Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tuareg in Mali: Das Misstrauen wächst
> Die Stimmung hat sich gegen sein Volk gekehrt, klagt Mohamed Ag Ossade.
> Dabei unterstützen nicht alle Tuareg die Rebellen im Norden.
Bild: Tuareg-Rebellen im Norden Malis: Sie sprechen nicht für die Mehrheit des…
BAMAKO taz | Tumast ist leicht zu finden. Das Kulturzentrum der Tuareg
liegt gegenüber dem Hotel Aquarius. Das große, blaue Schild des Hotels
blinkt unerlässlich. Man sieht es schon in der Ferne vom Ende der
Nigerbrücke aus, die zur Hauptverkehrszeit morgens und abends chronisch
verstopft ist. Neben Autos und Lastwagen quetschen sich unzählige
Mopedfahrer über die viel zu enge Flussquerung.
An der ersten Abfahrt, die zu Tumast führt, steht man mitunter ewig im
Stau. Sobald dieser sich nur um ein paar Meter zu lösen scheint, drückt
jemand auf die Hupe. Abgaswolken steigen auf. Ein paar Polizisten versuchen
den Verkehr so gut es geht zu regeln.
Ausgerechnet hier hat Mohamed Ag Ossade sein Zelt aufgebaut. Es soll an das
typische Tuareg-Zelt erinnern, mit dem seine Vorfahren früher durch die
Sahara gezogen sind. Doch der Nachbau in der Hauptstadt ist größer,
moderner und stabiler geworden. Die Pfeiler sind aus Holz und das Dach ist
mit Stroh gedeckt. In der Mitte steht ein riesiges Sofa für Gäste. Das
Lämpchen des DVD-Spielers blinkt ununterbrochen. Der Lärm von der Straße
dringt herüber. Von der gerne zitierten Weite und Freiheit der Sahara ist
hier nichts zu spüren.
Immer wieder öffnet jemand die kleine, knarrende Tür, die auf das
Grundstück führt. Mohamed Ag Ossade ist im Moment ein gefragter
Gesprächspartner. Journalisten kommen zu ihm, aber auch
Politikwissenschaftler. Er erzählt von einigen Begegnungen und dem
plötzlichen Interesse an den Tuareg, die er selbst lieber als Tamaschek
bezeichnet. "Tuareg haben uns die Araber genannt. Die Franzosen haben das
Wort dann in der Kolonialzeit übernommen", sagt er.
## Ein Blutbad als Auslöser
Mohamed Ag Ossade holt Wasser und füllt es in zwei Gläser. Immer wieder
klingelt sein Handy. Irgendwann stellt er es aus und legt sich auf den
Teppich, der vor dem Sofa ausliegt. Er kneift die Augen zusammen,
gestikuliert und wird laut. "Die Situation in Mali ist sehr kritisch",
warnt er. "Die Tuareg, die nichts mit diesem Krieg dort oben zu tun haben,
haben Angst. Es gibt so viele Verwirrungen, und wenn man nicht aufpasst,
vielleicht sogar einen neuen Krieg."
Wer für die kritische Lage verantwortlich sei? Mohamed Ag Ossade sagt es
nicht direkt, spielt aber auf das Massaker von Aguelhok an. Im Januar 2012
soll die Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA), eine Tuareg-Organisation, in
der Stadt im äußersten Nordosten Malis mehrere Dutzend Soldaten, aber auch
Zivilisten umgebracht haben. Aufgearbeitet ist das Blutbad auch ein Jahr
später noch nicht. Aguelhok habe die Stimmung verändert, ist sich Mohamed
Ag Ossade sicher und schaut die Katze an, die sich neben ihm auf dem
Teppichboden räkelt.
Bis zum 17. Januar 2012 habe es in Bamako keinerlei Probleme zwischen
Tuareg und anderen ethnische Gruppen gegeben. Doch Aguelhok könnten die
anderen den Tuareg nicht verzeihen. "Seitdem ist die Stimmung
umgeschlagen", sagt Mohamed Ag Ossade und trinkt etwas Wasser. Die große
Gewalt ist bisher zum Glück ausgeblieben. Mutmaßungen von
Menschenrechtsorganisationen, dass Polizei und Militär in Bamako nach
Häusern von Tuareg gesucht und ihre Bewohner mindestens eingeschüchtert
haben, kann der Tumast-Leiter nicht bestätigen.
