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# taz.de -- Debatte Die Traumata unserer Mütter: Verlorene Leben
> Die Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg durch alle Seiten sind nie
> aufgearbeitet worden. Die Traumata wurden weitergegeben.
Bild: Alles Opfer, keine Täter: Lalalala, die Mutter die backt Kuchen... In di…
Filme sollen uns berühren, uns die Kraft verleihen, das Schweigen zwischen
den Generationen zu überwinden. Was wir sicher nicht brauchen, ist noch ein
Epos, das sein Hauptgewicht auf das ewig Militärische legt.
Ein Film über „Unsere Mütter, unsere Väter“, wie ich ihn mir wünsche, m…
am großen Nachkriegsschweigen und den Traumatisierungen der Kriegszeit
ansetzen – und von dort in der Zeit zurückgehen. Stattdessen suggeriert
dieser Dreiteiler, das NS-Regime sei vom Himmel gefallen und hätte das
Leben einer Gruppe junger Menschen ruiniert, die ansonsten mit dem
Nationalsozialismus nichts zu tun hatten.
Aber auch damals haben sich Jugendliche schuldig gemacht und für ebenjenen
Staat gekämpft, der ihren jüdischen Freund aussortiert und beseitigt hat.
Eine wirkliche Aufarbeitung wäre eine Aussage wie: „Ich habe das nicht
sehen wollen und mich von diesem Regime instrumentalisieren lassen. Das war
nur möglich, weil viele so wie ich aus unserer nationalsozialistischen
Akzeptanz heraus die verbrecherischen Zeichen ausgeblendet haben.“
Das müsste der damals 18-Jährige heute sagen, damit die Last der Schuld am
richtigen Ort ist und er auch um sein verlorenes Leben trauern kann.
## Gleiche Bilder
Tatort Riga: Im Juni 1941 veranstalten deutsche Soldaten nach der Eroberung
der Stadt Saufgelage. Einheimische Frauen, auch Jüdinnen, müssen sich unter
dem Gegröle deutscher Männer ausziehen, vor ihnen tanzen und singen. Danach
wurden sie erst vergewaltigt, dann erschossen.
Tatort Berlin: Im Mai 1945 wüteten Sowjetsoldaten im eroberten Berlin,
trunken vom Sieg und vom Hass auf alles Deutsche, das ihr Leben und ihre
Lieben zerstört hatte. Auch sie vergewaltigten und erschossen wahllos
einheimische Frauen und Mädchen.
Wie sich die Bilder doch gleichen! Die Forschungen und Dokumentationen der
letzten 20 Jahre zeigen übereinstimmend, dass sexualisierte Gewalt, mit und
ohne Befehl, ein Massenphänomen in vergangenen und gegenwärtigen Kriegen
ist.
In jedem Fall zahlten alle Frauen den hohen Preis. Ihre Körper wurden
benutzt und weggeworfen. Und wenn sie es überlebt hatten, folgten in der
Nachkriegszeit soziale Ausgrenzung und Schuldzuweisung, die es ihnen nahezu
unmöglich machte, von ihren schmerzhaften Erfahrungen zu sprechen. Sie
wurden in ihrer ganzen Emotionalität und Bindungsfähigkeit zutiefst
verletzt, verunsichert.
## Männer wurden Täter
Wie schmerzhaft muss es für diese Frauen gewesen sein, von ihren
68er-Töchtern als „kalte Mütter“ bezeichnet zu werden, die mit ihrer
Körperfeindlichkeit ihre Töchter in deren Pubertät zutiefst verunsicherten.
Viele Männer wurden damals zu Tätern. Sie nutzten die vom Militär gebotenen
Möglichkeiten der individuellen Machtausübung, und die Strukturen des
Militärs nutzten diese Männer für sich. Bis dahin geltende
Normvorstellungen, Hemmungen und Schuldgefühle fielen weg, mit dem Resultat
von Verrohung und völlig entgrenztem Gewaltverhalten. In dieser
militarisierten Sozialisation dienten und dienen Gruppenvergewaltigungen
dem männlichen Zusammenhalt und sichern Hierarchien ab. Sie sollen die
eigene Heterosexualität unterstreichen und die Dominanz über Frauen sichern
und stärken. Es sind genau diese patriarchalen Vorstellungen über
Männlichkeit, die sexualisierte Gewalt als Massenphänomen im Krieg erst
möglich machen.
