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# taz.de -- Tuareg in Mali: Der Traum vom eigenen Staat
> Vor einem Jahr riefen die Tuareg in Mali einen eigenen Staat aus. In den
> Flüchtlingslagern von Burkina Faso halten Rebellen die Idee der
> Unabhängigkeit am Leben.
Bild: Kartenspielen ist für viele nach Burkina Faso geflüchtete Tuareg die ei…
DJIBO taz | Der Wind pfeift durch die offene Hütte aus Holzpfählen und
einem Dach aus Strohmatten. Er bläst den Männern, die unter dem
Sonnenschutz hocken, Sand ins Gesicht. Drumherum stehen ein paar einzelne
Bäume und Sträucher – und seit einem Jahr auch Tausende Zelte. Die meisten
haben Hilfsorganisationen aus großen, weißen Plastikplanen gebaut, um den
Ansturm der Flüchtlinge aus dem Nachbarland Mali zu meistern.
Allein nach Mentao-Süd, das zum Lager Mentao im äußersten Nordwesten von
Burkina Faso gehört, kamen im vergangenen Jahr mehr als 12.000 Menschen.
Noch heute erreichen mehrmals pro Woche neue Flüchtlinge das Camp. Sie
kommen aus dem Norden Malis – trotz der seit Januar laufenden französischen
Militärintervention.
Almahili Ag Almouwak sitzt auf dem Boden und streicht schweigend den feinen
Sand von der Matte. Um den stellvertretenden Präsidenten des
Flüchtlingslagers Mentao-Süd herum haben sich zwanzig Männer versammelt.
Sie treffen sich regelmäßig, trinken Tee und spielen Karten. Ein Mann tippt
auf seinem alten Nokia-Handy herum. Wie viele der anderen Flüchtlinge
stammt er aus Timbuktu. In der historischen malischen Stadt leben noch
heute viele Verwandte. Doch oft klingelt sein Handy nicht, und ihm selbst
fehlt das Geld, um sich Gesprächsguthaben zu kaufen.
Ag Almouwak schaut den Kartenspielern über die Schulter. Vor ihnen liegen
ein paar Halme aus Stroh – ihr Einsatz. Um Geld zu spielen, könnte sich
niemand leisten. Die Flüchtlinge leben von den Spenden der
Hilfsorganisationen. Als die Karten für die nächste Runde ausgeteilt
werden, wird es für einen Moment laut. Einer der Männer ruft etwas auf
Tamaschek, der Sprache der Tuareg. Dann schweigen sie wieder. Meistens
spielen die Männer hier stundenlang. Irgendetwas müsse man machen, sagt
Almahili Ag Almouwak.
## Das Handy klingelt nicht
Es zehrt an ihm wie an den übrigen Flüchtlingen – die ständige Warterei.
„Wir sind müde“, sagt er. Seit 14 Monaten lebt er mit seiner Familie, zu
der knapp 30 Personen gehören, schon in Burkina Faso. Über die Regierung
will er nichts Schlechtes sagen. „Wir sind gut aufgenommen worden. Vor
allem sind wir hier in Sicherheit. Und Schwierigkeiten mit anderen
ethnischen Gruppen haben wir auch nicht.“ Doch die Zeit im Nachbarland
bedeutet für Almahili Ag Almouwak auch: Untätigkeit und keinerlei
Einkommen.
Er blickt auf den staubigen Weg neben der Hütte. Ein paar Ziegen
marschieren vorbei. In der Ferne schreit ein Esel. Ziegen und ein paar
Esel, das ist alles, was den Flüchtlingen noch geblieben ist. Ansonsten
haben die meisten nur etwas Kleidung, Kochgeschirr und ein paar Matten zum
Schlafen. Alles andere, die Kamele und die übrigen Besitztümer, mussten sie
in Mali zurücklassen. Ob ihre Häuser, die viele Nomaden mittlerweile auch
gebaut haben, überhaupt noch stehen, weiß niemand.
Auf die Frage, wann sie das möglicherweise überprüfen könnten, schweigt Ag
Almouwak einen kurzen Moment. Um ihn herum wird es still, und die übrigen
Männer schauen ihren Vizepräsidenten gespannt an. „Ich weiß es wirklich
nicht“, sagt er schließlich und streicht wieder etwas Sand von der Matte.
Für den Vizelagerpräsidenten ist die Rückkehr nach Mali nicht nur an
Sicherheit geknüpft, sondern an eine wichtigere Bedingung: Er will nur
zurück in seine Heimat, wenn Azawad endlich als eigener Staat der Tuareg
anerkannt wird.
Malis Tuareg-Rebellenbewegung MNLA (Nationale Befreiungsbewegung von
Azawad) hatte ihren Staat am 6. April 2012 ausgerufen. Der MNLA, die sich
als Kämpfer für Rechte und Interessen der Tuareg sieht, war es gelungen,
nach und nach den Norden Malis zu erobern. Die Regierungstruppen wirkten
ratlos. Am 22. März putschten sie in der fernen Hauptstadt Bamako. Gut zwei
Wochen später nutzte die MNLA das politische Durcheinander und erklärte den
Norden des Landes zum eigenen Staat, der allerdings nie wirklich mit
eigenen Institutionen entstand und auch nirgends anerkannt wurde.
