# taz.de -- Debatte Vergewaltigung im Krieg: Vermiedene Erinnerung | |
> Die Vergewaltigungen von Frauen im 2. Weltkrieg werden in Deutschland | |
> kaum diskutiert. Auch in „Unsere Mütter, unsere Väter“ dienen sie nur a… | |
> Stilmittel. | |
Bild: Beide erleben im Laufe des ZDF-Films „Unsere Mütter, unsere Väter“ … | |
Der ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ zeigt wieder einmal, dass | |
das weit verbreitete Vorkommen von sexualisierter Gewalt an Frauen und | |
Mädchen im Kontext des Zweiten Weltkriegs und nach Kriegsende immer noch | |
kaum Beachtung erfährt. Vielmehr dient die Darstellung dieser Form der | |
Gewalt gegen Frauen im Film vor allem als Stilmittel. | |
In den vergangenen Jahren haben Forscherinnen und Journalistinnen viele | |
Fakten zu Gewalt und den Strukturen des Nationalsozialismus gesammelt. | |
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen war ein wirksames Mittel der | |
Einschüchterungs- und Terrorpolitik im NS-Staat, beim Holocaust, bei der | |
Okkupation fremder Staatsgebiete und durch die Alliierten zum Kriegsende | |
und danach. Eine angemessene Aufarbeitung dieser Verbrechen gegen Frauen | |
und der damit verbundenen Traumata der Vergewaltigungen hat in der | |
deutschen Nachkriegsgesellschaft jedoch nicht stattgefunden. Weder ist eine | |
Erinnerungskultur entwickelt worden, noch haben die Frauen Hilfe erfahren. | |
Ganz im Gegenteil: Sie wurden ausgegrenzt und stigmatisiert, auch von ihren | |
Familien. Sie haben gelernt, ihre Gefühle einzufrieren, zu funktionieren. | |
Viele von ihnen beschreiben, wie nach dem Trauma der Gewalt das | |
jahrzehntelange Trauma des Verschweigenmüssens folgte. Wo konnte die damals | |
19-Jährige aus Pommern trauern, dass ihr in den Tagen der Flucht ihr Körper | |
und ihre Seele so zerstört wurden, dass sie bis heute an den Folgen leidet? | |
Ihrem Ehemann konnte oder durfte sie nicht davon berichten, seine Reaktion | |
fiel nicht selten so aus: „Wie konntest du mir das antun?“ | |
Was bedeutet es für jede Einzelne und für das Kollektiv, dass Frauen | |
„darüber“ nie sprechen konnten, die traumatischen Auswirkungen aber bis | |
heute in die Gesellschaft hineinwirken? Wie oft schreiben uns alte Frauen | |
von ihren traumatischen Erfahrungen – und dass unsere Arbeit sie ermutigt | |
habe, jetzt doch noch davon zu berichten, oft zum ersten Mal. Es darf nicht | |
sein, dass nur noch Frauenorganisationen ein Interesse zeigen an der | |
Wahrheit dieser Frauen. Auch heute noch können wir ein Stück Gerechtigkeit | |
herstellen. | |
## Schätzungsweise 1,9 Millionen Vergewaltigte | |
Die Tochter einer 1945 vergewaltigten deutschen Frau beschrieb exemplarisch | |
in einem Brief an medica mondiale die Auswirkungen der nie bearbeiteten | |
Erfahrungen ihrer Mutter auf die Biografie der gesamten Familie: chronische | |
Krankheiten, Panikattacken, Suizidversuche, Alkohol- und | |
Medikamentenmissbrauch, die Unfähigkeit, soziale Bindungen einzugehen und | |
Sexualität freudvoll zu erleben. | |
Dies alles betraf nahezu all ihre Familienmitglieder, auch sie und ihren | |
Bruder in der nächsten Generation. Sie selbst erlebte die Geburt ihres | |
eigenen Kindes als extrem traumatisch. Erst Jahre später konnte sie den | |
Zusammenhang zu den Gewalterfahrungen ihrer Mutter herstellen – es ist also | |
davon auszugehen, dass auch ihr Kind, also die übernächste Generation, | |
