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# taz.de -- Islamisten in Mali: Basketball am Hinrichtungsplatz
> Die Islamisten sind vertrieben, aber nicht besiegt. Die Menschen im
> Norden von Mali kehren allmählich zum Alltag zurück.
Bild: Ein französischer Soldat patrouilliert auf dem zerstörten Markt von Gao…
GAO taz | Ein metallisches Kratzen dringt in die Ohren. Ein unangenehmes
Geräusch. Einerseits. Andererseits ist der Klang beruhigend, weil er so
alltäglich ist. So hört es sich an, wenn die Frauen die rußgeschwärzten
Töpfe schrubben, in denen sie auf dem offenen Holzkohlefeuer Reis und Soße
fürs Mittagessen gekocht haben. Insofern ist der Lärm ein Zeichen dafür,
dass das Leben wieder normaler ist in Gao, einer staubigen
100.000-Einwohner-Stadt im Norden von Mali.
In die Alltagsgeräusche mischen sich quäkende Stimmen aus einem
Handylautsprecher. Die Bilder, die davon begleitet werden, zeigen die
öffentliche Hinrichtung eines Mannes in Gao, vollstreckt im vergangenen
Herbst von Mitgliedern der islamistischen Miliz Mujao, der „Bewegung für
Einheit und Dschihad in Westafrika“.
Die Milizionäre, die Gao mehrere Monate lang beherrscht hatten, warfen dem
Mann wiederholten Diebstahl vor. Der Angeklagte kniet auf dem Boden, die
Arme auf dem Rücken gefesselt. Sein Gesicht wirkt sanft und überraschend
gefasst, jedenfalls soweit man das in dem verpixelten Filmchen erkennen
kann.
Oumar Touré, von allen Tchico genannt, erklärt ungerührt, was auf dem
Handybildschirm zu sehen ist. Tchico ist auf dem Hof zu Hause, in dessen
Ecken die Frauen gerade den Abwasch machen. Sein Cousin und Nachbar Isaac
dagegen ist verstummt. Er hatte die Exekution weder vor Ort mit angesehen,
noch kannte er die Aufnahmen bisher.
„Das da ist der Prediger der Mujao“, sagt Tchico und zeigt auf einen
Vermummten in militärischer Uniform, der ein Buch in der Hand hält. „Den
Koran“, sagt Tchico. „Bevor sie ihn hinrichten, zählen sie alle Verbrechen
auf, die er ihrer Meinung nach begangen hat.“ Außer ihm stehen zwei weitere
uniformierte Vermummte hinter dem Opfer, die Messer bereits waagerecht in
Höhe seines Halses haltend.
## Abends kommen Sportler
Als alle Beschuldigungen vorgebracht sind, setzen sie an. Sie säbeln dem
Mann den Kopf ab. Das zieht sich eine ganze Weile hin. Es fließt sehr viel
Blut. „Tout le monde était là“, sagt Tchico schließlich. Alle haben
zugeguckt. Die Hinrichtung geschah auf dem „Platz der Scharia“ im Zentrum
von Gao, der inzwischen wieder „Platz der Unabhängigkeit“ heißt. Gegen
Abend, wenn die Hitze nicht mehr ganz so lähmend ist, treiben die Menschen
hier wie eh und je Sport.
Entlang des Zaunes ziehen Läufer ihre Runden durch den Sand. Auf einem
asphaltierten Basketballfeld dribbeln Mädchen und Jungen, daneben wird
Fußball trainiert. „Ich bin glücklich, hier wieder spielen zu können“, s…
Mariam Maiga. „Und dass ich wieder mit meinen Freunden und unserem Trainer
zusammen sein kann.“ Die 18-Jährige trägt ein gelbes, ärmelloses T-Shirt
und eine knielange Sporthose. Zurzeit der Islamisten wäre so viel nackte
Haut undenkbar gewesen oder hätte zu schweren Strafen geführt.
## Militärische Erfolge binnen Wochen
Die Wende kam, als die französische Armee Mitte Januar in Mali
einmarschierte, um den befürchteten Vormarsch islamistischer Milizen in die
Hauptstadt Bamako zu verhindern. Vorher hatte der malische
Übergangspräsident Dioncounda Traoré um Unterstützung gebeten. Die Ankunft
der französischen Armee beschleunigte die bereits geplante Entsendung einer
afrikanischen Eingreiftruppe. Erste militärische Erfolge stellten sich
binnen Wochen ein: Die drei großen Städte in Malis Norden, also Gao, Kidal
und Timbuktu, galten nach kurzer Zeit als befreit.
Besiegt sind die Islamisten aber trotzdem noch nicht, sie kämpfen jetzt
verstärkt mit Selbstmordanschlägen. „Jederzeit kann es den nächsten geben�…
sagt Tchico in seiner nüchternen Art. In den satten Farben der sinkenden
Sonne sieht das Zentrum von Gao jetzt fast freundlich aus. Zumindest wenn
man den Blick nicht von den Sportlern lässt.
