen noch telegen, sauber und adrett aussehen, der Staub auf ihren
Antlitzen wie Make-up. Selbst bei den Blutbädern wünschte man sich: Leute,
lasst euch doch von Tarantino mal sagen, wie das geht.
Vielleicht wollte man künstlerisch nicht alles riskieren. Das nämlich hätte
bedeutet, die der allzeit tödlichen Judenfeindschaft stets innewohnende
Gehässigkeit und Bosheit mit zu zeigen – doch so fies wollte man die
Figuren, die doch unsere Vorfahren geben sollten, auch nicht zeichnen.
## Wir sind alle Führer
Diese Feigheit vor dem Stoff ist eventuell auch der Grund, weshalb
tatsächlich alle deutsche Welt nun glaubt, sie habe einen prima Film
gesehen: Mann, das haben wir ja nicht gewusst!, Mensch, wie
verhängnisvoll!, Ach, in was die sich hineingeschliddert haben! „Unsere
Mütter, unsere Väter“ zeigt auch nichts von den Jahren vor dem
Kriegsbeginn. Keine Führergeilheit, keinen schrotigen Antisemitismus, keine
Gewalt, vor allem keine Charakterbildung nach dem Gusto „Wir sind alle
Führer und machen uns die Welt untertan“.
Was der Film macht, liegt nicht direkt an uns selbst: In jedem der
Zuschauer wird ein eigener, unbewusster Dauerclip wachgerufen – voll mit
Familienerinnerungen. Mit Bildern von der Kinderziehung in den Fünfzigern,
Sechzigern und Siebzigern, mit Depressionen, Süchten und aggressiven
Selbstbehauptungsgesten.
Götz Aly sagte in der 3sat-Kulturzeit, man müsse diese Trilogie, ein
Dokument der Traumata jener Generationen, die damals jung und zukunftsfroh
waren, „ertragen“. In Wahrheit muss das niemandem appelliert werden:
Ertragen müssen die Nachkommen des NS-Deutschland die Familienchroniken
ohnehin schon immer. Opa war kein guter Nazi, Oma auch nicht – und die
Eltern, im günstigsten Fall, kamen irgendwie davon.
19 Mar 2013
## AUTOREN
Jan Feddersen
Jan Feddersen
## TAGS
„Unsere Mütter, unsere Väter“
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Vergangenheitsbewältigung
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