betroffen ist. In wie vielen Familien haben die unverarbeiteten | |
Gewalterfahrungen wohl solche deutlichen Spuren hinterlassen? | |
Alleine in den letzten Kriegstagen und danach wurden schätzungsweise 1,9 | |
Millionen deutsche Frauen vergewaltigt, so Helke Sander und Barbara Johr in | |
„BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigung, Kinder“. Diese Erlebnisse | |
prägen die Biografien vieler Frauen, ihre Familien und die nachfolgenden | |
Generationen. | |
Heute sind diese Frauen 80 bis 100 Jahre alt. Jene, die noch leben, | |
sprechen kaum über ihre Erfahrungen, sind aber ob ihres Alters mit | |
Situationen konfrontiert, die Erinnerungen an erlebte Gewalt wachrufen | |
können. Sie sind verstärkt auf die Hilfe anderer angewiesen, bei der | |
Körperpflege oder bei Krankheiten. Die damit verbundenen Gefühle von | |
Hilflosigkeit und Kontrollverlust werden unweigerlich mit vergangenen | |
Erfahrungen verbunden. | |
## Kaum Traumaorientierte Pflege | |
In der Altenarbeit lassen ihre Reaktionen erahnen, dass traumatisierende | |
Erfahrungen wie frauenspezifische Kriegserlebnisse nie thematisiert oder | |
gar aufgearbeitet wurden. Noch immer erhalten sie keine empathische | |
Unterstützung, sondern erleben in Pflegeheimen unsensible Behandlung und | |
fachliche Unkenntnis. Hier muss die Fachwelt endlich ihre ahistorische, oft | |
genug auch hilflos-gleichgültige Haltung aufgeben, biografische | |
Zusammenhänge wahrnehmen und so Retraumatisierungen verhindern. | |
Martina Böhmer, Referentin und Beraterin in der Altenhilfe, berichtet von | |
einer Frau, die beim Einzug in ein Heim nach ihren Wünschen gefragt wird. | |
Sie antwortet, dass sie aufgrund einer früher erlittenen Vergewaltigung | |
nicht von Männern versorgt werden will. Das sagt man ihr zu und trotzdem | |
steht am nächsten Morgen ein Pfleger vor ihr, der sie wäscht und anzieht. | |
Traumaorientierte Pflege sieht anders aus. Ganz absurd wird es, wenn etwa | |
männliches Pflegepersonal mit einem osteuropäischen Akzent bei den Frauen | |
mit unverarbeiteten Gewalterlebnissen Flashbacks auslöst. | |
Noch keine Rede einer Kanzlerin oder eines Bundespräsidenten galt bis heute | |
– fast 70 Jahre nach Kriegsende – den kriegsvergewaltigten Frauen. Niemand | |
widmete ihnen ein Mahnmal, niemand machte Anstrengungen in Richtung | |
Aufarbeitung und Entschädigung. Diese Ignoranz schmerzt die Betroffenen | |
zutiefst. Es ist an der Zeit, diesen Frauen in unserer Erinnerung einen | |
angemessenen Raum zu geben. Es ist an der Zeit, das Leid anzuerkennen, das | |
sie erlitten – ebenso wie die ungeheure Kraft, mit der diese Frauen ums | |
Überleben kämpften, für ihre Kinder sorgten und den Wiederaufbau leisteten. | |
Es ist an der Zeit, über diese Verbrechen zu reden und den wenigen noch | |
Lebenden Mut zu machen. | |
Die Aufmerksamkeit von JournalistInnen für das Thema sexualisierte Gewalt | |
gegen Frauen kann hier einen wichtigen Aufklärungsbeitrag leisten. Es ist | |
Zeit zu sprechen, damit die Kette von Gewalt und Trauma durch die | |
Generationen hindurch unterbrochen wird – und die Töchter und Söhne und | |
Enkel nicht immer wieder Täter- und Opferidentitäten reproduzieren müssen. | |
22 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Monika Hauser | |
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