## Sprachlosigkeit nach 1945
Anstatt für ihr Verhalten Verantwortung zu übernehmen, reagierten viele
Männer nach dem Krieg mit massiver Irritation. Sie waren die Verlierer,
„ihre“ Frauen waren vergewaltigt worden. Daraus resultierte eine
individuelle und gesellschaftliche Sprachlosigkeit über Generationen
hinweg, die in keinerlei politischer oder gar juristischer Aufarbeitung
mündete. Ein Beispiel dafür ist, dass Kriegsrückkehrer in Heimen für
„schwer erziehbare“ Jugendliche als Erzieher eingesetzt wurden – mit den
heute bekannten neuen Gewalttaten. Nur weil die Gewalt der Waffen zu Ende
war, war sie dies nicht in den Köpfen der früheren Täter.
## Keine Gerechtigkeit
Transgenerationelle Traumatisierung wirkt nach. Die heute alte deutsche
Frau hat ja ihre unverarbeiteten Traumata ein Leben lang mit ihren Nächsten
„gelebt“ und die Wirkungen weitergegeben. Etwa an den Jungen, der im
Ehebett seiner Mutter schlafen musste, weil der Vater nicht aus dem Krieg
heimgekommen war. Erst mit der eigenen Heirat zog er aus diesem Bett aus.
Aber seine Ehe scheiterte an den Spannungen zwischen seiner Frau und seiner
Mutter.
Oder an die Tochter, die erlebte, wie ihre Mutter in Abwesenheit des Vaters
im Krieg die Familie führt und das Überleben sichert. Kaum war der Krieg
vorbei, ist die Mutter abwesend, wirkt hilflos und geschwächt. Da übernimmt
die Tochter das Ruder und sorgt für ihre Geschwister. Später gründet sie
eine eigene Familie. Als dann ihre Tochter in die Pubertät kommt, setzen
bei der Mutter Panikattacken ein. Der daraufhin begonnene Therapieprozess
bringt Erinnerung und erlebte Geschichte dreier Generationen zusammen: Die
Veränderung der Mutter nach Kriegsende war auf eine Vergewaltigung
zurückzuführen, die Panikattacken der Tochter meldeten sich als Warnsystem,
als ihre eigene Tochter geschlechtsreif wurde.
Keine der vergewaltigten Frauen hat je juristische Gerechtigkeit erhalten –
von keiner der Kriegsparteien. Vielmehr war die Erinnerungskultur nach dem
Krieg in beiden deutschen Staaten mit zahllosen Entlastungen verbunden. „Es
mussten Verleugnungen spezifischer weiblicher Leidenserfahrungen erfolgen,
damit die national gedachte Rekonstruktion heroischer Männlichkeit möglich
war“, schreibt Silke Wenk in ihrem Band „Gedächtnis und Geschlecht“. Hier
müssen Korrekturen vorgenommen werden, auch um ein Stück Gerechtigkeit für
die Frauen herzustellen. Es ist höchste Zeit, dass die
Kriegsvergewaltigungen an allen weiblichen Opfergruppen einen Gedenkort
erhalten – denn Heilung braucht Erinnerung.
Nur mit der Bereitschaft zur Bearbeitung der tabuisierten Traumata von
Schuld und Leid kann es zu einer wirklichen Befriedung kommen. Nur so
können wir Verantwortung übernehmen.
7 Apr 2013
## AUTOREN
Monika Hauser
## TAGS
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Vergewaltigung
Schwerpunkt 1968
Kongo
Polen
Nazis
„Unsere Mütter, unsere Väter“
ZDF
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