Wer sich von ihnen abwendet, sieht die Spuren des Krieges: An den Fassaden
des Polizeikommissariats, des Postamts, am Sitz des Gouverneurs und am
Rathaus sind etliche Einschusslöcher zu erkennen. Artilleriegeschosse haben
die Gebäude getroffen und zum Teil zustört. Aus Angst vor Minen und
Sprengfallen wagt niemand, sie zu betreten. Zu sehen gäbe es ohnehin nichts
als Verwüstung. Tische, Stühle, Regale, Akten, Archivmaterial, alles sei
geplündert oder zerstört, sagen die Bewohner von Gao. Verantwortlich dafür
ist vor allem die Tuareg-Miliz MNLA, die Gao noch vor den Islamisten
erobert hatte und hier immer noch verhasster ist als die Islamisten. „Bei
der Mujao war die Grausamkeit berechenbar“, sagt Tchico. „Die MNLA hat
willkürlich geplündert, alles gestohlen und hemmungslos vergewaltigt.“
Weil sie buchstäblich weder Tisch noch Stuhl hätten, erklären die
Verwaltungsangestellten des Staates, sie könnten noch nicht nach Gao
zurückkehren. So bleibt die Bevölkerung sich selbst überlassen und Gao eine
halb verwaiste Stadt, in der sich die Wirtschaft mangels Kunden nicht
erholt.
## Konvois voll Drogen
Am frühen Abend bekommt Tchico Besuch von zwei entfernten Verwandten. Die
beiden waren Mitglieder der Mujao. Ihre Namen wollen sie nicht nennen, sie
haben Angst vor Repressionen. Dabei kennt jeder hier ihre Geschichte, in
einer Kleinstadt wie Gao spricht sich so etwas schnelle herum. „Meine
Familie weist mich seitdem zurück“, sagt der Ältere, der Anfang dreißig
ist. „Dabei habe ich nicht getötet. Aber sie glauben mir nicht.“ Der hagere
junge Mann spricht immer schneller; aufgeregt versucht er, seinen Ruf zu
retten. Er ist Automechaniker und habe sich zunächst den Anwerbeversuchen
der Mujao verweigert. „Sie wollten, dass ich mitkomme und ihre Fahrzeuge
repariere“, erzählt er. Wenig später holten ihn einige Milizionäre mit
Waffengewalt aus seiner Werkstatt und nahmen seinen 15-jährigen Assistenten
gleich mit.
Der steht jetzt schweigend daneben, wirft nur hin und wieder eine Bemerkung
zur Bestätigung ein. Die Milizionäre hätten sie in ein Camp in der Nähe von
Tessalit gebracht, noch weiter im Norden von Mali. Dort hätten sie ein
Gewehr bekommen und eine kurze militärische Grundausbildung, „aber vor
allem haben sie uns gezeigt, wie man Sprengsätze und Sprengstoffgürtel
baut“.
Wenn die Geschichte stimmt, dann hatten die beiden wegen ihres Berufs eine
gewisse Sonderstellung. Denn Mechaniker wurden gebraucht. „Deshalb wurde
ich nicht bestraft, obwohl ich mich weigerte zu kämpfen“, behauptet der
Exmilizionär. Nach einigen Wochen bekam er eine zusätzliche Aufgabe: „Die
Mujao gaben mir regelmäßig Kokain, das ich in Gao verkaufen musste.“ Es
habe sich um kleinere Mengen gehandelt, Säckchen mit Ware im Wert von
umgerechnet 300 bis 450 Euro. Die Kunden: vor allem Kämpfer der Mujao.
„Viele von denen haben gekokst oder Joints geraucht, obwohl sie alle von
sich behaupten, gläubige Muslime zu sein.“
## Vertrauen auf Gott und die Franzosen
Das Geld musste er nach seiner Rückkehr in das Camp seinem Boss geben. Er
selbst bekam einen kleinen Anteil, rund 80 Euro im Monat. Auch größere
Kokainkonvois mit Endziel Europa habe er gesehen. „Manchmal musste ich
mitten in der Wüste Autos reparieren, die zu so einer Kolonne gehörten.“
Ein solcher Konvoi habe meist aus etwa sechzig Geländewagen bestanden.
„Etwa vierzig waren voller Drogen, also Haschisch und Kokain. Die anderen
waren schwer bewaffnete Begleitfahrzeuge.“ Seine Geschichte ist, sofern sie
stimmt, ein weiterer Beleg dafür, dass die islamistischen Milizen im Norden
Malis nicht nur aus ideologischen Gründen kämpfen, sondern auch oder vor
allem um die Kontrolle der Routen für den Kokainschmuggel. Die Ware kommt
aus Lateinamerika, mit Flugzeugen, die in der Wüste landen, oder über die
westafrikanische Küste.
Nach sieben Monaten bei den Mujao wagte der Mechaniker bei einer seiner
„Missionen“ die Flucht. Jetzt lebt er in Angst vor der Rache der
Islamisten, denen es bis heute immer wieder gelingt, in Gao einzudringen.
Um das zu verhindern, hat sich der Mechaniker einer Bürgerwehr
angeschlossen, die jede Nacht in der Stadt patrouilliert. Angeblich sind
diese „Patrioten“ unbewaffnet und rufen im Zweifel das malische Militär.
Über seine eigenen Überlebenschancen sagt der ehemalige Milizionär: „Ich
vertraue auf Gott und die Franzosen.“ Die Franzosen allerdings werden bald
abziehen. Nur tausend von ihnen sollen in Mali bleiben.
4 May 2013
## AUTOREN
Bettina Rühl
## TAGS
Mujao
Gao
Mali
Islamismus
Basketball
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