Er verzieht den Mund und streicht eines der Kissen glatt. Das
Widersprüchliche und Zynische an der ganzen Situation sei doch, dass die
MNLA überhaupt nicht für die Mehrheit der Tuareg spreche. Ohnehin gebe es
sie gar nicht. "Die Tuareg? Nein!", lacht er auf. Allein in der Region
Kidal würde es 144 verschiedene Fraktionen geben. "Ihr denkt immer, wir
sind eine Familie! Aber das stimmt überhaupt nicht. Wir haben eine
gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Religion. 99 Prozent der Tuareg sind
Muslime." Doch danach würde es mit den Gemeinsamkeiten schnell aufhören.
Deshalb würde es auch schwierig sein, überhaupt ausreichend Unterstützer
für einen Staat Azawad zu finden. Diesen hatte die MNLA am 6. April 2012
ausgerufen, nachdem sie das malische Militär mehr und mehr aus dem Norden
verdrängt hatte und die Politiker in Bamako nach dem Staatsstreich vom 22.
März 2012 mehr oder weniger mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt
waren. Mohamed Ag Ossade spielt mit der Fernbedienung herum und hört für
einen kurzen Moment auf zu reden. "Azawad war doch immer eine Utopie. Ich
weiß nicht einmal, warum sie das fordern."
## Die Folge von zwei Rebellionen
Neu ist zumindest die Forderung nach mehr Autonomie allerdings nicht. In
den vergangenen Jahrzehnten tauchte sie regelmäßig auf, verbunden mit der
Kritik, dass die Tuareg einerseits zu schlecht in den malischen Staat
integriert worden wären, andererseits ihr Nomadenleben durch künstlich
gezogene Staatsgrenzen und politische Entscheidungen aus dem fernen Bamako
immer stärker eingeschränkt worden wäre. Zwei Rebellionen in den Jahren
1990 bis 1995 sowie in 2006 folgten.
Für Mohamed Ag Ossade sind sie der Grund, dass Tuareg seitdem immer
häufiger nach Bamako gezogen sind. "Zur besseren Integration haben sie
Stellen im Militär und bei der Polizei bekommen. Nach und nach kamen die
Familien nach." Ohne sie würde es heute wohl auch kein Tumast-Kulturzentrum
geben.
Genau das war nach den Rebellionen der Plan. Öffentliche Stellen wurden
geschaffen, um zumindest guten Willen zu zeigen. "Man hat alles getan, um
auf nationaler Ebene Versöhnung zu schaffen", erklärt Professor Modibo
Goita, der Dozent an der Schule für Friedenssicherung in Bamako ist. Die
Schule ist ein moderner, großzügig angelegter Neubau ganz in der Nähe der
US-amerikanischen Botschaft. Es ist ein ruhiges Viertel, in dem es noch
viele unbebaute Grundstücke gibt. Goita blickt aus dem Fenster seines Büros
im ersten Stock.
Vor allem der Armee sei immer vorgeworfen worden, sie würde hauptsächlich
aus Bambara bestehen. Die Bambara sind die größte Ethnie im Süden. Ihre
Sprache gilt in weiten Teilen Malis als Lingua Franca. Mit der Aufnahme der
Tuareg sollte sich das ändern. Eins wurde dabei nicht bedacht, sagt Goita:
"Die Voraussetzungen fehlten. Die neuen Soldaten hatten keine militärische
Grundausbildung, häufig nicht einmal einen Schulabschluss."
Und wohl auch keine echte Motivation und kein Interesse, plötzlich auf
Seiten des Staates zu kämpfen, der bisher als verantwortlich für das
Dilemma im Norden galt. Goita sucht nach einer Erklärung, doch er wirkt ein
bisschen ratlos, vor allem, wenn er an einen besonders pikanten Fall denkt.
Rund um die Stadt Timbuktu sollten US-amerikanische Militärs ab 2006
malische Soldaten in der Terrorismusbekämpfung ausbilden. Es war eine
Mission, über die viel gespöttelt wurde und um die sich viele Gerüchte
ranken. Eins gilt aber als sicher: Viele der dort ausgebildeten Soldaten
schlossen sich später der MNLA an. "Aus meiner Sicht etwa 80 Leute", sagt
Goita. Ihre Ausrüstung inklusive Waffen nahmen sie gleich mit
## „Ein Frieden zwischen Chefs“
Es sind Fehler, die sich nicht noch einmal wiederholen sollten. "Nach den
Rebellionen wurde die Situation nicht genau untersucht. Außerdem war es ein
Frieden, den die jeweiligen Chefs der Armeen geschlossen haben", sagt Yehia
Ag Mohamed Ali, Tuareg und seit Mitte Dezember 2012 Tourismusminister der
Übergangsregierung von Premierminister Diango Cissoko. Er lächelt darüber.
Die Berufung sei eine große Überraschung für ihn gewesen. Jetzt bringt sie
die Chance, sich für eine nachhaltige Veränderung im Norden einsetzen zu
können.