## Islamistische Gruppierungen
In Mentao-Süd, jenseits der Grenze, lebt die Idee von Azawad weiter, obwohl
sie in den vergangenen Monaten aus der öffentlichen Diskussion verschwunden
ist. Denn kurz nach der Ausrufung von Azawad übernahmen radikale
islamistische Gruppierungen den äußerst dünn besiedelten Norden Malis, und
die MNLA hatte kaum noch Einfluss. Die Tuareg-Rebellen gerieten in den
Verdacht, als Steigbügelhalter für die Islamisten gewirkt zu haben. Manche
Tuareg, die nach Bamako geflüchtet waren, distanzierten sich von der MNLA.
Oumar Ag Sidi schüttelt verärgert den Kopf. Er ist der Flüchtlingspräsident
und hat der Diskussion um Azawad eine Zeit lang zugehört. Der große,
bullige Mann trägt Jeans und Sonnenbrille und kippelt auf einem der wenigen
Plastikstühle in der Hütte hin und her. Dass auch nur ein einziger Tuareg
sich gegen die MNLA oder Azawad ausspricht, hält er für absurd. „Die MNLA,
das sind doch auch wir. Sie kämpft für unsere Ziele. Sie vertritt uns.“ Er
tut so, als ob er verärgert ausspuckt. Dass im Norden Malis nicht nur
Tuareg, sondern auch viele andere ethnische Gruppen leben, dass es nie ein
Referendum oder auch nur eine repräsentative Umfrage über eine
Unabhängigkeit gegeben hat, auf all das geht er nicht ein. Stattdessen
schüttelt er Ansari Mohammed Dit Hima die Hand und begrüßt ihn.
Ansari Mohammed Dit Hima ist zu Fuß über den staubigen Sandweg zur Hütte
gekommen. Der Gast fällt auf im Flüchtlingslager. Er ist klein und trägt
anders als die übrigen Männer keine typische traditionelle Tuareg-Kleidung,
sondern ein weißes, frisch gewaschenes Hemd, ein weißes T-Shirt darunter
und schwarze Jeans. Er spricht akzentfreies Französisch. Nach der Begrüßung
stellt er sich mitten in die Hütte und hält auf Tamaschek, der
Tuareg-Sprache, eine flammende Rede für die MNLA.
Niemand tippt mehr auf einem Handy herum. Die Spieler haben ihre Karten auf
einen Stapel gelegt und hören schweigend zu. Manchmal klatscht jemand.
Manchmal wird kurz diskutiert. Am Ende präsentiert der Redner eine Liste.
Wer schreiben kann, soll unterzeichnen. Es ist so etwas wie eine
Unterstützerliste für die MNLA.
## Die Fahne weht wieder
Was der Redner genau gesagt hat und was mit den Unterschriften später
gemacht werden soll, das will er nach seinem Vortrag nicht konkret
erzählen. Er hat sich hingesetzt, spricht nun ein wenig leiser und druckst
herum. „Unterstützung für die MNLA. Sie darf nicht vergessen werden, und
sie dürfen uns nicht vergessen“, sagt Ansari Mohammed Dit Hima. In deren
Auftrag zieht er Tag für Tag durch die Flüchtlingscamps.
Die Frage um Azawad und die Tuareg war über Monate mehr oder weniger in
Vergessenheit geraten, als nur noch die Islamisten im Norden Malis den Ton
anzugeben schienen. Seit der Vertreibung der Islamisten durch französische
Truppen rückt sie nun wieder in den Vordergrund. Die MNLA zeigt Präsenz,
ihre Fahne weht wieder. Vor allem aber wird auf internationaler Ebene über
die Belange der Tuareg gesprochen. Klar ist mittlerweile auch vielen
Politikern in Bamako: Es muss eine nachhaltige Lösung für die Probleme
Nordmalis gefunden werden. Denn sonst könnte es ganz schnell wieder zur
nächsten Tuareg-Rebellion kommen.
Ansari Mohammed Dit Hima wedelt mit seinen Unterschriftenlisten. Eine
Lösung, die von Malis Regierung kommt, will der MNLA-Aktivist nicht. Er
will auch die Wahlen nicht, die in Mali für Anfang Juli geplant sind, und
vor allem will er keine Gremien, in denen über die Integration der Tuareg
in den malischen Staat gesprochen wird. Er will einfach Azawad, den eigenen
Staat. Seine Augen kneift er zu schmalen Spalten zusammen und fährt mit
seinem rechten Zeigefinger in die Luft. „Wenn ihr anfangt, euch über die
Anerkennung von Azawad Gedanken zu machen und die MNLA als
Verhandlungspartner akzeptiert, dann könnten wir wieder zurück.“
Ansari Mohammed Dit Hima steht auf. Kurz vor Mittag will er weiterziehen,
ins nächste Camp. Auch die übrigen Männer verlassen langsam die Hütte und
gehen zu ihren Zelten zurück. In der Mittagshitze ist die Temperatur auf
mehr als 40 Grad angestiegen. Almahili Ag Almouwak winkt zum Abschied.
„Wenn Azawad anerkannt wird, dann könnten wir heute Abend unsere Sachen
packen und zurückkehren.“
6 Apr 2013
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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