Für Yehia Ag Mohamed Ali heißt das, die Bevölkerung muss eingebunden
werden. Über die Frage, ob das mit weiteren Posten für Tuareg im Bamako
gelingen könnte, lächelt er wieder und schüttelt leicht den Kopf. "Es geht
nicht um Posten. Wir brauchen weder eine positive noch eine negative
Diskriminierung. Wir brauchen einen transparenten Staat für alle. Dieser
darf keinen Unterschied zwischen Tuareg, Bambara, Fulfulbe oder Arabern
machen."
Dazu beitragen könnten die Wahlen, die bis Ende Juli durchgeführt werden
sollen - wenn es gelingt, dass diese glaubwürdig und transparent sind. Der
Tourismusminister setzt aber auch auf eine Versöhnungskommission, die nun
eingerichtet werden soll. Mit dieser könnte zumindest demonstriert werden,
dass die Kriegsereignisse aufgearbeitet würden.
Mohamed Ag Ossade richtet sich in seinem Tuareg-Zelt auf. Der nächste Gast
wartet, ein Politikwissenschaftler aus Belgien. Der Tuareg bietet dem
Besucher schwarzen, bitteren Tee an, der übliche Willkommensgruß, der in
kleinen Gläsern serviert wird. "Im Norden müsste einfach mehr für die
wirtschaftliche Entwicklung getan werden", sagt Mohamed Ag Ossade zum
Abschied. Es ist sein Rezept gegen Segregationsgedanken. "Der Norden ist
arm, die Menschen sind es auch. Wenn sie bessere Perspektiven haben,
verschwindet der Wunsch nach Unabhängigkeit von alleine." Und dann lächelt
er fast spöttisch und klingt etwas oberlehrerhaft. "All das würde doch auch
nicht mit mehr Autonomie oder gar durch einen eigenen Staat besser. Wir
haben da oben doch nicht einmal die Mehrheit."
11 Feb 2013
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Mali
Tuareg
MNLA
Bamako
Mali
Mali
Mali
Mali
Gao
Mali
Mali
Mali
Mali
Afrika
## ARTIKEL ZUM THEMA
Friedensabkommen in Mali: Erst Wahlen, dann Dialog und Reformen
Malis Regierung und die Tuareg-Rebellen einigen sich: Auch in den
Rebellengebieten des Nordens wird gewählt. In Burkina Faso wurde ein
Abkommen unterzeichnet.
Kein Visum für Politiker aus Mali: Kritiker Frankreichs ausgesperrt
Deutschland verweigert dem prominenten Oppositionspolitiker und
Parlamentarier Oumar Mariko ein Visum – auf Wunsch der Franzosen, sagt er.
Tuareg in Mali: Der Traum vom eigenen Staat
Vor einem Jahr riefen die Tuareg in Mali einen eigenen Staat aus. In den
Flüchtlingslagern von Burkina Faso halten Rebellen die Idee der
Unabhängigkeit am Leben.
Intervention in Mali: Schnelles Ende unwahrscheinlich
Von einer baldigen Heimkehr der französischen Truppen ist keine Rede mehr.
Die Regierung knüpft den Abzug von Soldaten an Bedingungen.
Kämpfe in Nordmali: 13 Soldaten aus dem Tschad getötet
Im Norden Malis starben 13 Soldaten aus dem Tschad bei Kämpfen mit
Rebellen. Mindestens 65 Islamisten wurden getötet. Die USA entsenden
weitere Soldaten ins Nachbarland Niger.
Bundeswehr in Mali: Deutscher Shuttle in Benin
Wenn es laut wird in Benin, ist es die Transall: Deutsche Soldaten sind
längst in Westafrika. Sie fliegen Eingreiftruppen ins Bürgerkriegsland.
Krieg in Mali: Raus aus dem Krieg
Die drei großen Städte Nordmalis sind aus der Hand der Islamisten befreit.
Jetzt wird über eine schnelle Rückkehr zur politischen Normalität
diskutiert. Zu schnell?
Krieg in Mali: Tausende fliehen vor der Gewalt
Französische Soldaten sind offenbar in Straßenkämpfe verwickelt. Weitere
Staaten schicken Soldaten, die EU stellt Ausbilder für die Armee.
Militäreinsatz in Mali: Richtig oder falsch?
Frankreich kämpft gegen Islamisten in Mali, Deutschland schickt als
logistische Unterstützung Flugzeuge. Ein Pro & Contra zur Intervention in
Mali.
Die Akteure in Mali: Islamisten und Drogenhändler
Befreiungsbewegung von Azawad, Ansar Dine, Mujao und AQMI: die unheilige
Allianz von Islamisten, Terroristen und Separatisten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.